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Mysterium | August 2011

Wie eine Brücke zum Mond
von Robert Pfeffer

„Euer Majestät, bitte bedenkt ...“
„Nein, Ihr werdet mir diesen Bau errichten. Einen, wie er sich im Königreiche Sachsen kein zweites Mal finden wird. Ihr kanntet meine Vorgaben von Beginn an, die Kasse nicht zu sehr zu belasten. Mein Volk soll nichts entbehren, dessen es bedarf.“
Anton der Gütige schritt zum Fenster und schaute auf die Elbe hinaus. Kleine Wellen brachen die sich im Fluss spiegelnde Sonne. Auf Gottfried Sempers Stirn sah ich hingegen Wolken aufziehen.
„Mein König, Ihr stellt mich vor eine Aufgabe, die kaum zu lösen ist“, sagte er bekümmert und schickte einen flehenden Blick an den Regenten.
„Es gehört zu meinen Vorzügen, zu wissen, was ich fordern kann. Und ich weiß, dass Ihr es schaffen werdet. Nun geht in Eure Bauhütte und baut!“

Gottfried blieb auf dem Weg dorthin stumm, sprach kein Wort zu mir. Sonst sprudelte er vor Ideen, wenn er vom König kam. Ich versuchte, ihm zu entlocken, was ihn bewegte, aber selbst mir wollte er nichts sagen. Erst am Ziel zeigte er eine Regung und sagte zu mir:
„Franz Christian, mein getreuer Freund. Du unterstützt mich nun schon seit über drei Jahren. Du bist mir wie ein Vater und Sohn zugleich, bist mal weise, mal ungestüm und findest oft das richtige Maß. Bist mir Muse und Muße in einem. Sag, kannst du Holz herbeizaubern, wo ich kein Holz kaufen darf?“
Ich zuckte die Schultern und konnte nicht dienlich sein. König Anton wollte ein stilvolles Interieur, ohne dafür zu bezahlen. Die von Gottfried gestaltete Holzvertäfelung tilgte er eigenhändig mit einem schwungvollen Federstrich aus den Plänen, schickte ihn auf die Suche nach einem anderen Material, welches das Staatssäckel schone. Meines Freundes Verzweiflung bereitete mir gleichsam körperliche Schmerzen. Seine Bertha trug das dritte Kind unter ihrem Herzen, während in jenen Tagen sein Ruf als Baumeister von werdendem Weltrange auf dem Spiel stand. Es musste etwas geschehen. Nur was?

