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Vorgegebenes Textfragment | Oktober 2011

Meine Sahnekresseschnitte
von Helga Rougui

"Tja", sagte Miranda, während sie die Spritze aufzog, "dann werden wir wohl nicht mehr viel von Ihnen haben. Schade, ich hatte mich so darauf gefreut, Ihre vielen Talente kennen zu lernen."
Sie hielt Odin Blackpudding das mit lavendelfarbener Buttercreme prallgefüllte Instrument entgegen.
"Aber bevor Sie gehen, garnieren Sie mir diese Geburtstagstorte. So viel Zeit werden Sie doch noch haben. Eine gute Freundin von mir hat sich sehr darauf gefreut, ein Kunstwerk gerade von Ihnen auf ihrer Kaffeetafel präsentieren zu können – ich möchte sie ungern enttäuschen."

Ob Maître Blackpudding sich tatsächlich an die Arbeit machte oder nicht – was in seinem Fall gleichbedeutend war mit der Erschaffung eines neuerlichen Kunstwerks eines der berühmtesten Konditoren seiner Zeit -, konnte Miranda nicht feststellen, denn sie verließ umgehend die Küche. Ihre Tränen sollte er nicht sehen, dieser eingebildete Oberlackel. Vor drei Tagen aus der Residenz in die Provinz gekommen, hatte er sich zunächst herabgelassen, ihren kleinen Konditoreibetrieb kennenzulernen, um dann heute morgen in den Tortenraum zu stürmen und lauthals bekanntzugeben, daß er kündige – wo sie so gehofft hatte, ihn in allernächster Zeit endlich zur Unterschrift unter den Vertrag bewegen zu können, der seine Fähigkeiten für eine Saison in ihre Dienste bannen sollte. Offensichtlich hatte der zerstreute Mensch vergessen, daß er noch gar nicht unterschrieben hatte. Ohne seine Lakaien und Assistenten und außerhalb seines gewohnten Großstadtbiotops wirkte er weniger arrogant denn hilflos.
Aber all das war jetzt gleichgültig. Auf die Zusammenarbeit mit dem berühmten Meister hatte sie ihre sämtlichen Hoffnungen gesetzt, ohne ihn würde es für sie keine Rettung weder vor dem finanziellen noch vor dem persönlichen Zusammenbruch geben. Sie so ganz allein, das fühlte sie, das wußte sie, war völlig überfordert.
Am besten wärs, für eine Weile still und leise von der Bildfläche zu verschwinden.

Derweil im Tortenraum hielt Maître Blackpudding das cremgefüllte Ungetüm wie ein giftiges Insekt weit von sich und starrte es an wie einen Feind. Dann legte er es vorsichtig auf die Arbeitsplatte, ging zum Waschbecken und wusch sich sorgfältig und mehrmals hintereinander die Hände. Er inspizierte die frischgewaschenen Hautflächen – es gab keinerlei Anzeichen für einen Kontakt mit irgendwelchen Backzutaten, Puddingcremes, Sahnesteif, Hefe flüssig oder fest. Wenn das der Fall gewesen wäre - die roten Pusteln, im Handumdrehn nach jedem dieser Kontakte entstanden, wären nicht zu übersehen gewesen.
Erleichtert und tiefunglücklich zugleich ließ der Meister sich auf einen Küchenschemel sinken, der unter seinem Gewicht schmerzvoll ächzte und freiwillig etwa zehn Zentimeter nachgab.
Er stützte seinen Kopf in die Hände und seufzte tief. Was sollte er nur anfangen, er, der größte Meisterkonditor aller Zeiten, wenn nicht der ganzen Welt, der im zarten Alter von fünfzig Jahren urplötzlich eine Allergie gegen jegliche Art von Konditoreiwaren entwickelt hatte?
Wenn das jemand herausfand, dann war es um seine Karriere, seine Reputation, seine Ehre und seinen Wohlstand geschehen. Aber zuerst einmal mußte er an Naheliegendes denken und sich aus der momentanen Situation so unauffällig wie möglich zurückziehen – auch wenn diese wirklich sehr hübsche und liebe Konditorin, die große Stücke auf ihn hielt, bitter enttäuscht wäre und ihn womöglich für geisteskrank hielte. Er hatte so sehr gehofft, daß seine Allergie mit dem steten Dasein im Rampenlicht der Residenz und dem überwältigenden täglichen Arbeitsdruck zusammenhinge. Aber auch hier in diesem kleinen Ort mit lediglich bürgerlichem Ambiente erwies es sich als genauso verheerend, wenn seine zarte weiße Haut mit den Rohstoffen, mit denen sich sein Beruf notgedrungen auseinandersetzte, in Berührung kam.
Am besten verschwand er sofort, ohne Abschied, ohne Erklärungsversuch. Miranda würde ihn für unerträglich eingebildet und hochnäsig halten, aber das konnte er nicht ändern. Alles war besser, als mit der Wahrheit rauszurücken.

