Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Mysterium | August 2011
Nur eine Nacht
von Martina Bracke

Mit geschlossenen Augen wiegte sie sich im Zentrum der überfüllten Tanzfläche zwischen schwitzenden Leibern und hatte doch genug Raum für ihre verhaltenen Bewegungen. Musik füllte ihre Ohren, Lichtblitze zuckten durch die Lider bis auf die Netzhaut in allen rot-orangen Farbnuancen. Sie spürte den Boden vibrieren in ihrem Areal und wusste, dass sich trotz des Gewirrs von Armen, Beinen und Körpern viele Blicke auf sie richteten. Ein Lächeln glitt über ihr Antlitz. Sie war allein gekommen, aber sie ging niemals allein. Ihre langen, offenen Haare galten den am Rande Lauernden als Signal.
Und schon machte sich ein junger Mann auf, die Mitte zu erobern. Mit zwei Gläsern in der Hand, nur wenige Tropfen verlierend, kämpfte er sich durch die stampfende Menge zu ihr.
„Du musst durstig sein, du bist schon so lange hier drin“, versuchte er in ihr Ohr zu flüstern. Doch mehr als die Worte spürte sie das kühle Glas am Oberarm und öffnete schließlich die Augen. Was sie in dem zuckenden Licht eines schnellen Technosongs erkennen konnte, schien ihr vielversprechend. Blond, da war sie nicht wählerisch. In ihrem unsichtbar gezogenen Raum fühlte sie mehr, dass er gut gebaut war, als dass sie es sehen konnte. Seine Hüfte drängte an ihre und sie bemerkte ein eindeutiges Interesse.
„Danke“, formten ihre Lippen und legten sich gierig an den Glasrand, um das Wasser durch ihre Bahnen laufen zu lassen. Wie magisch folgten seine Augen dem Fluss, während sie ihn beobachtete. Den Bann brach sie, indem sie ihm das leere Glas in die Hand drückte. Aber sie entließ ihn nicht ohne ein Versprechen.
„Komm wieder!“, formte sie an seinem Ohr und schloss erneut die Augen.
Von den Zaungästen traute sich niemand mehr in ihre Nähe, so dass es nicht lange dauerte, bis beide sich vom Rhythmus der Musik leiten lassen konnten, verschmolzen in einer gemeinsamen Begierde, ihre Körper so nah beieinander, dass ein Leib mit vier Armen und vier Beinen die Mitte der Tanzfläche für sich beanspruchte. Irgendwann standen sie trotz der tobenden Welt um sie herum still, nur ihre Lippen öffneten sich, ihre Zungen nutzten den Raum, umtanzten einander, verspielt bis fordernd. Diesmal breitete sich die Hitze in ihrem Inneren aus, ließ die aufgeheizte Umgebung seltsam kühl erscheinen.
„Nicht hier“, damit vermochte sie zu bremsen. Und nach einem kurzen Innehalten bahnten sie sich einen Weg durch die Menge nach draußen. Die Luft kühlte sie kein bisschen, im Taxi saßen sie nur in einer erstarrten Position weit auseinander, darauf wartend, endlich allein zu sein. Sie hatte ihre Mantelkapuze über die Haare gezogen, wusste, dass er darunter litt, so wenig sehen zu können, schob aber ihre Beine ein wenig auseinander, um sein Interesse wachzuhalten. Viel getrunken hatte er nicht, schätzte sie. Das war ihr lieb, sie wollte alles genießen, was er ihr zu geben vermochte.
Die Haustür fiel gerade ins Schloss, als er sie schon an die Wand drängte, einen Kuss von ihr forderte. Sie erwiderte den Kuss, ließ sich ein Stück mitreißen, stoppte ihn aber doch.
„Deine Wohnung?“, fragte sie und lenkte ihn auf die rechte Bahn. Direkt im Erdgeschoss gab es kein Halten mehr jenseits der Wohnungstür. An die Wand gepresst saugte er ihren Atem aus ihrem Mund, umschloss sie mit Armen und Beinen, streichelte sie überall zugleich.
