'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Landleben | September 2011
Nächstes Jahr wieder Malle!
von Susanne Ruitenberg

Drei Augenpaare blickten mich entsetzt an.
Als hätte ich deren Besitzer soeben zum Tode verurteilt.
Dabei hatte ich ihnen bloß verkündet, dass der Strandurlaub in diesem Jahr gestrichen und durch Urlaub auf dem Bauernhof ersetzt war.
„Aber Mama“, quengelte Finn, „ich hab mich schon mit Lukas aus Köln verabredet.“
„Schatz, meinst du nicht, wir sollten so etwas zusammen entscheiden?“ Bernds Stirnrunzeln warf Extrafalten.
„Gibt’s da auch Eis?“, piepste Mia.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Keine Diskussion. Fliegen ist teuer, ökologisch nicht zu rechtfertigen und außerdem wird es Zeit, dass ihr wieder Respekt vor Lebensmitteln bekommt. Schaut euch eure Teller an, was ihr wegwerft. Davon könnte man die Kinder in Afrika bequem ernähren.“ Über den Spruch hatte ich mich als Kind immer aufgeregt. Als könnte man das Essen dort hinbeamen. Und jetzt sagte ich ihn selbst! So tief war ich schon gesunken. Aber in letzter Zeit war nur noch von Lebensmittelverschwendung die Rede. Ein Buch jagte den nächsten Kinofilm über Essensvernichtung, und auf dem Schulfest war ich von Frau Döbner-Grumschütz-Häcker, die den Eine Welt Laden managt, angesprochen worden, sie hätte gesehen, wie Finn sein Schulbrot weggeworfen habe und ob ich meine Kinder nicht zu vernünftigen, sozial eingestellten Menschen erziehen könne.
„Ja, aber, wir haben doch gebucht!“, rief Bernd, nachdem er sich von der Schockstarre erholt hatte.
Ich schüttelte den Kopf. „Hotel hat einen Wasserschaden, vorhin kam eine Mail. Das Ersatzhotel sah schrottig aus. Da habe ich gleich alles abgesagt. Und einen wunderschönen Bauernhof mit Pension gefunden. Ein Badesee ist auch in der Nähe, nur drei Stunden von hier.“
Ich verschwieg ihnen, dass es ein Lehrbauernhof für Stadtkinder war, in dem sie lernen würden, wie menschliche Nahrung entsteht. Auf dem Feld und im Stall, hatte es auf der Website geheißen. Ich war gespannt.

Zwei Wochen später fuhren wir los. Nach dreißig Kilometern mussten wir umkehren, weil Mia ihren Schlafhasen vergessen hatte. Die Aussicht auf vierzehn Tage Gequengel ließ den Umweg als kleineres Übel erscheinen.
Die Fahrt dauerte drei Stunden, wie ich ausgerechnet hatte, und kann als gute Fahrt verbucht werden: Mia kotzte nur zwei Mal ins Auto, Bernd verfuhr sich – dank Navi – nur ein Mal (er war der Meinung, das Navi erzähle Müll) und Finn beschäftigte sich die ganze Zeit mit seinem Handy, anstatt über alles und jeden und insbesondere über echte oder vermeintliche Verfehlungen seiner kleinen Schwester zu nörgeln. Vielleicht hätten wir ihm schon eher eins schenken sollen als zu seinem zehnten Geburtstag.
Schließlich erreichten wir den „Hof Sonnenschein“, ganz in der Nähe eines malerischen bayerischen Dorfes gelegen.
Bei unserer Ankunft regnete es in Strömen und das Auto schlingerte auf der Einfahrt. Bernd nörgelte über Schlammspritzer auf seinem BMW. „Hab dich nicht so, der Regen wäscht die wieder weg. Und wir hätten ja meinen Kombi nehmen können, wenn ...“ Ein Seitenblick zeigte mir, dass er rot wurde. „... wenn du ihn nicht letzten Monat auf dem Baumarktparkplatz geschrottet hättest“ ergänzte er den Satz ganz von allein in Gedanken. Aber ich sollte nicht so streng mit ihm sein. Der 15-Tonner, dem er die Vorfahrt genommen hatte, war wirklich ausgesprochen winzig gewesen.
Die Unterbringung übertraf meine Erwartungen: Gepflegte Doppelzimmer mit Bad, wie Reihenhäuschen angeordnet, eine Verbindungstür zwischen den Zimmern. Und vor allem: Kein TV.

