Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Vorgegebenes Textfragment | Oktober 2011
Die Macht der Gedanken
von Ingo Pietsch

Christian Möller zog die Kapuze seines Pullovers fest zu. Es fröstelte ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Organisation ihn so schnell finden würde.
Der Dreißigjährige saß gebückt hinter einem Stapel alter verrosteter Metallrohre und spähte immer wieder über den Rand, um zu sehen, ob sie ihn eingeholt hatten.
Atemwolken umwaberten sein Gesicht, während er die Augen schloss und mit einer Hand an die Stirn fasste. Aber so sehr er sich anstrengte – er konnte seine Verfolger nicht spüren.
Wahrscheinlich trugen sie Helme, die sie vor mentalen Angriffen schützten.
Christian hielt inne und verfluchte den Tag, der sein Leben verändert hatte. Jenen Tag, an dem er sich noch in der Schule befand und plötzlich Oliver Fröhlich vor ihm stand.
Oliver hatte einen ganz schlechten Tag: Er war beim Konfirmandenunterricht rausgeflogen.
Jetzt war er wieder unterwegs, um sich sein Taschengeld bei den Mitschülern aufzubessern.
Christian war nicht schnell genug gewesen und wurde nun von Gleichaltrigen umringt.
In Christians Brust breitete sich rasende Angst aus. Er sah seinem Gegenüber in die hervorquellenden Augen. Er sah in die Pupillen und dann durch sie hindurch. Er sah einen Oliver, wie er den Beagle des Pastors in einen Sack steckte. Dann nahm Oliver einen Knüppel und drosch auf ihn ein. Zum Schluss übergoss er das wimmernde Bündel mit Benzin.
Christian schloss die Augen, aber er konnte in seinem Kopf immer noch sehen, was weiter geschah. Tränen liefen über seine Wangen.
Oliver machte sich lustig über ihn, weil er weinte, doch Christian sagte einfach nur den Namen des Hundes.
Erschrocken und verwirrt ließ der Schläger von ihm ab. Oliver drohte gestikulierend mit seinem Zeigefinger und schupste Christian anschließend an die Wand. Seitdem hielt sich Oliver von ihm fern.
Ein metallenes Geräusch brachte Christian in die Gegenwart zurück. Er sah kurz auf und bemerkte, dass die Lage aussichtslos war.
Mindestens ein Dutzend Agenten schlich in der Fabrikhalle umher. Sie hatten ihn längst entdeckt und eingekreist.
Christian dachte fieberhaft nach. Er war selbst ein Agent gewesen. Wie wäre er aus so einer Situation entkommen?
Er sandte seine Gedanken aus und erfasste einen Schwarm Krähen, der es sich auf dem halbverfallenen Dach gemütlich gemacht hatte.
Er drang in ihre kleinen Gehirne ein und suggerierte ihnen, die Agenten hätten unter ihrer Kleidung Würmer versteckt.
Augenblicklich stürzten die Krähen von oben auf das Sonderkommando herab und hackten auf die Agenten ein.
Christian nutzte das Ãœberraschungsmoment und sprintete los.
Im Laufen warf er mehrere Agenten, ohne sie zu berühren, einfach um.
Fast hatte er das Ende der Halle erreicht, als Blitze neben ihm in den Boden und in stillgelegte Maschinen schlugen.
Christian sah zurück und erkannte, dass mindestens die Hälfte seiner Verfolger mit ihren Betäubungsgewehren auf ihn schoss.
Der kurze Moment der Unaufmerksamkeit reichte, um ihm die Flucht zu vereiteln.
Als er seinen Blick wieder nach vorne richtete, erkannte er gerade noch einen dunklen Schatten, der auf seinen Kopf zufuhr. Er schlug lang hin und ihm wurde schwarz vor Augen.

Mit grässlichen Kopfschmerzen erwachte Christian wieder. Seine Arme und Beine waren halb taub, weil er an einen Stuhl gefesselt war. Er hatte einen metallenen Geschmack im Mund. Blut war aus seiner Stirnwunde über das Gesicht gelaufen. Ihm war kalt, denn er befand sich immer noch in der alten Fabrik.
