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Blaues Blut | November 2011
Heißer Tee
von Anne Zeisig

Jeden Dienstag maltrĂ€tiert die Schwanitzky mit dem Staubsauger den Boden meiner Seniorenwohnung, als sei der AllmĂ€chtige hinter ihr her. Vorher schwingt sie das Staubtuch wie eine WalkĂŒre, hĂŒpft singend von MöbelstĂŒck zu MöbelstĂŒck und bringt ihren ausladenden Busen in betrĂ€chtliche Schwingungen. “In ei-nem Po-len-stĂ€dt-chen, da wo-honte einst ein MĂ€d-chen, sie war so schön, sie war so schön ...” Weder ihre belegte Altstimme noch ihre ĂŒppige Brust treffen meinen Geschmack. Aber ihr volles, ergrautes Haar und ihre dunkelbraunen Augen lassen ahnen, dass sie frĂŒher recht hĂŒbsch gewesen sein muss.
“Hat sich meine frĂŒhere Herrschaft gefreit ĂŒber pommersche Weisen auf Gut Hochlohe! Kannste dir was drauf einbilden, Alterchen, weil die Schwanitzky bei Herrschaften jedient hat mit blaues Blut in den aristotalen Adern! Bissich hat der Krieg ein jĂ€hes Ende jesetzt!”
Die Schwanitzky habe ich sozusagen vom Vormieter ĂŒbernommen. Aber so richtig stimmt das nicht, denn der ist hier zwangsweise von Todes wegen ausgezogen. Die Putzfrau ist geblieben.
“VĂ€terchen, VĂ€terchen, irch chabe fĂŒnfe Mieter ĂŒberlebt! Sind allesamt nircht an Staublunge jestorben! ‘ne bessere als wie mirch kannste nircht finden. Wer wie irch unter blauem Blut jedient hat, der weiß, was Disziplin, PĂŒnktlichkeit und Sauberkeit bedeiten!”

