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Mysterium | August 2011

Blanko
von Eva Fischer

Ich zähle nichts, bin einer unter vielen, exakt hundert und zwei, um genau zu sein.
Die einen vermögen nichts oder wenig. Ein Laut, der Erstaunen oder Bewunderung ausdrücken kann, vielleicht auch Ekel, also alles in allem sinnloses Gestammel, wie es schon aus dem Mund eines Babys hervorquillt. Die anderen sind allein tonlos, erinnern höchstens an Insekten, die sich naiv in den tödlichen Schlund des Lichts begeben.

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Doch wenn wir uns sinnvoll aneinander reihen, können wir Geistiges materialisieren.
Zahlenmäßig begrenzt schaffen wir dennoch unzählige Möglichkeiten. Variable, immer neu kombinierbar. Eine minimale Veränderung und aus WORT wird WERT, aus WEG wird WAG, aus FLIEDER werden LIEDER, aus LUST wird LAST, aus KUSS wird MUSS, aus NEID wird LEID, aus LEICHT wird SEICHT, das reicht.
Man kann mit uns spielen. Wir nehmen nichts übel. Für sinnlosen Schabernack sind wir genauso zu haben wie für geistige Gebilde. Klein beginnen sie und ziehen sich dann entweder in die Höhe oder Breite, wie durch eine konkave oder konvexe Linse. Fünfzehn Felder zum Quadrat sind das Stück Land, auf dem wir uns tummeln. Scheinbar unendlich variierbar werden wir in unsere Schranken gewiesen, stoßen an die Grenzen der Endlichkeit von Raum und Zeit. Langsam dehnen wir uns zu einem kleinen Universum aus, um alsbald wieder in alle Einzelteile zu zerfallen.
Dann warten wir im Dunklen, dass uns jemand ans Licht holt. In diesen Ruhephasen reiben wir uns aneinander, sinnen nach über Vergangenes und Zukünftiges.
Wann bekommen wir unseren neuen Einsatz? Selbst hölzern quadratisch fiebern wir nach neuen Einfällen unserer Schöpfer.
Manche Worte kehren immer wieder.

LIEBE
HASS
TOD
LEBEN.

Ich hasse Wiederholungen.
Ich liebe Einfallsreichtum.
Die Spieler sollten sich ruhig Zeit nehmen für den Klang des Ungewöhnlichen, für den Sinn abseits des Alltäglichen.

QUALLENKNÖDEL bringen viel, scheitern jedoch am strengen Gesetz des Meisters Duden.
Auch PIROUETTENHENGST, WEIBERGEWÖLK, FAHNENKOTZE, SAHNEMOPS, STRASSENGESCHWÜR, PLÜSCHBUTTERKORKEN, ROTKÄPPCHENMIGRÄNE,
FÖNFEUDEL, SCHEIBLUSTLÖWE assoziieren zwar durchaus vertraute Bilder, haben aber noch nicht Eingang gefunden in das Sprachstandardwerk. Kreativität wird eben eine Vorreiterrolle abverlangt.


Nicht jedes Feld, auf das man uns schickt, hat den gleichen Wert. Verdoppeln, verdreifachen, das treibt bei ehrgeizigen Spielern einen gierigen Glanz in die Augen.
Wie immer will der Mensch die größtmögliche Zahl besitzen. Das ist nicht nur bei Geld so.
Wir selbst sind auch nicht wertlos, aber je größer der Wert, desto höhere Anforderungen stellen wir.
Was fällt Ihnen ein zu Q ohne U ?
Bei Y hätten Sie gern vorneweg SEX, oder stehen Sie mehr auf die japanische Währung?
Das V kann einem schon gehörig auf den Nerv gehen.
Auch das C ist ohne das H oder K ein Ärgernis.

Ich zähle nichts.
Wer werde ich sein?
Eine Brücke zwischen zwei Mitlauten?
Ein ordinäres E, ein Lückenbüßer, gerade gut genug, um Worte zu verlängern?
Oder ein einzigartiger Buchstabe, der zu früh vergeben wurde?
Junge, Jäger, Jamaika....
Nein, Jamaika geht nicht.
Eigennamen müssen draußen bleiben.
Schade für Xerxes, Victor, Lätitia, Yamashita!!

Wer bin ich?
Ein Nichts, ein Alles.
Ein Blanko.
Wertlos und doch freudig genommen.

Gerade wurde ich gelegt:

M___STERIUM

Letzte Aktualisierung: 10.08.2011 - 00.22 Uhr
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