Im Seehotel Fontane in Neuruppin herrschte gediegene Aufregung. Eine Berühmtheit hatte sich inkognito angekündigt, ein persönlicher Assistent hatte auf höchster Geheimhaltungsstufe bestanden, bei Mißachtung der Diskretion stünden mehrere Karrieren auf dem Spiel. So wurde Miranda an der Rezeption zunächst übersehen, und es brauchte eine Weile, bis sie ihre Anmeldung bestätigen konnte. Was war das für ein Angeber, der sich hier, ohne überhaupt schon anwesend zu sein, dermaßen breitmachte?
Einen Wirrkopf hatte sie gerade hinter sich gelassen, um jetzt - wenn auch indirekt - mit der nächsten durchgeknallten Ausnahmeexistenz belästigt zu werden?
Grummelnd bezog sie ihre Suite und beschloß, von nun an nichts so wichtig zu nehmen als sich selbst, und kaum hatte sie das beschlossen, wurde ihr Herz einigermaßen heiter und ruhig und alle bösen Gedanken fielen von ihr ab - vorerst.
"Zunächst mache ich einen Spaziergang durch den Park. Schöne alte Bäume, wundervoll duftende Blumen – sie werden meiner Seele ein Heilbad sein – hoffe ich zumindest", sagte sie sich, verließ das Hauptgebäude durch den Vordereingang und wandte sich nach links zum rückwärtigen Teil des Hauses, hinter dem sich der Park befand, als in eben dem Moment eine große, schwarze, völlig verhängte Limousine vorfuhr.
"Das wird der Wichtigtuer sein", dachte sie flüchtig, machte sich aber dann auf den Weg, betrat wenig später eine dunstige grüne Wildnis und war sofort hingerissen von der Blütenpracht, den üppig wachsenden Wasserpflanzen, die dicht an dicht einen Teich umstanden, den fetten Fröschen, die ihr Abendkonzert quakten und den einladend verstreuten Bänken, auf denen sich niederzulassen es sie lockte. Sie entspannte sich, atmete durch. So schnell würde keiner sie finden. Sie hatte alle Zeit der Welt.

Maître Blackpudding kletterte umständlich mit dem Allerwertesten zuerst aus seiner Limousine. Er betrachtete entsetzt die großen roten Blasen an Zeigefinger und Daumen. Eben hatte er bloß ein leicht angetrocknetes Petit Four, das einsam und vergessen in seiner Bordbar vor sich hin gedämmert hatte, vorsichtig angehoben und daran gerochen, aber selbst dieser kurze Kontakt hatte seine Haut bis zur Unkenntlichkeit krankhaft verändert. Er seufzte. Das würde ein langer Weg werden mit unzähligen Untersuchungen bei Spezialisten und Seelenklempnern. Niedergeschlagen winkte er ab, als sein Assistent sich ihm näherte, und wandte sich dem Park zu. Einige Schritte nach der langen Fahrt, ein bißchen Ruhe und Stille würden ihm guttun, den Genesungsprozeß initiieren, wenn nicht sogar bereits ein gutes Stück vorantreiben.