Jeden Dienstag schiebt sie mich mit hochrotem Kopf in meinem Rollstuhl hinaus auf den winzigen Balkon, damit ich ihr bei ihren Putzorgien nicht im Weg rumstehe. “Mannsbilder sind nircht brauchbar beim Putzen. Und Rentner, Alterchen, ĂŒberchaupt nircht. Bist ja lĂ€ngst ĂŒberflĂŒssig, Opachen. Zu nichts mehr zu jebrauchen, aber zahlen tuste jut fĂŒr dad Wienern.”
Sie legt mir meine KreuzwortrÀtsel und einen Stift auf den kleinen Balkontisch.
Kurz nach Ernas Tod hat mich der Schlag getroffen. Da hat mich mein Sohn hier eingemietet und die Schwanitzky dazu.
“Frische Luft ist jut fĂŒrs Alterchen! Oder willste blass und bleich dem Herrjott juten Tach sagen wie der Jatte von der Bea von Ehrenfels?” Sie schlĂ€gt ihre HĂ€nde ĂŒber den Kopf zusammen. “Jessas Maria! Fremdjejangen ist er ihr! Hat sich ja vermĂ€hlen mĂŒssen mit einem BĂŒrgerlichen. Die jute Bea. WĂ€hrend ihrer Benefizkonzerte hat er sich vergnĂŒgt in FreudenhĂ€usern. Bis ihn im Bette beim Beischlaf der Schlag jetroffen hat.”
Ist doch ein schöner Tod. Besser, als wÀhrend eines frostigen Februardienstages auf dem Balkon zu erfrieren.
Sie legt mir die dĂŒnne Wolldecke von Erna auf den Schoß.
“Ich saje ja immer. Blaues Blut zu blaues Blut. Dad bĂŒrgerliche Jungchen hat die Adelsehre beschmutzt und dat Blut besudelt.”
Nun stĂŒlpt sie mir eine kratzige MĂŒtze ĂŒber meine Ohren. Ich schĂŒttele den Kopf, weil ich das Wollzeugs hasse. “Chabe ich gestrickt in lange BombennĂ€chte bei die Herrschaften im Weinkeller. Alterchen! Was chaben wir jebechert! Der gnÀ’ Herr, der Baron, chat das meiste vertrajen. Die französischen Weine hat der aufjesogen wien trockener Schwamm. ‘Marieelchen’, hatta jesacht, ‘das wĂ€rmt die polnische Seele in kalten BombennĂ€chten’.
Wann fÀngt sie endlich an zu putzen? Ich habe BombennÀchte im Winter an der Front in Russland erlebt und nicht im Weinkeller!
Die KĂ€lte beißt sich in meine Wangen. Ich puhle meine Rechte aus der Decke, damit ich schreiben kann. Das lenkt mich ab und lĂ€sst den Vormittag schneller vergehen.
“Oh Jott! VĂ€terchen! KreizwortrĂ€tsel sind was fĂŒrs jemeine Volk. Wirklich jebildet waren meine Blaublut-Herrschaften! Die konnten Französisch, Alterchen! Dad issich eine Sprache wie Musik von Mozart. Und die Töchter chaben allesamt Klavierunterricht jehabt.”
Die Schwanitzky zieht ihren geblĂŒmten Kittel unten am Saum mit den HĂ€nden auseinander und macht eine tiefe Verbeugung vor mir. “Dad, VĂ€terchen, is ein Hofknicks.”
Sie stöhnt, als sie sich aufrichtet und klopft fest, zu fest auf meine rechte Kalkschulter.
“Bin irch aber nircht Tochter aus jutem Hause. Muss auch noch das Bad wienern. Ist mir zu kalt hier draußen.” Sie macht eine kleine Pause und blickt mich von oben bist unten an. “Frierste etwa?”
Ich nicke zÀhneklappernd.
Der Frost ist inzwischen an meinen Beinen hochgezogen. Genau genommen spĂŒre ich die KĂ€lte nur noch rechts. Meine linke KörperhĂ€lfte ist taub und lahm. Ob die Vormieter an UnterkĂŒhlung verstorben sind? Eine zweite Decke könnte fĂŒr Abhilfe sorgen.
Sie zwickt mich in beide Wangen. Das schmerzt. “Die Luft tut dir gut. Hast rote BĂ€ckchen jekricht! Wenn das NĂ€schen auch noch rot anlĂ€uft, dann haste Ähnlichkeit mit meinem Grafen von Gut Hochlohe. Dienstags ist der immer zur Jagd ausjeritten. Da chabe ich sein Herrenzimmer auf Vordermann jebracht! Beim Putzen, sage irch immer! Beim Putzen sind die Mannsbilder nur im Wege.”
War er nun ein Graf oder ein Baron? Egal. Der hatte es gut. Konnte sich am Dienstag bei der Jagd warmreiten. Ich sitze hier im Rollstuhl fest.
Jetzt klopft sie mir so fest auf den RĂŒcken, dass ich husten muss.
“Alterchen! Alterchen! Nircht, dass de Lungenkrebs hast wie der Baron. Hat am Ende sein blaues Blut literweise in die Meißner PorzellanschĂŒssel jespuckt.”
Das kenne ich von Erna. Sie hatte Magenkrebs.
Die Schwanitzky reibt ihre HĂ€nde. “Dieses Jahr regiert VĂ€terchen Frost. Musst nircht traurig sein, wenn irch nu keine Zeit chabe fĂŒr Geschirchten von Hof Hohenlohe. Musste dich alleine beschĂ€ftigen.”
Endlich geht sie hinein und beginnt zu saugen.
“VĂ€terchen!”, ĂŒbertönt sie das Brummen des Staubsaugers, “pass auf dirch auf! Wer weiß, ob mirch der nĂ€chste Mieter ĂŒbernimmt!”

Wenn sie fertig ist, wird sie uns beiden einen heißen schwarzen Tee auf den Wohnzimmertisch stellen; und sich im Bad etwas frisch machen, wĂ€hrend ich die dampfende Köstlichkeit eingieße und mit jeweils vier StĂŒckchen WĂŒrfelzucker sĂŒĂŸe.
Ich nestele mit klammer Hand in meiner Hosentasche nach den zahlreich gesammelten Tabletten.

Wagerecht: Kapitalverbrechen. Vier Buchstaben. ‘Mord’.
Senkrecht: Selbsttötung mit sechs Buchstaben. ’Suizid’.


© anne zeisig version 3

Letzte Aktualisierung: 10.11.2011 - 16.16 Uhr
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