Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Mysterium | August 2011
Sacramentum
von Bernd Kleber

Herr, ich liebe dich und will diese Liebe nicht verlieren.
Heute möchte ich mit dir ins Reine kommen und darum bin ich hier.
Ich frage mich, warum die alte Lohnleitner wieder nicht reingeht. Da ist doch gar keiner mehr drin. Sieht sich um wie ein Reh, das sich vorsichtig auf eine Lichtung zubewegt, stehen bleibt und der Ruhe nicht traut. Jeder im Dorf spricht darüber. Man nennt sie Schwarzkäppchen. Sie bringt Geschenke mit zur Beichte, die sie dem Priester macht. Wein und selbstgebackenen Kuchen.
Bitte, mach, dass unser Priester heute verständig ist. Ich will nicht wieder alles dreimal erklären müssen.
Nun geh schon rein. Oder soll ich an dir vorbeigehen? Am liebsten würde ich sie anschreien, dumme Kuh, die.
Herr, gib mir Kraft, mein Vergehen zu beichten, vergib mir meine große Schuld.
Ich stehe auf, begebe mich in die vordere Reihe.
Die Alte erblickt mich und geht endlich hinein.
Ich setze mich davor. Warte.
Jemand setzt sich neben mich. Die blonde Katja. Russlanddeutsche. Sieht Hammer aus. Kurz lächelt sie mich verlegen an. Nur nicht rot werden jetzt!
Was murmelt die Alte da drin? Radieschen? Hilfe, sie kichert. Und die Klappe in der Box knarrt. Sie hat ihr Geschenk übergeben.
Ich falte meine Hände und sehe auf meine Fingernägel.
Mit der Daumenkuppe gleite ich über den Zeigefingernagel, wie über eine zu stumpfe Klinge.
Da quert ein kleiner dicker Buddha das Schiff. Er lacht schallend. Wir sitzen parallel zum Kirchenschiff und sehen auf das bunte Glas. Die Sonne bahnt tausenden Staubkörnchen einen Highway durch die Luft. Verkehr! Eine Schlange zischelt an meiner Brust. Mein Kopf klappt nach vorn. Spucke läuft aus meinem Mundwinkel, die ich eiligst abwische.
Eingenickt!
Wie lange braucht die Alte? Was kann das kleine schwache Weib schon sündigen? Was hat die zu murmeln und zu sabbern?
Herr, gib mir Geduld!
Katja hört Rammstein, was ich an dem „...hei, hei, heirate mich ...“ in der Refrain-Zeile erkenne. Sie wippt mit der roten Schuhspitze ihrer Sandalette. Das gleiche Rot wie das auf ihren kleinen Nägeln, die da hervorlugen. Und sie duftet. Schwer, süß, betörend.
Die Kopfhörer hat sie aufgesetzt, als die Alte davon sprach, ihrer Nachbarin keinen Zucker geliehen zu haben.
Meine Güte: So eine kleine fiese Hexe und beichtet. Danach hat sie Frau Wehners Blumen zertrampelt, sich extra den Wecker mitten in der Nacht gestellt.
So einen Mist muss sich der Priester anhören. Muss ihr Haus mal taggen.
Die blonde Katja hat nach meinem tastenden Blick ihren MP3-Player leiser geregelt:
„Should I stay or should I go?“ Clash! Das frage ich mich auch ...
Was wäre, wenn ich Katja hier in die Bank drücken würde? Wenn ich ihr die süßen roten Wangen abknutschen würde? In meinem Schritt spannt es und drückt, bricht sich Frühling Bahn.
Ah, die Alte hinkt hinaus. Heult sie?
Egal, ich bin dran.
Es knarrt, es riecht nach der Gruftie-Ollen. Muffig wie ein moderndes Wischtuch legt sich der Mief auf meine Haut, robbt in meine Nase. Ich muss hüsteln.
Durch das Korbgeflecht checke ich die Nasenhaare des Priesters und denke unwillkürlich an ein Feuerzeug.
„Gelobt sei Jesus Christus.“
„In Ewigkeit, Amen ...“
Meine Güte, der murmelt ja gelangweilt.
Ich müsste laut „Was?“ fragen, das wäre jetzt lustig.
„Ich bin ledig. Meine letzte Beichte liegt vier Wochen zurück“, höre ich mich nach dem komischen Bibelvers sagen, der mir keinen Sinn ergab.
„Ich möchte in Demut meine Sünden bekennen“, freue ich mich.
„Ich habe am Sonntag gearbeitet und Gott geflucht.“
„So?“
„Ich habe den Garten umgegraben zur Zeit des Gottesdienstes, als unsere Nachbarn alle in der Kirche waren.“
„Ah ... Und ...?“
„Ja, meine Gedanken waren unrein. Ich fühlte mich gut beim Umgraben am Sonntag.“
Ich muss lächeln.
„Ich habe mit den Schuhen, laut fluchend, den umgegrabenen Boden glatt gestampft ...
Aufgegraben habe ich nur, weil ich nicht wusste, wohin mit dem ...
Obendrein habe ich nun keine Ahnung, ob ich ihn tief genug eingraben habe.“
„Wieso? ... äh ... möchtest du auch mitteilen, was?“
„Jede Nacht sitzt auf dem Beet ein Fuchs und jault, meist bellt er auch heiser dazu.
