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Landleben | September 2011

Heli Reisekern
von Asla Kant

Ich liege allein in der Scheune.

Wir waren ganz viele auf einem Haufen. Es war kuschelig warm und ein bisschen feucht, ja ja. Wenn wir aus den Kelchen fallen, sanft geschüttelt werden, landen wir meistens auf einem Haufen. Immer an einem ganz bestimmten Platz in der Scheune. Bis uns dann jemand verteilt, damit wir trocknen. Der Bauer ist immer sehr vorsichtig mit uns. Seine großen, verknöcherten Hände sind beinahe zärtlich. Er liebt uns. Die Bäuerin ist eine fiese Alte. Bei ihrem Stechschritt kommt man schnell unter die Schlappen. Und das überlebt keiner. Außerdem ist die eine echte Kneifzange und Meckertante. Wenn sie sich vor dem Gießen drückt, jagt der Bauer sie mit der Mistgabel auf die Wiesen. Davon erzählen auch die Großen, Stattlichen, die, die vor der Scheune und auf dem Feld leben.

Vor einigen Tagen hat sich etwas verändert. Fremde Leute haben die Tiere aus den Ställen geholt. Gebrüllt haben die. Mir ist so schlecht geworden. Niemand hat uns besucht. Niemand hat mit uns gesprochen. Niemand hat uns gewendet. Einige von uns sind verschimmelt. Andere haben nur leise und ein letztes Mal geknackt, bevor sie unter Räder und Stiefel gekommen sind. Dann ist es still geworden. Wir wurden vergessen, dachten wir, und dann dieser Krach wie aus dem Nichts. Mit Maschinen, Besen und Schaufeln sind sie gekommen. Geräumt, geschraubt und rumgedrängelt haben die und dann ist so ein Blase-Sauge-Kehr-Dingsbums durch die Scheune gesaust. Und hat alle außer mir mitgenommen.
Ziemlich blöd, so ohne Beine, Arme und Flügel. Was mach ich denn jetzt? Ich will hier nicht verschimmeln! Außerdem ist es arschkalt hier drinnen.

PÖK!
„Aua!“

Oh je! Irgendwas rollt auf mich zu. Wer weiß, was das ist.

„Was bist denn du für eine? Guck mal, ist meine Schale heil geblieben?“
„Kannst du nicht aufpassen, wo du hinrollst? Ich habe mich so erschrocken!“
„Tschuldigung, ich bin vom Heuboden gerollt. Da oben haben sie die Luken offen stehen lassen und ich konnte mich nicht mehr halten.“
„Ach so. Hm, kein Wunder, du bist ziemlich prall. Und du bist grün. Hm, wie kommt das denn? Vom Sturz vielleicht. Oder bist du krank? Na ja, du bist breit und doch platt. Und grün.“
„Nun mach aber mal einen Punkt. Die Schönheit hast du auch nicht gepachtet. Außerdem bist du mickrig und das Weiß auf deiner Schale - ist das etwa Schimmel? Komm mir bloß nicht zu nah!“


So sehr sich diese mopsige, grüne Gestalt auch anstrengt. Sie kommt nicht von der Stelle. Mir geht es nicht anders. Ich bin froh, dass jemand bei mir ist.

„Wir sind die einzigen, die noch übrig sind. Vielleicht machen wir uns miteinander bekannt, bevor wir uns streiten und sterben.“
„Gute Idee. Hallo, ich bin Curcur und komme aus einem Kürbis.“
„Ah ja, ich verstehe. Grüß dich, mein Name ist Heli. Und das Weiß neben dem satten Schwarz auf meinem Bauch …“
„Kein Schimmel. Habe die Ehre. Du wirst mal eine große Schönheit, wenn … Wir sollten über etwas Lustiges sprechen, meine ich.“
„Ja ja, schwierig.“
„Mir fällt da jetzt auch nichts ein.“
„Schade.“


Wir schweigen, sehen uns an, frieren, sind überglücklich nicht allein sterben zu müssen, als plötzlich das Tor aufschlägt und sich ein wärmender Lichtstrahl auf unsere Schalen legt. Dem Licht folgen Schatten und Stimmen.

„Was sind denn das für Leute? Die kommen nicht von hier. Schon mal gehört, Heli, diese Würgesprache?“
„Ja ja, die kommen aus dem Süden und die essen mit Vorliebe …, pass auf! Mach dich klein, jetzt! Curcur! Nein!“


Einer von diesen Männern bückt sich, greift nach uns beiden, steckt Curcur zwischen die Zähne KNACKS und mich in die Hosentasche. HILFEE! Ich klebe fest. Es ist dunkel. Was für ein Gestank!