Als verfüge er über mindestens acht Hände, dachte sie. Ein Moment der Unachtsamkeit, in dem er unter ihren Mantel gelangte, das Shirt aus der Hose riss und ihr nacktes Fleisch berührte. Eine Welle ließ ihren Körper erbeben, sie zerrte gleichfalls an seinem Hemd, registrierte ein Unterhemd, doch gelangte sicher zu ihrem Ziel, ihn zu spüren, möglichst viel von seinem Oberkörper zu berühren. Weiter wollte sie im Flur nicht gehen.
„Sch, sch. Wir haben Zeit.“ Damit schob sie ihn einige Zentimeter weg, tastete nach einem Lichtschalter und sah das erste Mal in seine braunen Augen. Ihre Finger regten sich, sein Gesicht zu erkunden, sämtliche Erhebungen und Vertiefungen abzutasten. Dafür schloss sie die Augen erneut, ertastete den Haaransatz, suchte und umfuhr die Augenbrauenhärchen, strich in unendlicher Zeitlupe über jede einzelne Wimper. Erst dann glitten ihre Fingerglieder über die Wangenpartie, berührten zart die Nase und erreichten den Mund, der ihr ein Willkommen darbot, dass sie nur antestete. Sie fühlte die neu sprießenden Bartstoppeln und hielt erst am Puls seiner Halsschlagader an. Alles verriet ihr seine Erregung.
Sie vergewisserte sich in seinen Augen, lachte kurz, was er mit einem Knurren als Aufforderung begriff. Er zog sie in sein Schlafzimmer, in dessen Mitte ein rundes Bett stand, mit zierlichen Füßen eine Frauenfalle, wie sie belustigt registrierte. Sie ließ sich gern darauf ein, war es doch auch ihr einziges Ziel, sich mit ihm zu paaren. Ihre Lippen fanden sich erneut, saugten sich am anderen fest, während ihre Hände Haut spüren wollten, sich umspielten und fast mühelos der Kleider entledigten. Sie stürzten auf das Bett, die Augen in dunkler Leidenschaft verhangen, wenn sie nicht geschlossen blieben, intensiv alle Sinne auf das Erlebnis gerichtet, einem Höhepunkt zustrebend, den beide ersehnten, bei dem nur noch ihr animalischer Instinkt funktionierte, sie sich aneinander rieben, er sich in sie stieß und beide nur noch dieses Gefühl genossen, sich nicht lösend, klammernd, krallend.
Später lagen sie verschlungen im wohlig wärmenden Kokon, den ihre Leiber mit der Bettdecke formten, ermattet und befriedigt.
Er halb schlafend, sie, schon wieder erwacht, strich ihm die schweißnassen Haare aus der Stirn, pustete ein wenig, um ihn anzufachen. Im Dämmerlicht des anbrechenden Morgens wusste sie, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb. Sie reizte ihn durch leichte Bewegungen, ihre Augen versprachen ihm einen letzten Genuss, bevor sie gehen würde. Schon erwachten seine Sinne gänzlich, wirkte er dennoch ausgelaugt.
„Lass mich machen!“, hauchte sie ihm ins Ohr, und er ließ sich seufzend fallen. Sie zauberte weiße Stoffstreifen hervor, mit denen sie seine Arme und Beine an das Bett fesselte. Er ließ es geschehen, immer wieder besänftigt von ihren Küssen und Berührungen, gegen die er sich nun nicht mehr wehren konnte. Geschickt verschaffte sie sich das, was sie wollte, nahm ihn ein letztes Mal in sich auf, bevor sie sich in seinen verebbenden Zuckungen nach vorn beugte, mit ihren Kieferfühlern seinen Hals suchte, sich dort festbiss und ganz langsam saugend und stoßend ihr Gift in ihn verströmte. Ihre acht Arme und Beine umschlossen ihn, ihre Drüsen produzierten das Sekret, dass ihn allmählich in eine weiße Puppe verwandelte, die völlig ahnungslos, aber erfüllt nach einem finalen Liebesakt in den Todesschlaf hinüberglitt. Zurück blieb ein Körper, ausgebreitet, ausgesaugt und festgebunden in der Mitte eines Bettes, an dessen Rand sie noch eine Weile hockte, ihr Werk betrachtend, bevor sie sich streckte, in ihr eigentliches Wesen verwandelte und durch die Türritze verschwand.

© mb2011, 2. Version

Letzte Aktualisierung: 25.08.2011 - 20.39 Uhr
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