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Flower Power | Juli 2011

Menschen und Orchideen
von Sandra Grözinger

Nie mehr werde ich diesen Tag in meinem Leben vergessen! Nicht, weil es einer der heißesten war, den ich bisher erlebt hatte. Die Sonne stach unbarmherzig vom Himmel und ich fühlte mich in meinen gläsernen Gewächshäusern wie in einer finnischen Blocksauna. Seit einer Stunde stand ich im ersten meiner insgesamt drei Gewächshäuser und versuchte, meine Pflanzen mit einem Wasserschlauch zu gießen. Doch ich hatte das Gefühl, dass das Wasser schon in der Luft verdunstete. Mein ärmelloses, knallrotes Shirt war komplett vom Schweiß durchnässt, als wäre ich mit Kleidern schwimmen gewesen. Meine blonden, halblangen Haare waren ebenfalls total nass und schauten wirr und chaotisch unter dem Basecap hervor, das ich mir zum Schutz vor einem Sonnenstich aufgesetzt hatte.
„Mensch, Timo“, sagte ich zu mir selber „hoffentlich kommt nicht ausgerechnet heute deine Traumfrau vorbei, so wie du aussiehst und auch stinkst!“
Ich musste grinsen bei diesem Gedanken, denn die Suche nach einer Frau hatte ich schon vor einer Weile aufgegeben. Schuld daran war mein anstrengender und hingebungsvoller Beruf als Gärtner. Wenn mich abends die Einsamkeit zu überwältigen drohte, dann sagte ich mir immer, dass es mit meinen 38 Jahren noch immer nicht zu spät ist, um doch noch die Liebe meines Lebens zu finden.
Plötzlich wurde die Tür meines kleinen Verkaufsraums, der unmittelbar an das erste Gewächshaus grenzte, aufgerissen und jemand schrie panisch: „Hallo, ist da jemand?“
Ich stellte das Wasser ab und eilte in den Verkaufsraum.
„Schnell, ich muss mich verstecken! Mein Verlobter ist hinter mir her, der schlägt mich krankenhausreif, wenn er mich zwischen die Finger bekommt!“
„Ja….aber“, stammelte ich.
Doch die türkischstämmige Frau war schon an mir vorbeigerannt und stand nun in meinem Gewächshaus.
„Moment mal“, rief ich ihr nach.
„Hier muss es doch einen zweiten Ausgang geben! Mann, jetzt helfen Sie mir endlich, sonst ist es zu spät! Er müsste jeden Augenblick da sein!“ Sie sah mich mit großen, weit aufgerissenen Augen an.
„Gehen Sie schnell in das letzte Gewächshaus, immer geradeaus. Dort ist eine Tür, in der ein Schlüssel steckt! Schließen Sie sie auf, dann kommen Sie wieder nach draußen!“
„Vielen Dank“, rief sie und hastete weiter. „Halten Sie ihn auf, er müsste gleich da sein. Ich muss ein wenig Vorsprung bekommen, um überhaupt eine Chance zu haben. Erzählen Sie ihm irgendwas über Orchideen!“
Im gleichen Moment hörte ich ein Röcheln und schnelle Schritte. Wieder wurde meine Türe aufgerissen.
„Nun mal nicht so hastig, junger Mann“, versuchte ich beschwichtigend auf ihn einzuwirken.
„Schnauze! Wo ist sie?“
Der Mann, ebenfalls mit türkischen Wurzeln, war mindestens einen Kopf größer als ich und machte sich keine Mühe, seine Aggressionen unter Kontrolle zu halten.
„Hier ist niemand“, entgegnete ich forsch.
„Sag mir sofort, wo sie ist, sonst mach ich Hackfleisch aus dir!“
Ich platzte vor Wut. „Ich habe gerade gesagt, dass hier niemand ist. Das hier ist eine Gärtnerei, da kann man Blumen kaufen. Also nehmen Sie sich gefälligst zusammen und reden in einem anderen Ton mit mir!“
Er zuckte zusammen. So hatte wohl schon lange niemand mehr mit ihm geredet.
„Ich bin Murat und Ayla ist vor mir weggerannt. Eigentlich wollten wir demnächst heiraten, sie ist mir schon als kleines Kind versprochen worden! Aber sie hat sich in einen deutschen Kerl verliebt! Das ist eine Schande!“
„Nein, Ihr Verhalten ist eine Schande“, entgegnete ich in einem ebenso gereizten Ton. „So, wie Sie sich gerade aufführen, interessiert sich keine Frau für Sie! Heiraten hat mit Liebe zu tun und nicht mit Besitz! Haben Sie ihr schon einmal Blumen geschenkt und ihr die Chance gegeben, sich in Sie zu verlieben? Haben Sie schon einmal versucht, ihr Herz zu erobern?“
„Nein“, entgegnete er erstaunt. „Aber ich liebe Orchideen!“
Ich war erstaunt. „Und schreien Sie Ihre Orchideen auch so an? Behandeln Sie sie auch wie ihr Eigentum? Das können Sie gar nicht, denn sie würden eingehen. Blumen sind genauso wie wir Menschen Lebewesen, die Liebe und Zuneigung brauchen!“
Was redete ich nur für einen Müll? Doch Murat schien beeindruckt zu sein. Er war ein Stück in sich zusammengesunken. Eigentlich musste Ayla nun genug Vorsprung haben, doch ich führte die Unterhaltung noch ein wenig fort.
„Wollen Sie meine Orchideen sehen? Sie sind wunderschön, weil sie die richtige Umgebung und die richtige Pflege haben!“
„Nein, jetzt nicht. Aber ich nehme eine Rose mit und schenke sie Ayla, wenn ich sie gefunden habe. Ich werde demnächst wieder vorbeikommen, um die Orchideen anzuschauen!“
„Aber ich zeige sie Ihnen nur, wenn Sie Ayla nichts tun! Behandeln Sie sie wie eine Blume, das ist zwar keine Erfolgsgarantie, aber Ihre Chancen steigen!“
„Versprochen!“ Ein Hauch eines Lächelns zog sich um seine Mundwinkel. Er drehte sich um und verließ meine Gärtnerei. Ich atmete tief durch und ging ins dritte Gewächshaus, um die Tür, durch die Ayla entflohen war, wieder abzuschließen.
Ich habe beide nie mehr gesehen und weiß auch nicht, was aus ihnen geworden ist. Aber ich hoffe inständig, dass Murat etwas über Blumen und Menschen gelernt hat.

Letzte Aktualisierung: 21.07.2011 - 19.32 Uhr
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