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Flower Power | Juli 2011

Gesundheit!
von Ingo Pietsch

Ich erwachte mit einem dumpfen Schmerz hinter der Stirn. Im Traum war ich mit dem Kopf irgendwo gegengeschlagen, aber die Erinnerung daran verblasste schon wieder. Damit fing mein Geburtstag ja gut an. Ich lag halb auf dem Bauch und halb auf der Seite. Den Arm, der unter mir begraben war, spürte ich überhaupt nicht mehr. Mit einem Ruck warf ich mich auf den Rücken. Erst durchflutete ein warmes Gefühl meinen Arm, das von einem Brennen einer ganzen Armee beißender Ameisen abgelöst wurde. Ich ballte die Hand immer wieder zur Faust, bis sich alles wieder normal anfühlte.
Draußen war es schon hell, trotzdem hätte ich, wie mein Wecker mir verriet, noch eine Dreiviertelstunde schlafen können. Ich knetete meine Nasenwurzel, aber der Druck blieb bestehen. Mein Hinterkopf fühlte sich zu allem Übel auch noch feucht an, was nur eins bedeuten konnte: ich hatte wieder einmal mein Kopfkissen vollgesabbert. Aber mit einer verstopften Nase war das kein Wunder.
Den Schnupfen hatte ich jetzt schon einen ganzen Monat und selbst mit Erkältungsbad und Nasenspray war er nicht zu bekämpfen. Ich tippte auf eine Allergie, meine Frau auf einen viel zu hohen Zuckerkonsum und eine daraus resultierende Immunschwäche.
Letztes Jahr waren wir in dieses Haus umgezogen und direkt vor unserem Schlafzimmerfenster stand eine stattliche Birke. Der gab ich in letzter Zeit die Schuld an meiner Misere.
Aber Gewissheit hätte ich erst, wenn ich mich endlich mal zu einem Arzt begeben würde, um einen Allergietest zu machen. Immer wieder verschob ich diese Angelegenheit und wurde durch die Kopfschmerzen daran erinnert.
Vielleicht war es ja irgendwas im Essen.
Jedenfalls war es ein schönes Gefühl, als sich der Schleimpfropf mit einem Knacken beim Duschen löste. Ich hörte gleich alles viel lauter. Ich schnäuzte meine Nase richtig leer und wurde dafür mit heftigen Nasenbluten belohnt.
Aber dafür waren die Kopfschmerzen weg.

Meine Frau hatte den Frühstückstisch wunderbar mit leckeren Brötchen, heißem Kaffee und frischem Obst gedeckt. Allerdings stand in der Mitte ein riesiger bunt leuchtender Blumenstrauß. Warnend pulsierte der grelle Farbenmischmach vor meinen Augen. Meine Frau lächelte mich an und ich setzte mich mit einem gequälten Grinsen. Höhepunkt des gemeinsamen Frühstücks war die knappe Rettung meines Kaffees, ehe ich den Inhalt aus meiner Tasse niesen konnte.
Zum Glück hatte ich gerade keinen Bissen im Mund.

Meinen Weg zur Arbeit bestritt ich mit dem Bus.
Ich kramte beim Erklimmen der Stufen in meiner Geldbörse nach Kleingeld. Als ich zum Busfahrer hochschaute, hatte ich plötzlich einen Duftbaum mit Liliennote im Gesicht hängen. Sofort schossen mir Tränen in die Augen und ich musste mehrmals niesen. Wenigstens ging alles in meine Hände, sodass niemand etwas abbekam. Trotzdem deutete mir der Busfahrer mit einem angewiderten Gesichtsausdruck, dass ich das Geld einschmeißen sollte, ohne dass er nachzählte.
Ich hatte mir in der Zwischenzeit so oft die Nase geputzt, dass sie rot leuchten musste. Da halfen auch keine dreilagigen mit Menthol und in Aloe Vera getränkten Taschentücher. Wenn ich so darüber nachdachte, wäre ich sogar der perfekte Werbeträger für die Dinger.
Ich steigerte mich so in meine Blumen-Allergie-Phobie hinein, dass ich mir ganz hinten im Bus – möglichst weit weg vom Duftbaum – einen Platz suchte.
Ich klammerte mich an meine Aktentasche und atmete tief aus. So ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit.
Auf halber Strecke zu meinem Ziel erstarb mein Grinsen, als ein indischer Blumenverkäufer den Bus betrat. Mit einem dicken Strauß Rosen klapperte er alle Reisenden ab. Ich tat so, als würde ich schlafen. Und es funktionierte. Der Geruch streifte mich nur flüchtig.

Ich war jedenfalls froh, als ich in meiner klimatisierten Firma ankam. Mit ein paar Kolleginnen fuhr ich im Fahrstuhl nach oben. Eine ganze Palette von Düften umwaberte mich. Unter einige angenehme mischten sich auch penetrante, davon ein Lavendelduft, den ich sowieso nicht ausstehen konnte. Eigentlich hatte ich angenommen, dass es Lavendel nur als Raumspray gab, aber man lernt ja nie aus. Es war erstaunlich, welch Fachwissen ich über Blumen und Düfte seit Beginn meines Leidens angesammelt hatte. Der Geruch kam mir so intensiv vor, dass er alle anderen in meinem Kopf verdrängte. Meine Nasenschleimhäute brannten und mir war so, als würde ich ersticken. Ich drängelte mich durch die Frauen nach vorne zur Tür.
Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, war ich der erste, der auf den Gang stürmte.
Ich ging schnellen Schrittes in meine Abteilung, um den imaginären Gestank abzuschütteln.
„Alles Gute zum Geburtstag!“, begrüßte mich meine Sekretärin. Ich bedankte mich, schloss mich in meinem Büro ein und atmete einmal tief durch.
Herrlich, diese gefilterte Luft!
Ich stellte meine Aktentasche auf meinen Schreibtisch und entdeckte dort einen Obstkorb nebst Karte.
Als ich diese gelesen hatte, sackte ich auf meinem Stuhl zusammen, denn darauf stand:

Die Firmenleitung gratuliert Ihnen herzlich zum Geburtstag und schenkt Ihnen zwei Eintrittskarten zur Landesgartenschau in Bad Essen.

Wie sich nach meinem Arzttermin herausstellte, war ich gar nicht auf Blütenpollen oder Blumen allergisch. Das Niesen hörte erst wieder auf, als meine Frau zum zweiten Mal in diesem Jahr das Waschmittel wechselte.

Letzte Aktualisierung: 25.07.2011 - 23.28 Uhr
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