Er hob den Kopf und wurde sofort von einem Agenten mit seinem Gewehr bedroht. Sein Gegner ging dicht an Christian heran und tippte sich an die Stirn. Das dunkle Visier wurde durchsichtig.
Christian kannte diesen Blick: Er gehörte Oliver Fröhlich.
„Du verdammter Mutant! Endlich stehe ich dir wieder gegenüber. Was glaubst du, wie lange ich Schiss hatte und mich zu Hause verschanzt hatte, als du in meinem Kopf rumgewühlt hast. Du konntest mich damals nicht beobachtet haben. Jetzt endlich bekomme ich den Lohn für all die Jahre, die ich nach Mutanten wie dir gejagt habe!“
Oliver schaltete sein Gewehr auf Töten um.
„Ruhig, Agent. Sie werden nachher noch Zeit haben, um ihren Rachedurst zu stillen“, sagte eine rothaarige Frau in Christians Alter und schob Oliver zur Seite.
Der trollte sich zähneknirschend.
Christian durchlebte eine weitere Erinnerung. Er lag neben der Rothaarigen und streichelte zärtlich ihren nackten Rücken.
„Ich werde die Organisation verlassen“, eröffnete er ihr. „Ich habe genug davon, wie wir als Söldner agieren und Regierungen unterwandern. Miranda, lass uns zusammen verschwinden.“
Miranda drehte sich um und sah ihn an, sagte aber nichts.
„Und ich habe diese ständigen Gedächtnislöschungen satt, die nach jeder Mission stattfinden. Ich habe jedes Mal Angst, dass du mich nicht mehr erkennst.“
„Lies in meinen Gedanken.“ Sie schloss die Augen.
„Hör auf mit diesen Spielchen. Ich will mit dir reden, wie mit einem vernünftigen Menschen.“
Christian sprang auf und zog sich an. Als er seine Uhr von Nachttisch aufhob, stieß er ein Glas um, das auf dem Boden zerbrach.
Er wollte das Zimmer verlassen, als Miranda sich anschickte, ihm zu folgen. Sie trat in die Glassplitter und setzte sich rücklings auf das Bett.
Christian eilte zurück und wollte sich die Verletzung ansehen, doch die Wunde schloss sich sofort wieder und die Glasreste fielen zu Boden.
Entsetzt blickte er auf Miranda herab. „Ich dachte, wenigstens du wärst normal. Warum hast du es mir nie gesagt?“
„Ich wollte, aber die Organisation hat es mir verboten. Ich sollte dich eigentlich beschatten, aber…“
„Du hast mir alles nur vorgespielt? Ich habe mich in dich verliebt und du erzählst mir, es wäre alles nur Show gewesen?“
Sie hob beschwörend die Hände. „Ja, nein! Ich habe mich im Lauf der Zeit auch in dich verliebt, dass musst du mir glauben! Warte!“
Doch Christian hatte die Tür aufgerissen und rannte davon. Gegenwart.
„Es war gar nicht einfach, Sie hier aufzuspüren, Herr Möller.“
Sie ging an ihm vorbei zu einem kleinen Tisch, auf dem ein aufgeklappter Aktenkoffer stand. Miranda holte eine Akte hervor und ging zu Christian zurück.
„Telepath und Suggestor. Vier Jahre Dienst in der Organisation und dann geflohen. Warum?“
„Miranda! Seit wann siezen wir uns? Wir sind mal ein Paar gewesen. Erinnerst du dich nicht mehr?“
Sie sah ihn verständnislos an. „Wir beide? Das kann ich mir absolut nicht vorstellen.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig, als schien es doch nicht so unmöglich.
Diese Schweine hatten ihr die gemeinsame Zeit genommen.
Christian griff nach ihren Gedanken, aber er wurde mental zurückgeschleudert. Er sah jetzt auch, wieso: Ein silbernes Band lag um ihren Kopf, verdeckt von den Haaren.