Ein Park.
Viel Grün. Bäume und Blumen. Teiche und Frösche.
Wege, die zu begehen sind.
Menschen, die sie begehen, die sich begegnen, die sich erkennen, die miteinander reden.
Die zusammen weitergehen und sich auf einer der bequemen Holzbänke niederlassen.
Die ins Gespräch vertieft die Zeit vergessen und sich dann beeilen, zusammen noch rechtzeitig im Speisesaal zum Abendessen zu erscheinen.
Die dort das Gespräch fortsetzen.
Die sich wiedertreffen am nächsten Tag und am folgenden auch und sich bei diesen Treffen nicht langweilen.
Die beginnen, die Gegenwart des anderen zu schätzen und die anfangen, diese Gegenwart bewußt zu suchen.
Immer öfter, immer unausweichlicher.
Die sich immer mehr annähern und beginnen, sich Sympathien entgegenzubringen.
Die anfangen, sich zu wünschen, der andere möge sie küssen.
Die ihre Gefühle nach einer gewissen Zeit übereinstimmend Liebe nennen.
Die beginnen, eine gemeinsame Zukunft in Betracht zu ziehen.
Und beginnen, sie zu verwirklichen.

"Tja", sagte Miranda,"also wirklich, Bauer Franz, wenn Sie mir diese Steige Äpfel andrehen wollen, dann sind Sie dümmer, als Sie aussehen."
Bauer Franz überlegte noch halboffenen Mundes, wo genau sich hinter dieser Anlassung von Seiten der Inhaberin des kürzlich in Neuruppin neueröffneten Ladens "Obst-Salat&Gemüse-Paradies" die Beleidigung verbarg, als sie bereits weiter auf ihn einredete:
"dann werden wir wohl nicht mehr viel von Ihnen haben. Schade, ich hatte mich so darauf gefreut, Ihre vielen Talente kennen zu lernen."
- und er sich auch schon mitsamt seiner überaus anfechtbaren Apfellieferung auf dem Gehsteig vor dem Geschäft wiederfand. Aus einem Moment gierigen Gewinnstrebens heraus hatte er sich gerade eine gute Einnahmequelle verschlossen. An sich war er der beste Obstgemüsesalatbauer der Gegend, nur hatte er gedacht, es mit einer Frau als Geschäftspartnerin nicht so genau nehmen zu müssen, und da hatte er falsch gedacht. Miranda Blackpudding setzte auf höchste Qualität bei jeglichem Obst- und Grünzeug, das sie erwarb, konnte doch ihr Gatte sonst nicht den Fächer seiner Fähigkeiten zur Kreation genialischer Frucht-, Gemüse- und Salattorten aus rein vegetabilen Elementen entfalten, und nichts, nichts auf der Welt war ihr wichtiger als dies – den künsterischen Impetus ihres Gatten zu schützen, zu nähren und zu unterstützen, und sei es durch Hintanstellung der eigenen Wünsche und Bequemlichkeiten.
Davon nun wiederum abgesehen war sie ihm ein unendlich Kleinod hinsichtlich der Aufrechterhaltung seiner fragilen Gesundheit, und so sagte sie ihm zum wiederholten Male, während sie die Spritze aufzog, wie sehr sie ihn doch über alles liebe, und daß mit diesem speziell gemixten Vitaminpräparat, regelmäßig intrapopolär verabreicht, seine Allergien sich nicht nur bezähmen ließen, sondern in das reinglühende Feuer der künstlerischen Inspiration wandelten und sie somit die Zeiten der Zerrissenheit, des Zagens und Zweifelns hinter sich gelassen hätten. Er aber, vor Zuneigung und Anbetung sprühend, konterte, daß es zum Abendessen Huflattichtorte gebe mit Selleriesahne an frittierten Minzblättchen, gefolgt von einer Himbeergalantine gekrönt von einer dunkelroten Rose aus feinstem Sahne-Marzipan...

Oh ja - Odin Blackpudding befand sich definitiv auf dem besten Wege der vollständigen Genesung!!!

Letzte Aktualisierung: 23.10.2011 - 23.15 Uhr
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