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Mysterium | August 2011

Jonas Fund
von Susanne Ruitenberg

Jona trank seinen Kaffee aus und streckte sich. „Ab an die Arbeit.“
Frieda lugte hinter ihrem E-Reader hervor. „Gehst du buddeln? Es nieselt.“
„Der Anbau soll schließlich fertig werden Und das Wochenende ist kurz.“
„Hast ja recht.“
Er stand auf, räumte seine Tasse weg und gab ihr einen Kuss. „Bis später.“
„Tschüss, mein Maulwurf. Verlauf dich nicht in deinem Erdloch.“
„Sehr witzig.“

Die Gummistiefel klebten schlammverkrustet auf der Treppe, ihre ursprüngliche Farbe war nicht mehr zu erkennen. Als er sich bückte, schrie jede Rückenmuskelfaser einzeln um Hilfe. Zu dumm, dass man nicht mit einem Bagger aufs Gelände gelangte, wegen der alten Bäume. „Du wolltest dich doch mehr bewegen“, war Friedas einziger Kommentar, als sie den Kaufvertrag unterzeichneten, und dabei grinste sie schadenfroh.

Immerhin, das Loch war so tief, dass er nur knapp über den Rand sehen konnte. Eine Schlammschicht vom Regen der letzten Nacht bedeckte das Ergebnis seiner Arbeit. „Na toll“, murmelte er, nahm den Gummibesen und schob den Matsch beiseite. Gestern war er beim Graben auf Mauerreste gestoßen - offenbar war sein Haus auf einem älteren erbaut; dabei saßen ihm selbst über zweihundert Jahre in den Mauern.
Nicht träumen, graben! Er zog die Handschuhe an und füllte den ersten Erdbehälter. Jedes Mal, wenn er den Bottich auf der selbst gebauten Rampe nach draußen zog, malte er sich aus, wie sie zukünftig in ihrem Arbeitsraum sitzen und die Aussicht auf den Garten genießen würden. Das war die Mühe allemal wert.
Kurz vor Mittag schabte sein Spaten unvermittelt über etwas Metallisches. Nanu, dachte er, hat jemand hier alte Kochtöpfe vergraben? Mit dem Gummibesen rieb er über die Stelle. Helles Metall kam zum Vorschein. Er ging auf die Knie und grub mit den Händen weiter. Kein Topf. Etwas Flaches. Da, wo der Spaten den Gegenstand gestreift hatte, glänzte es golden.
„Das ist ja unglaublich“, rief er wenig später und hob sein Fundstück hoch. Ein flacher Teller, den mehrere dickliche Figuren festhielten wie Feuerwehrleute ein Sprungruch. Ob der antik war? Vielleicht sogar wertvoll? Schon sah er sich mit einem Geldkoffer zur Bank traben und die Hauskredite auf einen Schlag abzahlen. Er stieg die Rampe hoch. Komisch, der Teller hatte so lange in der Erde gelegen und fühlte sich gar nicht kalt an.
Frieda würde Augen machen!
Aber vorher sollte er ihn ein wenig aufpolieren. Oder sollte er den Fund melden? Ach was, vielleicht war er gar nicht so alt.
In der Garage benetzte er einen Lappen mit Spiritus und bearbeitete die Patina. Nach und nach löste sich der Schmutz. Nanu? Die Oberfläche war über und über mit eingeritzten Kreisen bedeckt. Und nicht nur das, in den Kreisen saßen glitzernde Steinchen. Ob das ein Schmuckstück war? Nein, eher eine Art Opferteller. Hier waren viele Keltensiedlungen in der Nähe. Und er hatte womöglich einen Sensationsfund, würde ins Fernsehen kommen!
Er legte den Teller auf den Terrassentisch und stürmte in die Küche. „Schatz, du wirst nicht glauben, was ich ...?
Schritte. Ah, sie war oben. In dem Moment stürmte sie die Treppe herunter. „Hast du das gesehen?“
„Was gesehen?“
„Ich stand am Schlafzimmerfenster. Als die Wolkendecke eben aufgerissen ist, schoss ein bunter Lichtstrahl von der Terrasse nach oben. Wie ein Regenbogen, aber ganz hell.“
„Das wird doch nicht der Teller ...“
„Der was?“
„Komm mit.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie nach draußen. „Ich hab was Tolles gefunden.“ Sie näherten sich dem Tisch. Die Sonne verschwand hinter den Wolken
„Der ist ja wunderschön.“ Frieda nahm ihn vorsichtig hoch, wog ihn in den Händen. „Bronze, schätze ich. Und ganz warm von der Sonne eben. Keltisch?“
„Könnte sein. Siehst du das Kreismuster?“
„Wow, sind das Edelsteine?“
„Habe ich mich auch schon gefragt.“
Die Sonne brach durch die Wolken. „Schau mal, wie er leuchtet.“ Frieda wippte den Teller auf den Händen hin und her. „Er wird richtig heiß, aua!“
„Echt?“ Jona nahm ihn ihr ab. „Tatsächlich. Wegen dem bisschen Sonne?“ Auf einmal vibrierte das Metall. Bunte Funken schossen aus den Kreisen. „He, was ...?“, schrie er, und warf den Teller auf den Tisch zurück. Die letzten Wolkenfetzen verzogen sich, die Mittagssonne schien mit voller Kraft.
Plötzlich gab der Teller einen dumpfen Ton von sich, der Tisch wackelte, aus den Kreisen schoss buntes Licht in den Himmel. Wie Laserstrahlen.
Frieda schrie und sprang einen Satz rückwärts. „Um Gottes Willen! Jona, tu doch was.“
Jona näherte seine rechte Hand vorsichtig dem Tisch. „Autsch!“
„Hast du dich verbrannt?“
„Nein, einen elektrischen Schlag eingefangen.“
„Sollen wir die Polizei rufen oder die Feuerwehr?“
„Frieda, was sollen wir denen denn sagen? ‚Tschuldigung, wir haben da so eine Antiquität, die spuckt buntes Licht in den Himmel.’ Die würden höchstens die Männekens mit dem weißen Wägelchen und den weißen Kittelchen rufen.“
„Hast ja recht.“
Hand in Hand standen sie da und sahen dem Schauspiel zu. Nach einer Viertelstunde erlosch das Licht, das Vibrieren stoppte. Jona tippte das Ding vorsichtig an. „Er ist noch warm, aber er beißt nicht mehr. Wir sollten ihn mit ins Haus nehmen und ...“
„Untersteh dich!“
„Ok, in die Garage. In den Schrank, dass kein Sonnenlicht draufkommt. Und dann überlegen wir, wen wir informieren müssen.“

