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Flower Power | Juli 2011

Elmo
von Harry Michael Liedtke

Es waren mindestens fünfzehn Grad unter Null, es schneite in dicken, nassen Flocken, ein beißender Wind pfiff und er stand in einem sechs Fuß tiefen Erdloch. In einem Loch, das er eben erst selbst geschaufelt hatte. Oder besser: Gehackt hatte! Mit der Schaufel hätte er bei dem hart gefrorenen Boden nichts ausrichten können, da hatte schon die Spitzhacke herhalten müssen.
„Menno, Torben, bist du bald fertig mit dem Grab? Wir frieren uns hier den Hintern ab.“
Torben schoss einen giftigen Blick auf die quengelnde Person ab, die bibbernd am Rand der Grube stand. Angelika, sonst seine Herzallerliebste, spielte mit dem Feuer. Zumal es ja eigentlich ihre Schuld war, dass sie in der Kälte abhängen mussten.
Wo er gerade dabei war, verteilte Torben schnell noch weitere Giftblicke an die anderen ums Loch Herumstehenden. Als da wären: Sascha, Angelikas sechsjähriger Sohn aus erster Ehe, ihre Busenfreundin Helga sowie ihr behämmerter greiser Vater Mojo. Er hieß natürlich nicht wirklich Mojo, sondern Hermann, aber seinen Spitznamen aus alten Hippietagen hatte er ebenso wenig abgelegt wie seinen Flowerpowerlebensstil.
Eigentlich hatte Torben vorgehabt, zusammen mit Angelika ein romantisches Wochenende zu zweit in seiner Jagdhütte im Wald zu verbringen. So richtig gemütlich mit Kuscheln, Weinbrand und Kaminfeuer. Dieser Plan war geplatzt. Saschas Ausflug mit dem Fußballverein war überraschend abgesagt worden und ein Babysitter auf die Schnelle nicht verfügbar gewesen, also hatte er mit in den Tann gemusst. Dann war Helga aufgetaucht, wie üblich mit schwerstem Liebeskummer, und um ihre allerbeste Freundin auf andere Gedanken zu bringen, hatte Angelika sie spontan eingeladen, auch mitzukommen. Dass es in der Jagdhütte nicht entspannend zugehen würde, hatte Torben spätestes ab da gewusst, als Angelika ihm offenbart hatte, dass ihr alter Herr auch mit müsse. „Wir können Paps doch hier nicht allein lassen“, so ihr Drängen. Auf sein „Wieso nicht?“ hatte sie nur ein empörtes Zischeln ausgestoßen.
Also waren sie zu fünft losgezogen. Schon auf der Fahrt hatte Mojo mit seinen abstrusen Thesen über Gott, die Welt und Geld für angespannte Stimmung gesorgt, wenigstens bei Torben. Er als Bankmanager hatte zu einigen Dingen eine fundamental andere Einstellung als Hermann der Heilige! So war es diesmal an ihm, Empörungszischlaute auszustoßen. Angelika hatte bereits ab Kilometer drei angefangen, beruhigend sein Knie zu tätscheln und das auch für den Rest der Strecke beibehalten, auf dass ihrem Lebenspartner nicht doch ein gehässiger Kommentar herausrutschte, der stressige Grundsatzdiskussionen und tiefste Verstimmungen ausgelöst hätte. Als sie an der Waldhütte angekommen waren, hatte es dann aber doch geknallt. Hermann war forsch in die Hütte hineinmarschiert (natürlich ohne seine Reisetasche, die durfte Torben tragen), um anschließend bleichgesichtig wieder herauszuwanken. „Mörder!“, hatte er dabei geschockt gestammelt. Torben war elektrisiert vorgestürmt, um das Schreckliche zu sichten, doch ihm war absolut nichts aufgefallen. Auf Nachfrage hatte Hermann, der sich trotz der empfindlichen Kühle weigerte, die Hütte nochmals zu betreten, dann kundgetan, was ihn so entsetzte: Der ausgestopfte Rothirsch nämlich, der dort seit ewig und drei Tagen zur Zierde rumstand. Torben hatte das präparierte Vieh zwar lediglich beim Kauf des Holzhäuschens vom Vorbesitzer übernommen, aber trotzdem war er in Hermanns Augen nun ein barbarischer Tiermetzler. Mit einem solchen wollte der wunderliche Greis als ein im Kampf für die Natur ergrauter Veteran nichts zu tun haben. Seinen tierlieben Enkel hatte er mit einer flammenden Polterpredigt natürlich auf seine Seite gezogen. Der arme Hirsch! Auf den Namen „Elmo“ hatte Sascha ihn getauft, mit Tränen in den Augen. Angelika hatte sich ungeachtet aller Tatsachenverdrehungen um des lieben Friedens willen auf die Seite der zwei Tierfreunde geschlagen und Helga sich schlapp gelacht, aber immerhin vermittelt. Der Kompromiss: Eine Bestattungszeremonie! Für ein Begräbnis braucht man ein Grab, und so war Torben nichts anderes übrig geblieben, als klein beizugeben und Schaufel und Hacke aus dem Geräteschuppen zu holen.
Zwei Stunden hatte er sich abgeschuftet, um in den eisenhart gefrorenen Boden ein Loch von passender Größe zu buddeln. Jetzt ließ er sich Elmo reichen, um ihn zur letzten Ruhe zu betten, dann kletterte er aus der Kuhle. Es folgten die Gebete, zudem musste jeder noch was Nettes über den Verblichenen sagen. Torben bemerkte mit Blick auf Hermann sarkastisch, dass hier und heute von allen Anwesenden der völlig Falsche in die Grube fahre, was ihn von Angelika einen schmerzhaften Knuff in die Seite einbrachte.
„So, Torben, du schaufelst jetzt das Grab zu“, meinte sie, „und wir anderen gehen wieder rein und trinken erst mal einen heißen Grog.“
Als sich die Trauergesellschaft zum Gehen wandte und Torben zur Schaufel griff, trafen sich sein und Hermanns Blick. Mojo grinste ihn schalkhaft-triumphierend an, dazu machte er eine Verbeugung. Der Bestatter wider Willen nickte. Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen. Von wegen senil! Gefoppt hatte ihn der alte Sack! Chapeau, geschickt eingefädelt! Aber warte nur, du Freak, das kriegst du wieder!

Letzte Aktualisierung: 21.07.2011 - 13.51 Uhr
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