In dieser Situation kann ich nicht mehr schlafen.
Keine Ruhe kann ich finden und will nun alles aus tiefstem Herzen bedauern.“
Ich reibe mir schnell ein paar Mal über den glatten Jeansstoff der Hose. Warum bin ich so fickerig?
„Ja, aber was hast du vergraben?“
„Paul! Paul hat mich jeden Tag bis zur Weißglut getriezt, hat sich dazu über mich lustig gemacht. Dafür hasste ich ihn. Nie tat er, was ich wollte. Mein Hass wuchs so stark, dass es mir die Seele zerfraß.
Da habe ich eines Tages Kekse gebacken, beabsichtigte eigentlich eine Versöhnung mit Paul, denn der mag Backwaren. Ehrlich!
Als ich den Teig knetete, bekam ich die Idee mit dem ,Sorexa`.“
„Was bitte?“
„Ja, Sorexa, liegt seit Jahren bei uns im Keller. Ist teuflisch ungesund ...“
„Na, na!“
Der Beichtstuhl knarrte jämmerlich.
„... das habe ich in den Teig geknetet, der wurde davon schön sämig.
Die Kekse sahen lecker aus, waren quietschbunt.
Und Paul mochte sie.“
„So?“ Ein schweres Schniefen ist zu hören. Der Schwarzrock rutscht mit seinem fetten Arsch plötzlich nervös hin und her.
„Ja, und dann ging es Paul beschissen. Er erbrach sich ständig und wurde schwach. Ich hoffte mittlerweile schon, dass er sich erholen würde. Bis er eines Tages eiskalt war, sich nicht mehr rührte.
Das war dann, äh, am Freitag. Ich lief den ganzen Tag im Haus herum und überlegte, was ich mit Paul tun solle, der mit einem Tuch abgedeckt in der Ecke lag.
Er stank schon und um ihn herum gab es einen schmierigen Teich brauner Brühe. Endlich war Sonntag.
Ich grub ein tiefes Loch und warf Paul hinein.
Dabei fluchte ich sehr viel. Und als ich zugeschippt hatte und die Fläche glatt getreten war, ließ mein Gewissen mir keine Ruhe mehr.“
Pah, keine Ruhe, jede Nacht geht Paul in meinem Zimmer auf und ab und schüttelt stetig, geradezu anklagend, den Kopf. Draußen bellt der Rotpelz dazu, manchmal kratzt er an der Stelle, wo das Erdreich frisch gestampft ist. Dann muss ich erneut alles glätten am Morgen. Soll doch der Reinecke die Seele Pauls nehmen und verschwinden, dieser alte Höllendiener.
Ich möchte, dass es vergeht, dass Paul seine Ruhe findet, und ich auch. Dazu bin ich ja schließlich hier, erwarte Dienst am Kunden sozusagen.
„Ich bereue es so sehr.“
Dabei zuckt nervös mein rechter Mundwinkel. Hoffentlich sieht unser Priesterlein das nicht.
„Ich bin nun fertig. Das sind alle meine Sünden und sie tun mir leid. Mein Jesus, Barmherzigkeit! Was ich vergessen habe, schließe ich in meine Bitten um Vergebung mit ein.“
Ich schlage ein Kreuz. Die Hände halte ich gefaltet demütig vor meine Brust.
Der Geistliche atmet schwer. Ist er eingeschlafen?
Ich räuspere mich. Mein Bein zuckt und tritt gegen das alte fettige Holz. Ein Laut schallt durch den Raum.
„Da hast du ja Einiges auf dich geladen. Diese Schuld trägt heftig. Gut ist natürlich, dass du deine Tat bereust. Gott liebt alle seine Geschöpfe. Da darfst du nicht Leben nehmen, welches der Herrgott in seiner Güte gab. Überlege, du solltest Verantwortung für dein Tun tragen. Bitte entzünde für Paul eine Kerze und gehe in der kommenden Woche drei Stunden Herrn Neumann im Ladengeschäft helfen, du wirst mit Pauls Geschwistern spielen. Und am nächsten Samstag will ich dich hier wieder hören. Drei „Vaterunser“.“
Damit entlässt er mich. Na super!
Ich renne, stolpere fast über Katja, die vor dem Eintritt kniet. Was macht sie hier? Ich eile hinaus, hinaus in die Luft, die Leben verheißt.

Jedoch der Priester betritt kurz nach dieser Beichte sein Büro. Er wählt eine Nummer, die er nicht nachschlagen muss.
„Glohmeier.“
„Hallo Hans, hier ist Ludwig. Dein Sohn war eben hier, erzählte, dass er die Ratte schon letzten Sonntag vergiftet hat. Solltest deiner Frau also sagen, das Tier kann nicht mehr durch euer Haus spazieren. Nicht, dass sie wieder bekennt, was sie nicht braucht. Noch was, ein Tier hat keine Seele und nun Schluss damit.“
„Echt? Oh je! Und vorhin hat sie mir erst berichtet, dass sie das Tier vergangene Nacht wieder im Flur gesehen hat. Das kleine Wesen sei kopfschüttelnd auf und ab getrippelt und hat meine Frau vorwurfsvoll angesehen ... “

Letzte Aktualisierung: 14.08.2011 - 21.15 Uhr
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