Wir erreichten die Hütte und durch das Fenster winkte Lehrling Friedrich von Wennewitz, erwartungsfroh wie immer und doch anders als sonst. Als ziere er sich.
„Friedrich, wie weit kamst du mit den Stoffen? Ist einer dabei, der mir das Holz ersetzt?“
„Nein, Meister. Ich klebte, wie Ihr befahlt, die Proben des Schneiders an die Wand. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ist keine gut genug.“
„Ach, Friedrich. Du hast die besten Schulen besucht, bist Monate bei mir und doch fühle ich mich, als wäre es vergebens. Was kannst du schon von einem lernen, dessen Latein auf der letzten Seite angekommen ist? Werden deine Eltern, die dich in der Absicht zu mir gaben, ich möge aus dir einen guten Baumeister machen, nicht fürchterlich enttäuscht sein, wenn sie feststellen, dass ich dich nicht einmal lehren konnte, wie man ein Hoftheater ordentlich ausstattet?“
„Meister, Ihr lehrtet mich schon so Vieles, dass ich Euer Werk stets in Ehren halten werde. Daran wird auch eine Holzvertäfelung nichts ändern, die keine sein darf.“
Friedrich trat auf der Stelle, als dränge es ihn, sich zu erleichtern, doch er machte keine Anstalten, sich zu diesem Zwecke zu entfernen.
„Meister, ich muss Euch noch etwas ...“
„Jetzt nicht, Friedrich. Ich komme vom König und seine Geduld geht dem Ende zu. Franz Christian ist ebenso ratlos wie ich und so stehe ich vor dem Nichts. Verzeih, wenn mir die Stimmung für eine Beichte fehlt. Vielleicht morgen.“
„Es ist nur kurz und es tut mir auch Leid. Ich bitte um Vergebung, weil ich Euer ...“
„Schweig, Friedrich! Ich sagte, jetzt nicht. Streich den Leim noch auf, ich muss gleich einen weiteren Stoff an die Wand bringen, den ich vom Schneider holte. Vielleicht ist er die Lösung.“
Ich stand an der Tür, sah Gottfrieds Kummer und Friedrichs ihn drückende Last. Und doch fand keiner der beiden Worte, sich aus jener Lage zu befreien. Mit dem Ausdruck der Schuld im Gesicht rührte der Lehrling im Kessel. Er rührte eifriger als sonst, strich hastig den Kleber an die Wand.
„So, Meister, der Leim ist bereit.“
Der letzte Satz war kaum verklungen, als Friedrich, den tropfenden Pinsel in der Hand, das Haupt senkte und niederkniete. König Anton betrat die Bauhütte.
„Semper, es drängte mich, Euch bei der Arbeit zuzusehen.“ Er sah erst an die Wand, bemerkte dann die übrigen Personen im Raum.
„Gau, Ihr seid dem Semper ein wichtiger Berater. Was rietet Ihr ihm in der Frage des Holzes, das eingespart werden muss?“
Keiner wagte sich, ein Wort zu sprechen, während der Monarch an den Stofffetzen fühlte, jenen stummen Zeugen bisher untauglicher Versuche, ein weit härteres Material zu ersetzen.
„Majestät“, brachte Gottfried zögerlich hervor, um mit gepresster Stimme fortzufahren, „wir arbeiten unentwegt an einem Ersatz. Pinie aber, mein König, wäre ein perfektes ...“
Anton der Gütige hob die Hand. „Semper! Ihr werdet verstehen, dass ich mich nicht noch einmal mehr als mit diesem Satz wiederholen werde. Kein Holz! Findet etwas anderes. Und bedenket, dass meine Geduld nicht ewig dauert. Es wäre eine Schande für Euch wie für mich, könntet Ihr dieses Werk nicht vollenden.“
Gottfried folgte dem davonschreitenden Herrscher aus der Bauhütte und flehte ihn an.
„Majestät, es ist, als sollte ich eine Brücke zum Mond bauen. Als verlangtet Ihr von mir ein Haus auf dem Wasser oder Flügel, die einen Menschen fliegen ließen. Stellt mir eine Aufgabe, die ich lösen kann und Ihr werdet alles von mir bekommen, was in meiner Macht steht.“
Der König ging ohne ein Wort davon. Semper sank in die Knie. In gleicher Haltung verharrte drinnen der Lehrling, eine kleine Pfütze von Leim auf dem Boden hinterlassend. Ich bedeutete beiden, dass für heute Schluss sei und verriegelte die Hütte.
„Komm, Gottfried, ich bringe dich heim. Bertha wartet sicher bereits auf dich. Wir überlegen morgen weiter.“

