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Mysterium | August 2011

Der Glückspilz
von Hartmuth Malorny

Man nennt mich einen Schriftsteller, also einen, der auf hohem Niveau rangiert und aus purem Sauerstoff besteht. Ich kriege dauernd Einladungen zu Lesungen, überfliege die Briefe, höre lustlos am Telefon zu, und in puncto Honorar verlange ich mindestens das Doppelte von dem, was sie für mich einkalkuliert haben. Sind sie gewillt es mir zu geben, erhöhe ich aufs Dreifache. Hilft es immer noch nicht, vervierfache ich. Trotzdem sind welche darunter, die mich lesen hören wollen.
Man hat es nicht leicht, wenn der Ruhm an einem nagt, doch 99 von 100 Künstlern brauchen Anerkennung, sie nehmen jede Kritik persönlich, sind eitel und oftmals arrogant, bekommen sie aber Honig um ihr Maul, werden sie liebenswürdig, handzahm und reden lauter Stuss.
Man nennt mich zwar einen Schriftsteller, aber in Wirklichkeit tue ich nicht viel. Meine Bücher verkaufen sich von selbst. Will mein Verleger ein neues, schreibe ich es. Keine große Sache, bei der ich mich anstrengen muss.
„Wie Sie das nur hinkriegen,” sagt er, und ich: „Mit links.” Er geht mir auf den Senkel.
Die Medien sind viel schlimmer, die sind heiß auf möglichst authentische Berichte, den Furz im O-Ton, detailgetreue Wiedergabe darüber, warum man mit seiner Frau schläft, wie, wer sie ist, was man dabei denkt, wo und wann. Halt die 5 großen W`s des Journalismus.
Ich lebe in einer mittelgroßen Stadt, in einer mittelgroßen Wohnung mit einer mittelgroßen Frau. Das muss reichen. Aber das reicht niemandem, weder den Medien noch den Nachbarn, dauernd sind sie hinter mir her. Sitze ich in einem preiswerten Restaurant und trinke ein Glas Wein, lese ich am nächsten Tag: „Er dinierte opulent und verköstigte drei Flaschen Chablis.” Bin ich allein unterwegs und frage eine x-beliebige Person nach der Uhrzeit, erfährt meine Frau aus der Zeitung, dass ich verrückt nach Straßenbekanntschaften bin. Und so weiter. Da kommt eine Menge zusammen, da draußen in der Öffentlichkeit.
Das hier, was ich gerade verfasse, ist eine Arbeit, die ich neben dem Staubsaugen erledige oder beim Betrachten des Lampenschirms. Von anderen Kollegen höre ich, wie diszipliniert sie sind: Sie tippen 5 Stunden, korrigieren 3 Stunden und sind nachmittags völlig ausgelaugt, oftmals betrunken und für den Rest des Tages zu nichts zu gebrauchen.
Ich wache gegen 9 Uhr auf und bin um 21 Uhr wieder im Bett.
Hemingway, der sich schon um 5 Uhr ans Pult stellte, sagte mal: „Ich steh jeden Morgen vor der Frage: Mach ich`s heute oder schreib ich nur darüber?“ Und er meinte nicht das Saufen.
Gerade blicke ich aus dem Fenster, so zwischen zwei Sätzen. Laub bedeckt die Straße. Zwei Männer blasen es weg, dahinter kommt der LKW der es einsammelt. Noch ein, zwei Wochen, und man kann durch die Bäume schauen bis zur anderen Straßenseite. Das Geschehen hinter fremden Fenstern hat mich noch nie interessiert. Die häufigste Frage, die ich gestellt bekomme, lautet: „Ist ein Schriftsteller nicht ein permanenter Beobachter?”
Dumme Frage. Jeder Mensch, der Augen im Kopf hat, beobachtet. Soll ich deswegen zum Voyeur werden?
Oh, wie ich es hasse, wenn man mir hinterherguckt. Diese bohrenden Blicke im Rücken, die hasse ich besonders. Wäre ich ein Bauarbeiter, würde man mir alles verzeihen, doch da ich es bin, der vorbeigeht, muss ich jede Musterung hinnehmen, sowie die anschließende Beurteilung: Haben Sie die langen Haare auf seinem Jackett gesehen? Blonde Haare. Wenn der mal nicht aus einem Bordell kommt.
Dass ich einen Zoobesuch hinter mir hatte und im Freigehege ein Rhesusäffchen berührte, darf ich keinem erzählen. Das will niemand hören, weil es zu trivial ist. Künstler veredeln das Banale, sagt man gerne. Kennen Sie die Anekdote über Joseph Beuys, der voller Inbrunst eine Badewanne mit Fett beschmiert hatte, sie zur Ausstellung transportieren ließ, wo sie am Abend vor der Eröffnung von einer gewissenhaft arbeitenden Putzfrau wieder gesäubert wurde? Sicher, die Geschichte kennen Sie. Ging ja durch alle Medien. So wie meine. Wie sieht ein Künstler eigentlich aus? Wie jeder andere Mensch – bis man ihm sagt, dass er einer ist.
