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Landleben | September 2011
Die BrĂŒder Daxbichler
von Reiner Pörschke

Hans atmet schwer, wĂ€hrend er an diesem herbstlichen Sonntagnachmittag allein auf dem Speicher des schĂ€bigen, kleinen Hauses steht. Vor ihm, auf einem alten Tisch, steht eine Flasche mit billigem Obstler, die halb ausgetrunken ist. Über ihm baumelt am Querbalken ein Seil, das in einer Schlinge endet.

„Aber ich bin doch erst 35 Jahre alt“, seufzt er, „ich will noch nicht sterben“. Dabei blickt er durch das schmutzige Fenster auf die grĂŒn bewaldeten Nockberge gegenĂŒber, die von der tiefstehenden Abendsonne in goldenes Licht getaucht werden. Durch den Spalt des geöffneten Fensters dringt der frische Geruch von abgemĂ€htem Heu herein. Aus der Ferne lĂ€utet eine Kirchenglocke zur Abendmesse.

„Ich will noch nicht sterben. - Aber weiterleben macht doch auch keinen Sinn!“, wispert er ratlos vor sich hin. Er nimmt wieder einen großen Schluck Obstler und denkt zurĂŒck ...


*

Hans denkt zurĂŒck an die glĂŒckliche Jugend, die er auf dem Bauernhof seiner Familie verlebt hat ...

„Wie gerne habe ich mit meinem Bruder Christl, den kleinen KĂ€lbern und Katzen gespielt! Wir waren zwar nicht reich. Aber der Hof gehörte uns, fĂŒr uns Kinder war er das reine Paradies... Dann noch die schönen Sommertage mit unseren UrlaubsgĂ€sten aus Wien oder sogar aus Deutschland.

Die deutschen SommergĂ€ste ....dazu zĂ€hlten ein paar Verwandte, diese Metzgersippe. Wie aufregend war es, wenn die mit ihren tollen Autos in den Hof einbogen. An den GĂ€steabenden beim Postwirt haben sie uns dann erst recht gezeigt, dass sie im Norden mit ihrem Handwerk zu Wohlstand gekommen sind. Runde auf Runde haben sie uns spendiert. Wie haben wir da mit großen Augen gestaunt!

Den PensionsgÀsten haben wir in der Abendsonne vor dem Hof beide gern zugehört, Christl besonders. Die MÀdchen haben ihn ja immer besonders gern gemocht wegen seiner dichten, schwarzen Lockenhaare, irgendwie hat er ja auch einen slowenischen Einschlag. Er war schon immer ein bisschen verschlagen und die Arbeit hat er nicht gerade erfunden. Bei Bier und Wein in froher Runde war er dagegen unschlagbar.

Dass in Deutschland der Metzger weitaus schneller zu Geld kommen kann als wir durch jahrelange mĂŒhselige Arbeit auf einem Bauernhof, das hatte er schnell begriffen. Schlachten von Tieren, das Ausnehmen und die Verarbeitung zu Wurst und Braten kannte er ja auch bereits seit seiner Kindheit, Blut hat ihm nie etwas ausgemacht. Er wollte deshalb Metzger werden, egal wie und wo, begeistert ging er mit den Verwandten nach Norden.“
„ Ich, Hans, der jĂŒngere Bruder, bin zuhause geblieben. Ich Idiot habe die ganze Arbeit auf dem Hof gemacht, weil ich Bauer mit Leib und Seele war. Keine MĂŒhe war mir zu groß, keine Arbeit zu schwer!