Schon früh, so erzählte er mir tags darauf, drängte es meinen Freund wieder in die Bauhütte. Als ich zwei Stunden später eintraf, stand er vor der Wand mit den Stofffetzen und kratzte sich an der Schläfe. Ich trat ein und er drehte sich zu mir um.
„Franz Christian, ich stehe vor einem Rätsel. Sieh dir dieses Mysterium an!“
An der Stelle, an die Friedrich gestern den Kleber strich, zierte eine vollendete Holzmaserung die Wand. Ich legte meine Hand darauf und fühlte die Kühle des Steins darunter. Irritiert ging ich zum Schrank, spürte den Unterschied.
„Gottfried ..., was mag da ...“
„Ich sagte es doch, ich weiß es nicht. Es ist der Leim, keine Frage, aber was ist so anders an diesem hier im Vergleich zu den Tagen davor?“
Er wandte sich zum Kessel, stach mit einem Stock in der Masse herum. Der Behälter war zu drei Vierteln leer. Tief unten tauchte er den Pinsel ein und strich eine größere Fläche damit an, als es an der Tür klopfte. Der König kam ein weiteres Mal zu Besuch.
„Semper, ich grüße Euch! Gau ...“ Er neigte sein Haupt auch kurz in meine Richtung. „Es ist mir ein Bedürfnis, Euch nach gestern noch einmal zu erläutern, warum wir sparen müss...“
Anton der Gütige hielt beim Blick auf die Wand inne.
„Bei Gott! Was ist das? Es ist perfekt. Ihr habt ein Wunder vollbracht.“
Der um Fassung ringende Monarch fuhr mit beiden Händen über die gemaserte Fläche, ging mit den Augen ganz nah heran.
„Es ..., Gottfr ..., wie Holz und doch kühl. Welch eine Zeichnung! Ich bin begeistert. Wie habt Ihr das gemacht?“
„Nun, Majestät, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich ...“
„König Anton“, rief ich dazwischen, „Ihr müsst sehen, dass auch ein Baumeister seine kleinen Geheimnisse für sich behalten muss. Es handelt sich, soviel kann ich verraten, um eine weltweite Neuerung. Um eine Technik, für die Semper ein Denkmal gesetzt bekommen wird. Es ist wie mit einem Zauber. Der Magier darf ihn nicht preisgeben.“
„Gau, Ihr spannt mich auf die Folter! Aber ich verstehe Euren Hinweis auf den Ethos der Architektur und akzeptiere den Einwand, wenn auch widerwillig. Also, Semper, vollendet Euer Meisterwerk und gebt dem sächsischen Volke, was es verdient, gebt Eurem König, was er wünscht.“
Anton der Gütige schritt bester Laune von dannen, während Gottfried den obersten Knopf öffnete, um sich etwas Luft zu verschaffen.
„Franz Christian, du bist mein Retter. Ich hätte eingestanden, dass ich weiß, dass ich nichts weiß.“
„Gottfried, das wäre ehrenhaft gewesen, aber auch falsch. Mache dich unentbehrlich, indem du einen Teil deines Wissens für dich behältst.“
„Welchen Wissens, mein Lieber? Ich kann dir nicht sagen, was an diesem Leim so Besonderes ist, dass er getrocknet aussieht wie Holz!“
„Nicht?“
„Nein, bei Gott! Wenn ich es wüsste, würde ich schon die Zutaten zusammentragen, um ihn in großen Mengen herzustellen.“
„So müssen wir herausfinden, was hier passiert ist. Wir müssen das Mysterium lüften.“
Friedrich kam herein.
„Sieh, mein Guter, was über Nacht geschah. Ein Wunder an der Wand, ein gemasertes Rätsel, dessen Lösung es zu finden gilt. Hattest du eine neue Technik, den Leim gestern aufzutragen?“
Der Lehrling besah sich, was er angerichtet hatte.
„Meister, Ihr erinnert Euch, dass ich Euch etwas beichten musste?“
„Ja.“ Semper ermunterte ihn mit einem Lächeln, die Last heiter abzustreifen. „Sag, was du auf dem Herzen hast. Ich bin gut gelaunt und es ist ein guter Zeitpunkt für dich.“
Friedrich griff in den Kessel und beugte sich tief hinab. Im Mantel des Leims zeichnete sich seine Hand ab und etwas, das sie hielt.
„Dies, Meister, ist Euer Bierkrug. Ich stieß ihn gestern aus Versehen vom Tisch in den Kessel. Es tut mir leid und ich bitte um Verzeihung.“
„Du stießest das Schwarzbier in den Leim?“
„Ja.“
„Franz Christian, schreibe einen Auftrag für den Braumeister. Wenn er nach dem Zweck für tausend Liter fragt, sage ihm, wir müssten damit ein Theater bauen. Er wird es später einmal verstehen.“


(Version 3)

Letzte Aktualisierung: 26.08.2011 - 09.13 Uhr
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