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Landleben | September 2011
Briefe an Elisabeth
von Jochen Ruscheweyh

Liebe Freundin!
Ich habe einen Seelenverwandten gefunden. Die Hunde jagen ihn über den Hof, die Hühner picken nach ihm, ja selbst die Mäuse scheinen wilde Husarentänze vor ihm zu vollführen. All das erträgt er mit einer nahezu stoischen Gelassenheit, neigt nicht ein einziges Mal sein Haupt, wenn er über das grauen Hofpflaster schreitet. Er strahlt etwas Aristokratisches aus. Daher habe ich mich entschieden, ihn Sir Tobi zu nennen.
Auch wenn Alfred seine Tiere gut behandelt, hegt und pflegt, wirkt ihr Fell doch oft struppig und glanzlos. Sir Tobi hingegen scheint in edlen Nerz gehüllt. Er verbringt viele Stunden damit, seine seidig glänzenden, feinen Härchen zu säubern und in Form zu bringen. Und was tue ich eigensüchtige Evastochter? Zerzause seine sorgfältig gerichtete Pracht, weil ich keine Aufgabe habe, nichts mit mir anzustellen weiß, außer, einen eigenbrötlerischen Kater zu kraulen.

Karla




Elisabeth, meine Teuerste!
Der Herbst ist gekommen. Ich wandele durch Alfreds Felder, streiche über die satten Ähren, aber ihr Duft, der mir so viel bedeutete, durchdringt mich nicht, so sehr ich mich auch mühe. Als läge eine feine, aber dichte Staubschicht auf meiner Seele, geradeso wie in der alten Mühle, wo Alfred sein Korn zwischen riesigen runden Steinen zerreiben lässt. Aber wie sollen mich all die Dinge, die ich so liebe, erfreuen, wenn mich dieser Staub erstickt, Nase, Ohren und Augen verschließt?
Oh, Elisabeth, ich wünschte, Du könntest kommen und Dein Stubenmädchen mitbringen, das Dein Heim immer so ansehnlich hält. Das schüchterne Ding, in deren Augen ich abwechselnd die Unschuld und den Teufel aufblitzen sehe. Was gäbe ich darum, noch einmal ihre Unbeschwertheit besitzen zu dürfen, auch wenn ich meinen Stand dafür verlöre!

Karla




Liebste Freundin!
Bitte verzeihe mir meinen torhaften Ausbruch von Niedergeschlagenheit. Du befindest Dich im Recht. Ich zähle noch keine dreißig Jahr und bin mit einem der reichsten Gutsherren des Landstrichs vermählt. Ich sollte mich jeden Morgen, wenn das Tageslicht durch meine Vorhänge drängt, vor meinem Schöpfer auf die Knie werfen und ihm für mein Schicksal danken. Alfred tadelt mich bereits ob meiner getrübten Grille. Er wünschet sich eine strahlende Erscheinung an seiner Seite, wenn er sich auf seinen Ländereien zeigt. Ich bemühe mich nach Kräften, aber es will mir nicht gelingen. Sag mir, treue Freundin, muss ich geduldiger mit mir sein?

Karla




Beste Elisabeth!
Die ersten warmen Sonnenstrahlen lassen den Boden tauen. Und gleich der Berührung mit einem Zauberstab ist alle Last von mir gefallen. Fand ich noch vor wenigen Wochen mein einzig Glück in ausgedehnter Nachtruhe unter dicken Daunen, ersehne ich das Tageslicht nun schon Stunden vor der Röte. Es gibt so Vieles zu entdecken auf dem Gut, in Flur und Birkenwald, dass der Tag nicht genügt, dieser mannigfaltigen Eindrücke habhaft zu werden. Alfred bereist in diesen Wochen Märkte und Auktionen, um Dinge für die Zucht zu erstehen. Er sagt, beim Militär nenne man es „Lagerkoller“, worunter ich litte. Das sei ganz normal, wenn man sich lange Zeit an einem Ort aufhielte, sich aber noch keine richtige Bewährungsprobe ergeben habe. Ich solle mich nicht grämen, er habe etwas zu meiner Zerstreuung veranlasst. Etwas, das nicht nur geeignet sei, die Karla, in die er sich verliebt habe, wieder hervorzukehren, sondern darüber hinaus imstande, mich noch näher an die Region und die Ländereien zu binden. Ist das nicht wunderbar?