Sie trugen den Teller hinein.

Derweil, zur gleichen Zeit:

In Frankfurt am Main, auf der Zeil, rannte ein kleiner Junge einer Taube hinterher. Von einer Sekunde auf die andere verschwand er vor den Augen seiner entsetzten Mutter.

In Eschborn im Taunus verdampfte innerhalb von zwei Minuten das ganze Wasser im Swimmingpool von Dr. Dr. h.c. Hans-Hubertus Schmidt-Kreikenbohm.

In Hanau Klein-Auheim vibrierte der Brunnen auf dem Hof des Bauern Lippich und bohrte sich zehn Meter in die Erde.

An verschiedenen Stellen im südlichen Odenwaldkreis regnete es goldene Kugeln vom Himmel, die beim Auftreffen auf die Erde zerbarsten wie Seifenblasen. Jeder, der sie berührte, trug Verbrennungen dritten Grades davon.

In Bad König flohen alle Hofhunde, die nicht angeleint waren, und wurden nie mehr gesehen.

Weit, weit über unserer Erde, in Gegenden, die noch kein Teleskop, keine Sonde je berührt hatte, machte eine lange herbeigesehnte Nachricht die Runde:
Sie rufen uns wieder!


©Susanne Ruitenberg
Version 2

Letzte Aktualisierung: 25.08.2011 - 16.53 Uhr
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