„Bist du wahnsinnig?“, rief Bernd, als am nächsten Morgen um sechs der Wecker klingelte.
„Frühstück ist um sieben. Die Kinder haben volles Programm.“
„Ich hab Urlaub, da will ich ausschlafen!“
„Sei froh. So haben wir nachher Zeit für uns.“
Statt einer Antwort grunzte er und drehte sich auf die andere Seite. Ich zuckte die Achseln. Wenn er kein Frühstück mehr bekam, war nicht mein Problem.
Auch die Kinder maulten, als ich sie weckte. „Ihr wollt doch nicht die Treckerfahrt verpassen?“ Hoffentlich gab es auch eine, das hatte ich ins Blaue gesagt.
„Treckerfahrn?“ Finn sprang so schnell aus dem Bett, als hätte er eine Sprungfeder im Hintern.
Ich half Mia beim Anziehen und Punkt sieben waren wir im Frühstücksraum. Es duftete verlockend nach Kaffee und Brötchen. Die Tische bogen sich unter Wurstplatten, Käseplatten, Brotbergen, Konfitüren. Die anderen Gäste hatten Kinder in allen Altersstufen. Prima, dachte ich. Wir geben die beiden morgens ab und abends nehmen wir sie wieder in Empfang. Müde gespielt und reif fürs Bett.
Ich sah mich schon im Liegestuhl liegen, eines der seit langem aufgeschobenen Bücher in der Hand, neben mir auf einem Beistelltisch einen gepflegten Cocktail und Bernd, der mir auf Zuruf den Rücken eincremte.
Pustekuchen!
Irgendwie musste ich bei der Anmeldung was übersehen haben. Das war kein Lehrbauernhof für Kinder. Nein, sondern für ganze Familien.
Wir mussten auch ran, und wer versuchte, sich zu drücken, wurde von den anderen Eltern schief angesehen. Ganz schief. Manche veranstalteten regelrecht einen Wettbewerb zum Thema „Ich bin bäuerlicher als du“.

„Was ist denn das für’n Scheiß“, schimpfte Bernd, als er Blutwurst rühren sollte. „So was ess ich nie wieder. In Zukunft kochst du für mich vegetarisch.“
Oh-oh. Mir kamen erste Zweifel an meiner Urlaubswahl.
Mia blieb am dritten Tag zu lange im Kälbchenstall. Irgendwie wurde ihr schlecht von der dampfigen Luft da drin und sie kotzte erst mal zwei Nächte und einen Tag durch.
Nachdem das überstanden war, wurden wir in der nächsten Nacht von einem gellenden Schrei geweckt. Wir stürzten ins Kinderzimmer und ich sah vor meinem inneren Auge schon blutüberströmte Kinder liegen. Nichts da. Finn hatte sich unter die Bettdecke verkrümelt und Mia stand senkrecht im Bett.
„Was ist denn, Schatz?“
„Da ist eine Schnake. Ich hab sie surren gehört.“
Zwei Stunden später hatten wir das Tier geortet und erschlagen und durften weiterschlafen.

Am Freitag fiel Finn vom Heuschober, als er mit zwei anderen Jungs Heuballen aufräumen wollte, und stauchte sich das Handgelenk.
Kaum waren wir vom Krankenhaus, nur 80 km entfernt, zurück – er hatte sich Gottseidank nichts gebrochen – übersah ich eine Wespe, in dem Eis, das wir uns zum Trost gönnten und wurde in den Mund gestochen. Zum Glück kannten wir den Weg zum Krankenhaus schon und ich bekam die Cortisonspritze noch rechtzeitig, um nicht zu ersticken.

Am Samstag lernten wir etwas Neues: Bernd hat eine Tierhaarallergie. Gut, dass wir das jetzt wissen; so ist das Thema Haustiere ein für allemal vom Tisch. So war er zu meiner Freude in der zweiten Woche nur noch für Gartenarbeit eingeteilt, denn bei der Erwähnung von vegetarischem Essen bekomme ich die Krätze.
Am Montag wurde Finn vom Hofhund umgerissen, als er die Katzen füttern sollte. Na ja, ich denke, bis zum Schulanfang wird das blaue Auge wieder weg sein. Nicht, dass Frau Simonscheid-Redlich, seine Lehrerin, denkt, wir würden unsere Kinder verprügeln.
Und auch Mias eiternde Wunde an der rechten Hand, die sie sich beim Eiersammeln geholt hat – da muss ein Huhn auf ihr rumgepickt haben - ist bis dahin sicher abgeklungen.

Beschäftigt, wie wir waren, verging die Zeit wie im Flug. Zumal wir jeden Abend um neun todmüde ins Bett fielen. Ich weiß gar nicht, warum alle so jammerten. Mir machte die Arbeit Spaß. Besser als ein Vollzeitbürojob mit Haushalt und Kinderbetreuung war es allemal. Ich setzte mich an den gedeckten Tisch, musste keine Hausaufgaben kontrollieren, und war den ganzen Tag an der frischen Luft. Sicher würde ich bis Montag meine Fingernägel mit der Bürste und etwas Chlorreiniger auch wieder weiß bekommen.

Am Morgen unserer Abreise betrachtete ich am Frühstückstisch meine kleine Familie. Alle hatten schwarze Augenringe, Bernds Halbglatze schälte sich – der Sonnenbrand aus der ersten Woche - die diversen Verbände und Pflaster waren ergraut von Landschmutz. So richtig erholt sahen sie ja nicht aus. Die Kommentare der Nachbarn, wenn wir heute Abend so aus dem Auto stiegen, mochte ich mir nicht ausmalen.
„Wisst ihr was?“, fragte ich.
Ein müdes „Hm“ aus drei Kehlen war die einzige Antwort.
„Ihr habt gewonnen. Nächstes Jahr fliegen wir wieder nach Malle.“


©Susanne Ruitenberg
2. Version

Letzte Aktualisierung: 27.09.2011 - 16.22 Uhr
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