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Flower Power | Juli 2011

Erashleos Flower Power
von Gerhard Fritsch

So etwa um das Jahr 1970 hörte Erashleo Schnappeldross das erste Mal von der Flower-Power-Bewegung, die seinerzeit von Amerika kommend auf die ganze westliche Welt übergriff. Die Medien berichteten über junge Menschen, die es liebten, sich auffällig bunt zu kleiden, sich lange Haare - die Burschen auch Bärte - wachsen ließen, seltsames grünes oder braunes Zeug aus Pfeifen oder Papiertrichtern rauchten und wie indische Gurus bewegungslos dasaßen und eigenartige Atemübungen vollführten. Mädchen steckten sich Blumen ins Haar und tanzten in langen Röcken, mit verträumten Augen und zum Teil blanken Busen zu psychedelischer Rockmusik von Jimi Hendrix oder Janis Joplin. Die Hippies, so nannte man die Anhänger des Flower-Powers, traten für eine Welt von Freiheit und Liebe von allen für alle ein und liebten das Leben auf dem Lande, wo sie diesen Idealen inmitten der freien Natur nahe zu sein glaubten. Erashleo gefiel das, auch er träumte davon, in einem kleinen Bauernhaus zu wohnen, einen schönen Garten zu bestellen und ein paar Tiere um sich zu haben.
Der Zufall wollte es, dass er ein paar Monate zuvor in den Genuss einer Erbschaft gekommen war, so dass er über einen ansehnlichen Betrag auf seinem Bankkonto verfügen konnte. Er überlegte nicht lange und kaufte sich ein altes Bauernhäuschen mit ein wenig Wald und zirka zwei Hektar Brachfläche darum herum.
Seine Freundin Mandsgum war begeistert und zog gleich mit ein. Schon am nächsten Tag machten sie sich an die Arbeit, die gesamte Fläche mit Gras- und Blumensamen zu bestreuen. Und ein paar Wochen darauf konnten sie sich einer herrlichen Weide mit saftigem Gras und wunderschönen Blumen erfreuen.
Eines Morgens, als sie sich nach dem Frühstück zur Musik des Insiderhits White Bird von It’s a Beautiful Day (den Text verstanden sie nicht) einen Joint genehmigten, was sie taten, weil es halt einfach dazu gehörte, erblickten sie ein Schaf auf ihrer Weide.
„Ach, wie süß“, jauchzte Mandsgum, und Erashleo säuselte mit halb herabgeklappten Augenlidern „echt voller Groove, der Stoff“, wobei er gar nicht wusste, wie man groove schreibt.
Am nächsten Tag waren zwei Schafe und am übernächsten vier auf der Wiese, und Erashleo fühlte sich wie im Paradies. Verträumt unternahm er mit Mandsgum einen Spaziergang, um das friedselige Gefühl, das die weidenden Tiere ausstrahlten, besser auf sich einwirken lassen zu können. Sie wähnten sich gar in dem Glauben, die Schafe wären auf einer höheren spirituellen Ebene mit ihnen verbunden, auf der sie in transzendentaler Schau erkannt hätten, dass ihnen auf Erashleos Grund ein verheißenes Land der Glückseligkeit geschaffen worden war.
Plötzlich aber fing Mandsgum an zu kreischen: „Ääääääh, Igiiitt, bäääääh!“ Sie war barfuß gelaufen und in einen ansehnlichen Haufen schwarzgrünen Schafskot getreten. Sie ekelte sich und wollte auf der Stelle kehrt machen, doch Erashleo nahm sie in die Arme, tröstete sie und säuberte mit seinen Händen ihre Füße. „Das sind Schafe, die müssen auch mal, das ist doch etwas ganz Natürliches“, sagte er, und schon war alles wieder gut.

Mit der Zeit jedoch, als immer mehr Schafe kamen, sahen sie ein, dass etwas unternommen werden musste. Die fraßen nämlich nicht nur das Gras, sondern auch die Blumen, und hinterließen eine Unmenge Kot, der zwar nicht stank, aber recht unansehnlich war. Zunächst dachten Erashleo und Mandsgum noch, Blumen würden umso besser nachwachsen, je mehr man sie abschneidet, was auch stimmte, da sie nach ein, zwei Tagen erneut zu blühen begannen, aber irgendwie wurde dadurch auch ein Teufelskreis in Bewegung gesetzt, denn je mehr und je schöner die Blumen blühten, desto mehr fraßen die Schafe davon und umso mehr war bald die ganze Weide verschissen, was zwar den Boden düngte und noch mehr Grünzeug aufkeimen ließ, die Schafe aber noch mehr zum Fressen anregte und und und.
„Wir dürfen sie nicht überall gleichzeitig fressen lassen“, meinte Erashleo, und begann, einzelne Koppeln abzustecken, in denen man die Schafe jeweils eine gewisse Zeit weiden lassen konnte. Das gefiel den Schafen natürlich überhaupt nicht und sie blökten in einem fort. Erst sorgten sich Mandsgum und Erashleo deswegen, aber schon bald merkten sie, dass die meisten Schafe immer nur ein und das selbe daherblökten und sie ihnen dessenthalben keine besondere Beachtung schenken mussten.
Zwei Schäferhunde wurden angeschafft, die darüber wachten, dass keines der Tiere aus der jeweils abgegrenzten Grundstücksfläche ausbüxte. Auf diese Weise gelang es, dass sich die Parzellen - es waren genau zwölf an der Zahl - nach und nach erholen konnten, wieder mit prächtigen Blumen übersäte Wiesen hervorbrachten und wie ein schlaraffenlandähnliches Eldorado eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Schafe ausübten, die sich zufällig in ihrer Nähe befanden. Die Grundstücke aber, auf denen die Schafherde jeweils eine Zeitlang zugebracht hatte, waren dermaßen abgegrast, niedergetrampelt und mit Kot übersät, dass allen Leuten, die vorbeikamen, schlecht wurde.
Selbst Erashleo fand diesen Anblick abstoßend, doch er gestand es sich nicht ein, denn er hing immer noch an dem Ideal des Flower Power und behauptete, wenn auch mit etwas Unbehagen, dass das eben normal so sei.
Zuweilen wurde er seit dieser Zeit scherzhaft auch als „Flauer Bauer“ gehänselt.

Letzte Aktualisierung: 07.07.2011 - 08.39 Uhr
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