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Flower Power | Juli 2011

Dornröschen
von Katharina Conrad

München. Fünf Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden des Ehepaares Rainer und Mathilde S. (wir berichteten) hat die Staatsanwaltschaft die Akte nun geschlossen. Einziger Hinweis damals: zerfetzte Kleidungsreste in einer Hecke hinter dem Anwesen der Familie (s.Bild), darüber hinaus tappen die Ermittler bis heute im Dunkeln. Nachdem das Paar dieser Tage offiziell für tot erklärt wurde, ist nun auch sein nicht unbeträchtliches Vermögen endlich für die Erben freigegeben worden ...


Pams nagellackroter SLK fügte sich nahtlos in die noble Münchner Wohngegend. Langsam glitt er in die letzte Zufahrt am Ende der Straße.
Eigentlich besaß Pam diesen Wagen, um aufzufallen, aber hier, unter all den polierten Prestigekarossen, ging er fast als Tarnung durch.
Beim Anblick der Heckenrosen auf dem Grundstück fluchte sie äußerst undamenhaft, denn das dichte Gestrüpp überwucherte Tor und Mauer noch schlimmer als bei ihrem letzten Besuch, falls das überhaupt möglich war. Ein Schandfleck!
Pam fragte sich, was dieser Volldepp von einem Gärtner an ihrem Auftrag nicht verstanden hatte.
So schwer konnte das doch nicht sein! Manchmal fühlte sie sich, als wäre sie nur von Idioten umgeben.
Das Tor ließ sich kaum mehr öffnen, also parkte sie ihr Baby notgedrungen am Straßenrand, hinter einem Z4 mit Frankfurter Kennzeichen.
Mit gerümpfter Nase und geringstmöglichem Hautkontakt schob sie einen Torflügel nach innen, quetschte sich hindurch und fluchte wieder, als ihre Absätze tief in den Schotter der Auffahrt sanken. Normalerweise hatten es Besucher in Vierteln wie diesem nicht nötig, sich zu Fuß zum Haus hinaufzuquälen. Allmählich hatte sie genug von dieser Immobilie.
Es war ihr sowieso ein Rätsel, warum das Anwesen noch nicht verkauft war.
Das Viertel bestand aus Jugendstilvillen inmitten gigantischer Grundstücke und hatte sich in der letzten Zeit zu einem echten Yuppie-Quartier entwickelt. Viele der Paläste präsentierten sich mit Anbauten aus Stahl und Glas und besaßen Swimmingpools im Olympiaformat.
Dieses Haus nicht.
Es starrte Pam entgegen, stolz und von oben herab, aus leeren Fenstern mit Gauben wie hochgezogene Brauen. Alle markanten Linien verliefen senkrecht, schnörkellos. Es wirkte, als läge dem Gebäude daran, seine Haltung zu wahren. Als dulde es nur die verfluchten Heckenrosen in seiner Nähe …
Pam schob ein leises unwohles Gefühl beiseite und stöckelte den Zuweg hinauf. Sie rief sich in Erinnerung, wie lange sie darauf gelauert hatte, dass die Eigentümer endlich für tot erklärt würden.
Selbstzufrieden lächelte sie und vergaß sogar für einen Moment ihre ruinierten Pumps beim Gedanken daran, wie geschickt sie ihre Kontakte zur Society genutzt hatte, um an den Auftrag zum Verkauf des alten Kastens zu kommen.
Nie im Leben wäre sie so scharf darauf gewesen, hätte sie geahnt, wie zäh sich das Ganze entwickeln würde!
Groß und fast bedrohlich ragte schließlich die Hausfront vor ihr auf, der blätternde Putz hinter einem Schutzwall aus demselben aufdringlichen Dornengewächs wie unten am Tor.
Eine widerspenstige Rosenranke wehrte sich, als Pam sie vom Eingangsportal wegreißen wollte und stach sie in den Finger.
„Kruzitü...“
Pam leckte den Tropfen von ihrer Fingerkuppe, schloss auf und trat über die Schwelle.
Im Foyer legte sie den Kopf in den Nacken, einmal mehr fasziniert vom schieren Ausmaß der Halle und von der Opulenz der Freitreppe.
Dieses Objekt war ein Juwel! Ungeschliffen zwar, aber verdammt nochmal ein Schmuckstück. Die Nachbarn hielten den gebührendem Abstand, und trotzdem pulsierte die Stadt ganz nah, genau das Richtige für die prunksüchtigen Neureichen, die sich eigentlich um Gelegenheiten wie diese nur so rissen ...
Abfällig, spöttisch verzogen sich Pams Mundwinkel. Wie sie alle ach so überzeugt von sich waren, sich für etwas Besseres hielten, dabei waren sie alle gleich, aufgeblasen und unzuverlässig, einer wie der andere.
Letzte Woche hatte sich einer von diesen aufstrebenden Finanzmanagern aus Frankfurt angekündigt. Sein so wichtiges Getue am Telefon, sofort hatte er einen Termin gebraucht und sie dann einfach versetzt!
Stopp … Irgendwo in ihrem Hirn hing ein Angelhaken an dem Wort „Frankfurt“ ...
Leider kam Pam nicht dazu, ihn an die Oberfläche zu ziehen, denn irgendetwas irritierte sie.
Sie fühlte sich plötzlich intensiv beobachtet und warf misstrauisch einen Blick hinter sich, aber da waren nur die Blüten der allgegenwärtigen Heckenrosen, die sie ungeniert durch die Fenster angafften.
Unbehaglich zupfte Pam ihr knappes schwarzes Kostüm zurecht und strich die Bluse glatt.
Dann zückte sie ihr Handy.
„Ja. Sagen Sie, Nadja, haben Sie eigentlich vergessen, den Gärtner anzurufen? Wie, letzte Woche schon? Unmöglich … Unterstehen Sie sich, zu zahlen, falls er eine Rechnung schickt! Rufen Sie ihn nochmal an, wofür bezahle ich Sie eigentlich!“
Sie klappte das Gerät zu und massierte sich die Schläfen.
Auch der heutige Interessent fand es offenbar witzig, Pam die Zeit zu stehlen. Wieder so ein Wichtiger, irgend so ein überbezahlter IT-Mensch aus Berlin, und trotzdem nicht imstande, eine simple alte Tugend wie die Pünktlichkeit hochzuhalten!
Dabei ging es hier um ein echtes Schnäppchen! Man müsste ein bisschen investieren, um dem Schmetterling aus dem Kokon zu helfen, sicher, ein paar alte Mauern einreißen hier, ein paar neue hochziehen da – nun, in ihrer Kartei fand sich ohnehin keiner, dem das nötige Kleingeld für derartige Spielereien gefehlt hätte.
Pams Absätze hallten die Stufen der großen Treppe hinauf wie die Meißelschläge eines Steinmetzes. Aus dem ersten Stock könnte sie vielleicht das Tor und die Einfahrt sehen, womöglich stand der Berliner einsam und verloren davor und hatte vergessen, wie man ein Handy bediente.
Die Aussicht nahm ihr beinahe den Atem. Die ganze Stadt lag ihr zu Füßen, nur die verdammte Einfahrt lag verdeckt, Pam erkannte nichts außer dem meterhohen Unkraut. Sie würde diesem vermaledeiten Gärtner gehörig den Marsch blasen, da konnte er jetzt schon mal Gift drauf nehmen. Und wenn es heute wieder keinen Abschluss geben sollte, dann würde sie ihm die vergeudete Zeit in Rechnung stellen, jawohl!
Sie streifte durch die hohen Räume, und obwohl die Wände das Echo ihrer Schritte ungehalten zurückwarfen, als wollten sie es nicht haben, drang der Schall in jeden verborgenen Winkel.