Immer wieder steckt dieser Mensch seine Hand in die Hose. Seine Finger riechen noch schlimmer als die Tasche. Mir ist schlecht. Meine Sterbebegleitung: Kratzen, greifen, fingern, suchen, Gestank einatmen. Und ich klebe fest in einem Klumpatsch aus Taschen-Miefschleim-Schwitze-Fäden-Krümel. Jetzt wird auch noch so ein Lederdingsbums in die Stinketasche gedrückt. Dann lieber mit einem Knacks vertilgt.

Irgendwann wird es kalt, ich bin immer noch in der Mufftasche, aber die Hose klebt nicht mehr an diesem Stinker. Ich werde herumgeschleudert, nein, ich fliege, dann werde ich gepresst.

Kein Knacks. Meine Schale ist intakt.

RUMS! KLICK! KLACK!
Schleudertrauma.

Wo bin ich?
Die Kälte und so ein Brummen betäuben mich.
Hm, vielleicht bin ich schon gestorben.


Nö. Gestorben bin ich noch nicht, weil es jetzt wieder warm wird plus Schleudertrauma.

KLICK! KLACK!

„Was fur eine Mist is das hier, Mussad, du nix Waschmaschine in Deutschlande!“

Diesmal sind es Gutriechehände, welche die Tasche durchwühlen. Es wird hell. Zwei Finger befreien mich und lassen mich einfach fallen. Im Flug sehe ich den Koffer und lande weich.

„He, machst du dich nutzlich. Kannst du saugen Staub! Mussad!“

Ein finsterer Blick von Mensch zu Mensch schafft eine neue Situation. Dieser Mussad-Mensch schiebt eine kleine Maschine über den Boden, so etwas kenne ich doch in groß aus meiner Scheune. Das Dings kommt näher und schwups, bin ich drin. Komisch, das habe ich mir schlimmer vorgestellt. Tut gar nicht weh.

Keinen Schimmer, wie lange ich mir dieses Würgesprachendurcheinander angehört und in diesem Maschinenbeutel geschlafen habe, aber jetzt ist kein Platz mehr und das Saugedings macht komische Geräusche. Und es wird heiß da drin.

PENG!
Hm, da ist etwas geplatzt.

Oh wie schön! Ich rolle eine Treppe hinab. Der Wind trägt mich durch eine offene Tür und legt mich sanft in warme, feuchte Erde. Ich glaub das nicht, es ist ein Garten und der ist …, mir fehlen die Worte. Hier will ich bleiben.

Nach einigen Tagen habe ich es geschafft, mich in die Erde zu verkriechen. Gekeimt habe ich auch schon. Und dieses Keimknacks war ganz nett. Ich bin jetzt ein Steckling. Genussvoll strecke ich mich der Sonne entgegen und genieße jede warme Dusche. Diese Gutriechefrau gießt mich jeden Tag und verwöhnt mich mit Würgebuchstabengesang, ja ja.

HILFEE! Ich werde ausgegraben. Das mag ich nicht!

In einem kleinen Tontopf eingepfercht, klatschnass auf Vorrat, an ein Stäbchen gefesselt, werde ich noch besprüht, eingewickelt und kriege eine Mütze auf.

„Mussad, pflanzt du ein in deine neue Garten fur dein Frau. Du hast gekauft schöne Hof. Kaufst du noch Waschmaschine. Machst du Foto fur mich von Blume und Waschmaschine, versprichst du, jetzt geh.“

Davon bin ich ganz duselig. Außerdem ist mir wieder schlecht.

Es ist dunkel, als mir jemand die Mütze abnimmt. Nur das Stäbchen hält mich, ich habe keine Kraft mehr. Ich bilde mir ein, sanft und liebevoll beerdigt zu werden. Die Erde duftet wie meine Wiege, wie der Boden, aus dem ich stamme.

Endlich deckt mich die Erde zu, endlich Ruh. Mir ist scheißegal, wo ich bin, aber es fühlt sich an wie zuhause.

Am nächsten Morgen beflügeln mich die ersten Sonnenstrahlen. Die Schockstarre schwindet. Meine alte Scheune begrüßt mich mit einem frischen, grünen Anstrich. Ich stehe in einem Meer von Helis. Meine zwei Meter hohen Geschwister singen unseren Gruß an die Sonne und bilden einen schützenden Ring um mich.

©anahtar.rrethi i lezhës.helianthus

Letzte Aktualisierung: 27.09.2011 - 00.28 Uhr
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