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Landleben | September 2011

Googlehupf und Kleinanzeigen
von Ingo Pietsch

Mirko Sander zog die Kapuze seiner Regenjacke ganz zu. Vor ein paar Stunden war am Himmel nicht eine einzige Wolke zu sehen gewesen. Jetzt peitschte Wind und Regen von allen Seiten auf ihn ein.
Von Minden aus wollte er eine Radtour durch seine Heimat machen.
Auf halbem Weg nach Nienburg, kurz nach Petershagen hatte das Wetter plötzlich umgeschlagen.
Während Mirko auf einer einsamen Landstraße gleich neben einem kleinen Wäldchen unterwegs war, begann es finster zu werden. Er hatte einen Blick auf seinen Kartenausdruck geworfen und festgestellt, dass ein Feldweg direkt zu einer Jugendherberge führte.
Also war er tiefer in das Wäldchen geradelt, als die ersten Regentropfen schon angefangen hatten, auf ihn einzuprasseln.
Er überlegte, ob er seinen Vater anrufen sollte, doch zeigte ihm sein Handy keinen Empfang.
Blitze zuckten und der Donner hallte beunruhigend durch das Geäst. Zurück in den Ort würde er es sich nicht schaffen und unter den Bäumen vor dem Regen zu schützen war bei dem Gewitter zu gefährlich.
Der Boden war so schlammig und mit Furchen durchzogen, dass Mirko absteigen musste. Knöcheltief versank er im Morast. Ein umgestürzter Baum lag mitten auf dem Weg, der als solches kaum noch in der Dunkelheit zu erkennen war. Umherfliegende Blätter schlugen Mirko ins Gesicht.
Da er den Kopf gesenkt hielt, merkte er zuerst nicht, dass er schon am Ende des Weges angekommen war. Beinahe hätte er sein Fahrrad gegen einen Mühlenstein geschoben, der im Vorgarten eines alten, aber gepflegten Bauernhauses lag.
Überrascht sah Mirko auf: Lichter brannten in den Fenstern des alten Fachwerkhauses. Die weiß angestrichene Fassade leuchtete trotz des Unwetters in der Finsternis. Dunkle Holzstreben verliehen dem Haus ein Art Adergeflecht. Die Fenster links und rechts wirkten wie Augen und das dunkelgrüne Doppeltor mit zusätzlicher kleiner Tür erinnerte Mirko an ein weitaufgerissenes Maul.
Dem Sechzehnjährigen wurde mulmig in der Bauchgegend. Langsam drang die Feuchtigkeit und Kälte durch seine Regenkleidung.
Er zuckte mit den Schultern und schob sein Fahrrad zum Eingang. Dann holte er tief Luft und klingelte.
Es dauerte einen Moment, bis die Tür geöffnet wurde. Ein älterer Mann mit schütterem Haar und freundlichem Gesicht sah ihn an.
Muffige warme Luft wehte Mirko entgegen.
„Wissen Sie zufällig, wo hier in der Nähe die Jugendherberge sein soll?“, fragte er.
„Das war hier früher eine Jugendherberge, aber jetzt nicht mehr. Komm` doch trotzdem rein.“ Der Mann war im Begriff die Tür weiter zu öffnen, als eine Frau von weiter hinten rief: „Erwin, wer ist denn da?“
„Ein Wanderer, der sich verirrt hat, Frieda.“
Schon stand auch die Frau in der Tür. Sie trocknete sich ihre Hände an der blaubeblümten Schürze ab.
Sie sah aus wie die typische Bauersfrau: Kräftige Statur, Haare zu einem Dutt hochgesteckt und sie strahlte Gemütlichkeit aus.
„Warum lässt du den jungen Mann draußen im Regen stehen?“ Und schon zog sie Mirko zur Tür herein, ehe ihr Mann etwas antworten konnte.
Sie half Mirko mit dem Rucksack und aus der Jacke. Frieda riss ihm die Sachen förmlich aus den Händen.
„Wo kann ich mich denn umziehen?“, fragte er etwas schüchtern.
„Such dir ein Zimmer aus.“ Frieda zeigte auf die vielen Türen, wo früher die Kuh- und Schweineställe gewesen waren.