Karla




Gütige Elisabeth!
Ich war bereits in Sorge, Du tadeltest mich ob meines eigensinnigen Vergnügens, da erreichte mich Dein Brief. Du gönnest mir meine Zerstreuung wie keiner anderen Freundin auf dieser Welt. Welche Last von meinem Herzen fällt!
Hatte ich übrigens berichtet, wer mich auf meinen Exkursionen in und um Halberhofen begleitet? Alfred hat einen Bruder! Und was für einen gescheiten noch dazu! Die Herren Professoren in Münster halten die größten Stücke auf Heinrich, aber er ist weit davon entfernt, mit seinen Begabungen zu prahlen. Ich empfinde seine Gesellschaft in so vielerlei Hinsichten als bereichernd. Wenn er mir Dinge erklärt, dann auf eine schlichte, aber nicht ermüdende Weise und ohne den erhobenen Zeigerfinger. Gleichzeitig strömt die Schüchternheit aus einer jeden seiner Poren. Zuweilen weicht er meinem Blicke aus oder errötet wie ein reifer Apfel, wenn mir eine unschickliche oder zweideutige Bemerkung entfährt. Ich bin eben eine, die ihre Worte oft nicht mit genügend Bedacht wählt. Das muss einen jungen Mann verwirren, aber Elisabeth, ich will mich ja bessern.
Manchmal wünschte ich, ich besäße Deinen Anstand und Deine Manieren, Deine Raffinesse, Dich mitzuteilen.

Karla




Bescheidenste aller Freundinnen!
Ich muss Dir auf das Schärfste widersprechen. Deine Erscheinung, Deine Liebreiz und Dein Geschick, mit Menschen umzugehen, sind eine Gabe, die unser Herrgott nur Wenigen in die Wiege legt. Was ist dagegen schon der flüchtige Glanz einer schönen Hülle, die mir zuteil geworden ist? Sie verwelkt, wohingegen Du bis ans Ende Deiner Tage von Deinem Reichtum zehren kannst.
Dennoch sollst Du nicht denken, Neid spräche aus meinen Worten. Ich habe mich vor Langem mit meinem Schicksal ausgesöhnt und beschreite weiter den Weg, den unser Herr für mich bestimmt hat.
Aber wieder zurück nach Halberhofen! Ich teile mein Leben nunmehr mit drei Mannsbildern. Das erste ist – wie ich Dir berichtete – auf Reisen. Das zweite erwartet mich im Morgengrauen, buhlt auf das Herzlichste um mich, streicht um meine Beine: mein Sir Tobi. Und das dritte? Es entführt mich in immer neue Welten, erklärt mir die Philosophie, hat mein Interesse an Waldingheim, Sunamoti und Peppingslau und ihren Werken geweckt.
Beste Elisabeth, das Glück trieft wie Honig aus Waben über Deine Freundin!

Karla




Meine verständnisvolle Freundin!
Etwas ist geschehen, von dem ich nicht weiß, ob es Deine Billigung findet. Glaube mir, das Gefühl, es andauerte nur so lange, wie ein Zitronenfalter für einen Flügelschlag benötigt. Aber was kann schon die Länge eines betrügerischen Gedankens, einmal entfesselt, über dessen teuflische Macht Auskunft geben?
Wir tauschten gerade die existenziellsten Gedanken, als eine meiner Locken die Fassung verlor und in mein Antlitz fiel. Sofort war seine Hand zur Stelle, mich dieser Unbequemlichkeit zu entledigen, was mich nicht weiter beschwert hätte, sind wir doch mittlerweile vertraut miteinander wie Bruder und ältere Schwester. Doch dann sah er mich auf eine merkwürdige Weise gerührt an, und behauchte die Stelle, die einen Augenblick zuvor noch meine Locke bedeckte, mit seinen Lippen, um dann, als hätte seine Liebkosung niemals stattgefunden, mit seiner didaktischen Erörterung fortzufahren. Elisabeth, ich fühle mich furchtbar, allein um der Tatsache, dass mein Herz einen Schlag aussetzte!