Nach einer halben Stunde hatte Pam die Nase endgültig voll.
Mochten sie sich gerne weiterhin für die Näbel des Universums halten, Pam würde sich jedenfalls keine Sekunde länger die Beine in den Bauch treten und warten, bis sich einer gnädig herabließ, seinen Termin einzuhalten.
Als sie das Haus verließ, frischte der Wind auf. Die Heckenrosen begannen zu flüstern und zu rascheln.
Aus irgendeinem Grund träufelte das Geräusch blanke Angst in ihr Bewusstsein.
Gänsehaut entstand zwischen ihren Schulterblättern, kroch kribbelnd über Nacken und Hals an ihre Kehle und hinderte sie am Atmen. Aus den Augenwinkeln glaubte sie, Bewegungen in den Sträuchern wahrzunehmen, und einem plötzlichen Impuls folgend streifte sie ihre Pumps ab und fing an zu rennen, ohne auf die spitzen Kiesel zu achten, die sich in ihre Fersen bohrten.
Als sich die ersten dornigen Ranken zornig zischend über den Rasen auf sie zu schlängelten, begann Pam zu schreien.

Draußen vor dem Tor schien die Sonne auf einen SLK, einen Z4 und etwas weiter vorne auf den kleinen Transporter einer Gärtnerei. Das Taxi, das einen Fahrgast aus Berlin abgesetzt hatte, war längst wieder verschwunden, und die Köpfe der Heckenrosen nickten unschuldig in der leichten Brise.

©2011 K.Conrad – Vers.3

Letzte Aktualisierung: 10.07.2011 - 21.36 Uhr
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