Mit den SommergĂ€sten habe ich mich auch immer gut verstanden. Brauni, mein lieber gutmĂŒtiger Haflinger, hat mit dem Leiterwagen so oft eine lustige Urlauberschar ĂŒber die Waldwege in die Felder gezogen. Dort haben die Kinder unserer GĂ€ste so begeistert bei der Erntearbeit geholfen oder am glucksenden Wildbach gespielt, der sich durch Wald und Gras schlĂ€ngelt.“


*

„ Christl blieb jahrelang fort. Was er in seiner Freizeit gemacht, ist mir aus seinen seltenen Briefen nicht klar geworden, wahrscheinlich saß er abends meistens in der Kneipe herum, wo er wohl seine wenigen Freunde fand. Immerhin hatte er aber als Metzgergeselle im Norden sein finanzielles Auskommen..... Jeder dachte doch, er wird Metzger bleiben.
Felsenfest hatte ich damit gerechnet, den Hof zu ĂŒbernehmen, obwohl bei uns stets der Ă€lteste Sohn Anspruch auf die Hoffolge hat.

Dann der Schock, als Christl eines Tages wieder in der Heimat auftauchte und in unserer TĂŒr stand. Sein Chef hatte ihm gekĂŒndigt. Christl’s schlechter Ruf hatte sich herumgesprochen. Eine neue Stelle hatte er nicht mehr in Aussicht.

Dennoch ist er in der Stube recht schneidig aufgetreten und erklĂ€rte uns allen selbstbewusst: „Ich will der Bauer sein, ich bin der Ă€lteste Sohn!“ Ich habe meinen Ohren nicht getraut, der Boden wurde mir unter den FĂŒĂŸen weggezogen. Jeder in meiner Familie dachte doch auch sofort daran, dass der Hof nur durch meine jahrelange Arbeit erhalten geblieben ist. Der Vater hat schwer geschluckt und lange nachgedacht. Seine ersten SĂ€tze waren dann: „Brauch und Recht bei uns sind, dass der Ă€lteste Sohn den Anspruch hat, den Hof zu ĂŒbernehmen. Wenn Christl das jetzt will, muss ich ihm den Hof geben.“. Diese Worte hallen mir noch heute in den Ohren.“

*

„Ich konnte nicht als Knecht unter meinem Bruder weiterarbeiten. Ich musste den Hof verlassen und als Arbeiter im Steinbruchwerk anheuern“, spinnt Hans seine Gedanken fort. „Aber ich war doch der Bauer und soll jetzt Fabrikarbeiter sein? Statt auf dem eigenen Feld oder in meinem Hof zu arbeiten, tĂ€glich stundenlang mit einer Maschine Felsbrocken in kleine StĂŒcke schneiden?

Das kann ich nicht, ich kann auch nicht auf einem anderen Bauernhof als Knecht arbeiten“, keucht er verzweifelt in der Leere. Er nimmt noch einen letzten großen Schluck Obstler, steigt auf einen Stuhl, legt sich die Schlinge des Seils um den Hals und stĂ¶ĂŸt den Stuhl mit seinem Fuß fort.





*

Christl hat den Hof ĂŒbernommen. Er heiratet und hat einen Sohn. Der Hofbetrieb lĂ€uft mehr schlecht als recht. Die unsicheren Ernten und die tĂ€gliche Plackerei werden ihm zuviel. Die SommergĂ€ste bleiben aus. Ob aus Überforderung, wegen seines Hangs zum Alkohol oder gar aus Gewissensbissen: Christl sucht immer mehr die Einsamkeit. Zum Hof gehört eine SennhĂŒtte oben auf der Alm. Dort verbringt er viele Stunden allein.

„Ich muss auf den rĂ€uberischen Luchs aufpassen“, sagt er zu seiner Frau. Die sieht ihn sorgenvoll an, wenn er, bewaffnet mit seiner Flinte, von ihr Abschied nimmt, um die Nacht auf der Alm zu verbringen.

An einem Wochenende im November kehrt er nicht wie ĂŒblich am Sonntagabend zurĂŒck. Man geht ihn suchen. Er liegt tot in seiner HĂŒtte, er hat sich mit seiner Flinte erschossen.




Reiner Pörschke

September 2011

Letzte Aktualisierung: 12.09.2011 - 20.45 Uhr
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