Karla




Nachsichtigste Elisabeth!
Du kündigtest mir nicht die Freundschaft ob meiner Entgleitung. Wie sehr ich in Deiner Schuld stehe! Ich habe lange über Deine Zeilen sinniert. Vielleicht ähnele ich Deinem Stubenmädchen und daher meine Zuneigung zu ihr.
Machen wir nicht auf dieselbe Weise – unfreiwillig und unschuldig – die Mannsbilder um uns herum schwindelig? Kommt es nicht einem Fluche gleich, niemals nur in Platonie und Freundschaft einem Menschen verbunden sein zu können?
Ich möchte Dir heute mein allerehrenwertestes Versprechen geben, am Sonntag in die Beichte zu gehen und mein Gewissen zu erleichtern. Ja, so soll es sein.
Aber noch eine Merkwürdigkeit, die ich erwähnen muss: Seit ein paar Tagen ist Sir Tobi verschwunden.
Kein Morgen vergeht, an dem ich nicht nach ihm Ausschau halte, auf dem Hof, in den Ställen und angrenzenden Feldern. Ich bete zu unserem Herrn, dass ihm nichts geschehen sein mag.

Karla




Elisabeth, meine Seele!
Das Leben erscheint zuweilen grausam und der Himmel mit dunklen Wolken verhangen.
Gestern Morgen saß Sir Tobi vor meiner Tür. Als ich ihn aufzunehmen und zu herzen beabsichtigte, fuhr er die Krallen aus und starrte mich aus hasserfüllten Augen an. Setzte zu einem Sprung nach einem winzigen, harmlosen Mäuserich an - welch ungleicher Kampf - um diesen schließlich kaltblütig vor mir zu richten. Ich schauderte.
Zudem kam Alfred gestern heim, eine Herde Rinder im Tross. In den abscheulichsten Worten wetterte er gegen den armen Heinrich, mahnte ihn wegen unerledigter Dinge und dessen – er nannte es – aufgeblasenem Gehabe. Kannst Du Dir vorstellen, Elisabethen, mich verbannte Alfred in die Deele! Als er mich schließlich aus meinem Gefängnis entließ, betrug er sich anständig, entschuldigte sich recht und lud mich für kommenden Sonntag zum Rudern auf dem See ein. Dort werde er mir alles erklären.

Zu Toden betrübt
Karla




Innigste aller Freundinnen!
Mein Verstand sagt mir, wir werden längere Zeit nicht voneinander hören. Nur so viel: Gestern kam es zu einem furchtbaren Unglücke auf dem See. Alfred maßregelte mich schwer ob meines Umgangs mit Heinrich. Böen kamen auf. Wir gerieten in Streit, das Boot ins Schwanken und der von oben herab scheltende Alfred verlor das Gleichgewicht. Sein Kopf tauchte noch wenige Male zwischen den Schaumkronen auf. In meiner Enttäuschung, auf diesem Ausflug gar so wenig liebenswürdig von ihm behandelt worden zu sein, spottete ich, was für ein Mannsbild er sei, sich nicht über Wassern halten zu können. Elisabeth, da war mir doch nicht bekannt, dass der Vater ihm das Schwimmen niemals lehrte!
In meiner Not hielt ich ihm ein Paddel hin: allein, es war zu spät.
Mit letzten Kräften rettete sich Deine Karla auf festen Boden. Ein herbeigeeilter Knecht stach noch einmal mit dem Boote in See, um auf halbem Wege wieder umzukehren ob der peitschenden Gischt.
Ich habe alles reinen Herzens zu Protokoll gegeben. Dennoch wollen der Herr Landrat und der Ministerialienbeamte mich noch einmal aufsuchen in ebendieser Angelegenheit. Ich war verzweifelt und habe nach Heinrich rufen lassen. Ein Diener teilte mir mit, dieser habe sich sofort auf den Weg gemacht. Elisabeth, es klopfet, das wird er sein.

Lebe wohl,
Karla

Letzte Aktualisierung: 19.09.2011 - 21.41 Uhr
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