So ein Ding befand sich bestimmt auch in den Helmen.
„Vergessen Sie`s. Mit Ihren Gedankentricks haben Sie bei mir keine Chance. Und jetzt“, sie ging zurück zum Koffer, „werde ich Sie einer Dämpfung unterziehen.“
Oliver stand ein wenig abseits und grinste in Erwartung, es ihm heimzuzahlen.
Die Rothaarige holte eine Spritze mit einer leuchtend grünen Flüssigkeit aus dem Koffer.
„Miranda, bitte. Ich liebe dich immer noch. Ich kann es dir beweisen!“ Christian ruckte auf dem Stuhl hin und her.
"Tja", sagte Miranda, während sie die Spritze aufzog, „dann werden wir wohl nicht mehr viel von Ihnen haben. Schade, ich hatte mich so darauf gefreut, Ihre vielen Talente kennen zu lernen. Ich hätte gerne noch gesehen, wie Sie jemanden mit Ihren telepathischen Kräften beeinflussen. Aber dafür bleibt keine Zeit. Mein Auftrag lautet schlicht und einfach Ihre Fähigkeiten zu eliminieren und sie dann dem Agenten da hinten zu überlassen.
Oliver spielte nervös an seinem Gewehr herum. Wahrscheinlich hatte er sich seine Rache hart erarbeitet.
„Miranda, es tut mir so leid!“, er sah ihr direkt in die grünen Augen.
„Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass das bei mir nicht funktioniert“, sagte sie wütend.
„Ich weiß“, antwortete Christian traurig.
Miranda blieb stehen und starrte auf ihre Hand mit der Spritze darin. Langsam drehte sie sich und zielte jetzt auf ihren eigenen Körper. Immer näher kam die Nadel auf sie zu.
„Wie kann das sein! Meine Gedanken sind abgeschirmt“, rief sie entsetzt.
„Telekinese. Ich wollte meine Kräfte geheim halten, aber du hast mich dazu gezwungen!“ Christian sah sie weiter an und erblickte das Entsetzen in ihren strahlenden Augen, die ihn verzaubert hatten.
Gerade als sie um Hilfe schreien wollte, schnellte die Spritze vor und entleerte sich in ihren Körper. Sofort brach sie zusammen und lag zuckend auf dem Boden.
Oliver kam angelaufen.
Christian hatte jede Art von Gewalt vermeiden wollen, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Er riss dem Agenten das Gewehr aus der Hand und zielte damit auf den wütenden Mann. Oliver blieb stehen und hob die Hände.
Die Fesseln am Stuhl lösten sich von selbst und Christian ging zu Miranda hinüber.
Er wusste nicht genau, über welche Fähigkeit sie tatsächlich verfügte.
Jetzt lag sie dort und schüttelte sich vor Krämpfen.
Ihre Haut war blass und mit Fältchen übersät.
„Hilf mir, bitte!“, krächzend streckte sie einen Arm aus. Kraftlos fiel er wieder zu Boden. Ihre Haare wurden erst grau, dann weiß und fielen schließlich aus. Die Haut verschrumpelte. Ihr Gesicht fiel zusammen. Die Augen sanken in die Höhlen und die Nase verschwand. Die Lippen zogen sich zurück und hinterließen das breite Grinsen eines Totenschädels.
Schließlich tat sie einen letzten Atemzug.
Das bleiche Skelett in der Kleidung zerfiel zu Staub.
Es zerriss Christian das Herz, aber für Trauer blieb keine Zeit. Auf Christian wurde geschossen. Aber nicht aus Olivers Richtung. Der versuchte an den Schalter für die Intensität der Schüsse zu gelangen.
Plötzlich krümmte er sich, als würde er verprügelt und schrie dann laut: „Ich verbrenne!“
Schließlich schoss das Gewehr und Oliver verstummte.
Christian kämpfte sich unter Aufgebot all seiner Kräfte aus dem Fabrikkomplex und schwor sich, der Organisation die Stirn zu bieten…

Letzte Aktualisierung: 25.10.2011 - 21.36 Uhr
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