Langsam wird es dunkel, viel zu früh. Meine Frau sitzt schon vor dem Kamin, legt Holzscheite rein und will sich gleich am Prasseln, Knacken und Knistern des Feuers erfreuen. Sie mag hohe Flammen und wenn ein Funkenregen erbricht, sobald sie neues Holz auflegt. Der nachträgliche Einbau des Kamins, das kann ich ihnen verraten, war nicht gerade billig. Zumal mich der Handwerker als Schriftsteller dieser Stadt erkannt hatte. Er machte es wie ich bei der Honorarfrage meiner Lesungen, er schlug das Doppelte drauf.
Sonnenuntergang um 16 Uhr 39. Die Wohnungen gegenüber sind hell erleuchtet, es ist die Zeit, wo Männer und Frauen von der Arbeit nach Hause kommen, relaxen und den Fernseher einschalten, also alltägliche Dinge zwischen Heute und Morgen. Meinem Tun wird intellektuelle Brennschärfe abverlangt, dabei ist es nicht anders als ihres. Außer vielleicht, dass ich mich nicht großartig anstrengen muss. Alles fällt mir in den Schoß, meine Frau hat bereits richtig Mühe, das Geld auszugeben, das mir die Verleger, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen täglich, wöchentlich oder monatlich überweisen. Es läuft sozusagen wie Wasser aus einem sehr tiefen Brunnen von einer Turbopumpe hochgejagt, der erst versiegen könnte, wenn meine drei erwachsenen Töchter aus allen Enden dieser Welt hier auftauchten, doch ich schicke ihnen regelmäßig hübsche Karten mit lustigen Anmerkungen: Das schönste Wetter nützt euch nichts wenn`s regnet. Einmal im Jahr gleiche ich das Debetsaldo ihrer Kreditkarten aus.
Bevor ich nach nebenan gehe und Hirschragout, Kartoffeln und Rotkohl verzehre, schreibe ich noch ein Kapitel am neuen Roman. Selbstverständlich ohne Mühe. Das Wort Schreibblockade kenne ich nicht - eine leere Seite ist wie ein gemachtes Bett, in das ich mich gerne fallen lasse.
Im Traum, zwischen 21 und 9 Uhr, erscheinen mir verzweifelte Autoren, Hunger leidende Musiker, Schauspieler ohne Dach über dem Kopf oder Maler, die mit einem Regenschirm im Bett sitzen, weil es von der Decke tropft. Da sind knallharte Verträge, gedrückte Honorare, das Finanzamt, verpfuschte Abtretungsrechte und miese Kritiken; 99 von 100 Autoren schreiben nebenberuflich, das heißt, die Kunst alleine ernährt sie nicht. Ich erfahre etwas über Druckkostenzuschussverlage die ihre Autoren aussaugen, Literaturagenten mit 30-prozentiger Beteiligung und Lesungen, wo einem höchstens freie Getränke plus Fahrtkosten gestellt werden. Mehr nicht.
Zwei Zimmer weiter prasselt der Kamin, meine Frau genießt den Moment, nippt am Rotwein und liest wiederholt eines der unzähligen Bücher, die ich geschrieben habe. Irgendwann - das spüre ich immer - kommt sie ins Schlafzimmer. Dann höre ich weit entfernt das Rascheln ihrer Kleider, fühle wie die Matratze unter ihrem Gewicht leicht nachgibt und den warmen Körper, der sich an mich schmiegt. Nun folgt eine kurze traumlose Phase, ein dunkles Nichts. Vorher kenne ich keine materiellen Ängste, erst nach diesem Nichts, dem Vakuum der Traumlosigkeit, erscheint der Alptraum. Nun bin ich selbst einer der 99 Autoren, jemand der schreiben muss und depressiv vor der leeren Seite sitzt, weil ihm die Inspiration fehlt und er mehr darüber nachdenkt, ob das Geld bis zum Monatsende reichen wird, ob man lieber die letzten Kröten für einen Lottoschein verschleudern soll.
Meine Frau, ebenfalls Langschläferin, sagt jeden Morgen, sie habe mich auch diese Nacht aus den Klauen des Traumes “retten” müssen, und das macht sie sehr souverän, sie nimmt mich sanft in die Arme, flüstert mir ins Ohr, dass ich geborgen sei und verharrt so lange, bis mein Atem gleichmäßig wird, bis ich nur noch davon träume, wie ich mit ihr den nächsten Tag verbringen möchte.
Beschwingt stehe ich auf, trinke Kaffee und schreibe mal eben ein Kapitel, eine Rezension oder eine Reportage, und nach dem Mittagessen nehme ich Telefonate an und verhandele über Lesungen und Fernsehauftritte. Das Geld auf meinem Konto rückt in den fünfstelligen Bereich, nach dem Winter kommt der Frühling. Ich habe es gut, tagsüber schlage ich mich mit den Widrigkeiten eines Schriftstellers rum, nachts tut es meine Frau. Wir ergänzen uns. Wie sonderbar.

Letzte Aktualisierung: 26.08.2011 - 09.08 Uhr
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