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Vorgegebenes Textfragment | Oktober 2011

Baddabums und Baddadings
von Anne Zeisig

“Tja”, sagte Miranda, während sie die Spritze aufzog, “dann werden wir wohl nicht mehr viel von Ihnen haben. Schade, ich hatte mich so darauf gefreut, Ihre vielen Talente kennen zu lernen.”
“Nein! Nein! Und nochmals nein!” Frau Doktor Hombruch-Söhrtheker hielt ihren grauen Haardutt fest, als sie auf die Bühne der Schulaula stürmte.
Sie nahm der 16jährigen Schülerin die Spritze aus der Hand und schob sie beiseite. “Achte genau auf meine Mimik. Dein Gesicht muss Dramatik wiederspiegeln! Kneif Augen und Mund zusammen! Verkrampfe deine Muskeln über der Nasenwurzel, bis es schmerzt!”
Sie rückte ihre rote Brille zurecht. “Dramatik, Kinder! Dramatik ist in der Szene unerlässlich!”

Im Zuschauerraum saßen zwei Mitschüler vom Miranda, die auch zur Theater-AG gehörten.
“Ey Alter. Wat geht denn hier ab? Die Hommi zieht krass den Hardcore ab. Die hat nich mehr alle Baddadings im Hirn.”
“Jau Digger. Und Strebertusse Miranda inne Hauptrolle drin.”

“Ruhe da unten! Ich bitte um absolute Ruhe. Ihr redet erst, wenn Ihr dran seid. Hier hat jeder das Recht auf eine intensive Probenarbeit!” Die Lehrerin nickte ihrer Schülerin zu. “Bitte.”
Die Pädagogin nestelte wieder an ihrem Dutt und sah auf Kevin hinab, der auf einer Pritsche lag. “Kevin! Du hast Schmerzen! Du leidest unsagbare Qualen! Wo ist dein schmerzverzerrtes Gesicht? Ich sehe keines.”
“Ich sehe auch nix.” Miranda schob ihre Unterlippe vor. “Wie soll ich Dramatik spüren, wenn der sein Dauergrinsen aufsetzt.”

“Der Kevin is voll der Lefti. Sowat kricht ne Hauptrolle. Voll inkorrekt.”
“Ey Digger. Die Hommi hat verbalgetönt, dat auch ‘n Luser ma posibullig drauf sein soll.”

“Mario! Dennis! Ich hatte um Ruhe gebeten!” Frau Hombruch-Söhrtheker nickte Miranda zu und gab ein Handzeichen. “Bitte”, flüsterte sie.
“Tja”, Miranda hielt die Spritze an Kevins Armbeuge, “dann werden wir wohl nicht mehr ...”
“Nein! Du musst die Spritze doch erst aufziehen, bevor du sie ansetzt!” Die Pädagogin japste theatralisch nach Luft.
Miranda hielt die Spritze hoch. “Da ist ja nichts drin!”, sagte sie im jammernden Ton.
Die Lehrerin zeigte auf das Tischchen neben Kevins Pritsche. “Dort liegt die Ampulle zum Aufziehen! Wie oft haben wir diese Szene bereits geprobt?”
Die Schülerin zupfte ihr üppiges Dekolletee zurecht. “Zehn- oder elfmal?”, wisperte sie.

“Ey Schwabbi, Miranda is echt ne Attribraut.”
“‘ne Attribraut? Seit wann stehste auf blonde Streber mit Botoxspritzen?”
“Weil Alter, weil die unter ihre Klarsichthülle sowat wie ‘n Baddabumweib is.”
“Auf sowat geilste ab? Auf Baddabumweiber? Die Hommi is doch auch sowat.”
“Piss mich nich an. Die Hommi is ‘ne Baddadingpsychotante. Dat is ‘n Unterschied.”
“Hä? Wat ‘n dat fürn Bullshit.”
“Bisse voll krass der Unchecker von Baddabums und Baddadings?”
Dennis schüttelte seinen kahlrasierten Kopf. “Kapiert, kapiert.”

Frau Hombruch-Söhrtheker fasste Miranda bei den Schultern und schob sie an ihre Position. “Konzentriere dich.”
Kevin maulte. “Wenn ich noch lange hier liegen tu, dann werde ich Vollinvalide. Er verzog sein Gesicht unter dem Drei-Tage-Bart.
“Oh. Du hast Aua? Keine Sorge. Gleich kommt die Spritze, die dich von deinen Qualen erlösen wird.”
“Miranda! Ich bitte dich! Wenigstens dir hätte ich eine ernsthafte Probe dieser Szene zugetraut. Du bist das Zugpferd in dem Stück mit dieser tragenden Rolle.”
Die 16jährige nickte und ihre grünen Augen blitzten für einen kurzen Augenblick auf.
Die Lehrerin verließ die Bühne und setzte sich neben Mario und Dennis.
“Dramatik!”, rief sie und wandte sich dann an die beiden Jugendlichen. “Ich bitte erneut um Ruhe.”

“Tja”, sagte Miranda, während sie die Spritze aufzog und die Nadelspitze an Kevins Armbeuge hielt, “das ist die Strafe dafür, dass du mich mit der Baddabumsroten aus der Neun betrogen hast!” Sie kniff ihre Augen zusammen, biss die blitzweißen Zahnreihen aufeinander und stach zu.
Dann ließ sie Arme und Kopf sinken, als ihr die Spritze aus der Hand glitt und mit einem leichten Pling auf dem Bretterboden aufkam.
Kevins Kopf sackte zur Seite und sein starrer Blick schaute ins Leere.
Frau Doktor Hombruch-Söhrtheker sprang vom Sitz hoch. “Bravo! Bravo!”
Dennis zeigte mit ausgestreckten Armen zur Bühne. “Ey! Dat is voll krass inkorrekt. Dat Streberbaddabumweib hat den Kevin verjenseitet!”
“Ey Alter. Dat heißt Streberbaddadingweib.”, verbesserte ihn Mario.

Frau Hombruch-Söhrtheker lief Beifall klatschend die Stufen zur Bühne hoch. “Toll! Diese Dramatik!” Ihr Dutt löste sich und das lange Haar fiel auf ihre Schultern. Sie umarmte Miranda. “Aber an Text und Ablauf müssen wir noch feilen.” Sie sah zu Kevin. “Du kannst aufstehen.”
“Wow Digger! Die Hommi hat ‘ne vollheadige Baddabum-Mähne!”
“Ey Alter! Dat sind Baddadingzottel von die Lady in grey.”

“Kevin! Bist du schwerhörig? Aufstehen!”



© anne zeisig 2.version

Letzte Aktualisierung: 13.10.2011 - 16.50 Uhr
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