„Meinst du, er hat viel Geld dabei?“, fragte Erwin.
Frieda holte ein zusätzliches Gedeck aus dem Schrank.
„Lass mich mit deinem blöden Geld in Ruhe. Wer hat denn die Bank ausgesucht, die dann mit unserem Erspartem pleite gegangen ist?“
Erwin wollte Frieda schon anschreien, als er ihm wieder in den Sinn kam, dass sie einen Gast hatten. „Wie oft willst du mir das noch vorhalten?“, presste er durch seine zusammengebissenen Zähne. „Ich tue schon alles Erdenkliche, damit wir hier wegkommen.“
„Und ich sorge dafür, dass wir nicht verhungern.“ Frieda tänzelte mit einer dampfenden Schüssel durch die Küche.
„Hallo?“, rief Mirko aus der Diele.
„Wir sind hier hinten!“, antwortete Frieda aus dem rückwärtigen Teil.
Mirko folgte dem Rufen und dem Duft nach Essen.
Er kam in eine große Küche. Ein kleiner Tisch mit mehreren Stühlen stand in der Mitte und es war für drei Personen gedeckt.
Es gab Braten, Rotkohl und Kartoffeln.
Erwin hatte schon Platz genommen und Frieda stellte noch Soße auf den Tisch.
„Setz dich, Junge“, sagte Frieda und drückte ihn liebevoll auf den Stuhl.
Erwin sprach ein kurzes Dankgebet.
Mirko hatte das Gefühl, dass Erwin ihn anstarrte. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein. Er aß schweigend, bis Frieda wissen wollte, woher er kam, warum er unterwegs und in diese abgelegene Gegend gekommen war.
„Ich habe mir eine Route mit Jugendherbergen aus dem Internet geholt. Und da stand dieser Bauernhof auch mit drauf.“
„Das war tatsächlich mal eine Jugendherberge“, sagte Erwin. „Vor ein paar Jahren konnten wir das Ganze aber finanziell nicht mehr tragen. Ich habe für die Bahn gearbeitet und bekomme eine ganz gute Rente. Den Hof hat meine Frau geerbt. Wir haben ihn dann umgebaut. Aber er einfach ist zu weit abgelegen.“
Mirko nickte. „Das Essen ist lecker. Schmeckt nach Hühnchen.“
„Das ist auch Hühnchen“, sagte Frieda geistesabwesend, obwohl sie ihn direkt ansah.
Der Sechzehnjährige blickte auf den großen Braten und wunderte sich.
„Pute“, sagte Erwin schnell, als er den verwunderten Ausdruck auf Mirkos Gesicht erkannte. „Wir haben ein paar von denen hinter dem Haus.“
Mirko nickte wieder.
Nach dem Essen fragte Frieda: „Möchtest du noch ein Stück Torte? Die Gelantine ist aus eigener Herstellung!“
Aber Mirko war wirklich satt und wollte gleich ins Bett.

Erwin hatte Frieda noch beim Abwasch geholfen.
Er band sich eine Metzgerschürze um und begann ein Fleischermesser zu wetzen.
„Du willst doch nicht wirklich-“
„Eine Pute schlachten? Oh doch, dass will ich“, brachte Erwin den Satz zu Ende.
Frieda fing an zu lachen: „Aber wir haben doch keine Pute mehr!“
Erwin fiel in das Lachen mit ein.
Seine Frau wurde ernst. „Nein“, sagte sie bestimmt. „Er erinnert mich an unseren Sohn, als er in seinem Alter war.“
„Gut, dann gehe ich auf Katzenjagd.“ Erwin verließ das Haus, obwohl es noch regnete.

Am nächsten Morgen gab es noch Frühstück für Mirko und dann verabschiedete er sich. Die beiden Alten wollten nicht einmal Geld für die Unterkunft.
Neben dem Bauernhaus stand eine Scheune. Ein Gehege aus Maschendrahte befand sich an einer Hausseite. Allerdings war es leer. Lediglich ein Holzklotz stand darin, in dem eine blutige Axt steckte.
Mirko machte sich keine weiteren Gedanken darüber, winkte noch einmal und setzte seine Fahrradtour fort.

Erwin drückte Frieda an seine Seite. „Er war wirklich nett. Eigentlich waren sie alle nett.“
„Jetzt werd` bloß nicht weich.“
Er boxte ihr ihn die Seite.
„Ich gehe rüber in die Scheune und mache noch ein paar Angebote fertig.“
Erwin trottete zur Scheune hinüber. Innen drin war es vollkommen leer. Ein bisschen Stroh lag auf dem Boden. Erwin suchte an der Wand nach dem versteckten Mechanismus und betätigte ihn. Eine Rampe fuhr mit Zahnriemengeräuschen nach unten.
Hier befanden sich etliche Regale und der Zugang zu einem Luftschutzkeller aus dem zweiten Weltkrieg.
Die Regale waren vollgestopft mit Rucksäcken, Hosen und Jacken. Davor stand ein Dutzend polierter Mountain-Bikes. Auf einem kleinen Tisch vor der Panzertür lagen Ringe, Ketten, Navis, Handys, Mp3-Player und Taschenmesser. Erwin ging an den gesammelten Werken vorbei und betrat den Bunker.
Ein Computer stand eingeschaltet in der Ecke und daneben lag eine Digitalkamera.
Er löschte die Speicherkarte der Kamera.
„So, das war die Letzte.“, sagte Erwin laut. Er drehte und betrachtete sie von allen Seiten. Keine Gravur oder irgendwelche Initialen. So erzielten sie meist einen höheren Preis.
Erwin überlegte noch, ob er eine Auktion oder eine Kleinanzeige schalten sollte.
Er entschied sich für die Kleinanzeige, da konnte er die Einstell- und Endgebühren sparen und manchmal wollten die Käufer auch persönlich vorbeikommen, wenn der Weg nicht zu weit war …

Letzte Aktualisierung: 26.09.2011 - 22.03 Uhr
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