Washington Monumental
Der PrĂ€sident war umringt von Angehörigen des Secret Service, als er die TribĂŒne hochging. Ihm brandeten Beifall und Willkommensrufe entgegen.
Charles Trenton, der Sicherheitschef, folgte ihm.
Am Pult stand ein bekannter Talkmaster und kĂŒndigte den PrĂ€sidenten an.
âTrenton, leihen Sie mir ihren Kugelschreiber. Ich will in meiner Rede etwas streichen.â
Trenton kramte einen FĂŒller aus seinem Jackett. âDen hĂ€tte ich gerne wieder.â
Der PrĂ€sident nahm das antike Schreibutensil, faltete seine Rede auf und strich einen Satz weg. Dann steckte er sich den FĂŒller in die linke Brusttasche.
âUnd es kann auch wirklich nichts schiefgehen?â, fragte er Trenton.
âNatĂŒrlich nicht, Mr. President. Unsere Leute sind ĂŒberall. Es ist alles genau durchgeplant.â
Das Staatsoberhaupt nickte Trenton zu, ging zum Mikrofon und begann seine Ansprache.
Penelope Martinez achtete auf die kleine LED an der Oberseite der Kamera. Als sie aufleuchtete, begann sie zu sprechen: âIch stehe hier direkt unter der riesigen TribĂŒne, die speziell fĂŒr die Ansprache des PrĂ€sidenten errichtet wurde. Rund einhunderttausend Menschen haben sich eingefunden, um bei der Rede dabeizusein, die der PrĂ€sident heute halten wird.â
Penelope konnte auf dem kleinen Monitor vor ihr sehen, dass der Regisseur auf eine andere Perspektive umgeschaltet hatte. Tausende Amerikaner jubelten.
âEs ist eine unglaublich, was hier auf die Beine gestellt wurde. Die AusmaĂe der TribĂŒne und Sitzreihen ĂŒbertreffen die eines Football-Stadions. Warum der PrĂ€sident unbedingt mit einem so gewaltigen Kontingent in der Ăffentlichkeit auftritt, anstatt vom WeiĂen Haus aus zu sprechen, wird sich klĂ€ren. Seine Rede soll von monumentaler Bedeutung sein. Er wird direkt unter dem Washingtoner Obelisken stehen. Auch die Sicherheitsauflagen ĂŒbersteigen alles je Dagewesene. Aber die Gegner seiner Politik haben sich gemehrt. Schon im Vorfeld gab es Morddrohungen. Unser neuer PrĂ€sident ist einer der jĂŒngsten in der Geschichte des Landes.â Verschiedene Fotos erschienen auf dem Monitor, wĂ€hrend Penelope weitersprach. âEr ist direkt, er ist volksnah und charismatisch. Und das Volk liebt ihn.â Auf dem kleinen Bildschirm war jetzt der PrĂ€sident zu sehen, als er ans Mikrofon trat.
âDer PrĂ€sident beginnt jetzt mit seiner Ansprache. Penelope Martinez fĂŒr Satellite Network News.â Sie hielt ihr Mikrofon zu Seite und sah nach oben. Schlagartig war es auf dem riesigen Platz still geworden.
âLiebe Amerikaner. Ich stehe hier auf diesem Platz, weil es uns alle angeht. Es ist keine Geheimnis: Die USA stecken in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Aufgrund dessen und um die einmalige Chance zu nutzen, den Weltfrieden zu sichern, werden wir als erstes Land der Erde unsere Atomwaffen vernichten und auch keine weiteren produzieren. Dadurch werden wir nicht angreifbarer und wir hoffen, dass wir als gutes Beispiel vorausgehen.â
Jubel brach zunĂ€chst verhalten, nur aus einer Ecke hervor und verbreitete sich schlieĂlich auf dem ganzen Platz.
âEs ist unglaublich, was der PrĂ€sident gerade bekanntgegeben hat. Die USA fahren ihre RĂŒstung zurĂŒck!â Penelope konnte auf ihrem Monitor den PrĂ€sidenten sehen, wie er tief Luft holte und weiterreden wollte. Gerade als er wieder das Mikro erreicht hatte, wurde er nach hinten geschleudert. Einen Sekundenbruchteil spĂ€ter hallte ein Schuss nach.
Penelope konnte gerade noch sehen, wie sich Agenten auf den PrĂ€sidenten stĂŒrzten, um ihn zu schĂŒtzen. Dann wurde sie von panischen Menschen gestoĂen. Sie schlug gegen die Kamera und zog sich eine Platzwunde zu.
âWeiterfilmen!â, rief sie mit zusammengepressten ZĂ€hnen. Sie hielt sich kurz den Kopf und wischte die blutige Hand an ihrer Hose ab. âLos, nach oben!â
Der Kameramann zögerte keinen Moment und bahnte sich den Weg hinter ihr durch die dichtgedrÀngte Menge.
Die SicherheitskrĂ€fte hatten MĂŒhe, die auĂer Kontrolle geratene Menschenmasse zu bĂ€ndigen. Selbst die NotausgĂ€nge fĂŒr Mitarbeiter waren verstopft.
Penelope und ihr Kollege schafften es aber trotzdem nicht auf die TribĂŒne. Sie erkĂ€mpften sich den Weg hinter die BĂŒhne, wo es etwas ruhiger zuging. Sie wurden kaum beachtet, weil alle mit dem PrĂ€sidenten beschĂ€ftigt waren, der auf einer Trage lag.
Alles was der Kameramann filmte, wurde live ins amerikanische Fernsehen ĂŒbertragen: Ein Arzt und Charles Trenton beugten sich ĂŒber den PrĂ€sidenten. Als sie bemerkt wurden, sah Trenton auf. âWas machen Sie hier?â
Penelope konnte einen Blick auf den PrĂ€sidenten erhaschen. Blaues Blut sickerte dickflĂŒssig aus seiner Brustwunde. Der Kameramann hatte alles gefilmt.
Trenton hantierte nicht sichtbar fĂŒr die beiden an etwas herum.
Penelope war angesichts des blauen Blutes fassungslos: âWie kann das sein?â
Trenton kam mit Secret-Service Agenten auf die beiden zu. Er hielt einen zerbrochenen FĂŒller vor die Linse und bemerkte: âDer PrĂ€sident trĂ€gt eine schusssichere Weste. Die Kugel hat den FĂŒller getroffen und deswegen ist alles voller blauer Tinte. Haben Sie jetzt genug gesehen?â
Penelope konnte den PrÀsidenten noch sehen, wie er sich aufrichtete und gequÀlt in ihre Richtung lÀchelte und mit der Hand winkte, als wÀre alles in Ordnung.
Dann wurden Penelope und ihr Kameramann nach drauĂen gebracht.
Charles Trenton saĂ vor dem Kaminfeuer in seinem Sessel und schwenkte ein Whiskeyglas hin und her. Er betrachtete die bernsteinfarbene FlĂŒssigkeit und lieĂ den Tag Revue passieren.
Das fingierte Attentat unterstrich das Anliegen des PrĂ€sidenten. Andere LĂ€nder mussten ihrem Beispiel der AbrĂŒstung folgen. Damit war die nĂ€chste Phase des Plans angelaufen.
Trentons Herz klopfte vor Aufregung. Beinahe wĂ€re alles schief gelaufen. Die Kugel hatte die Schutzweste durchschlagen und dann war noch die Reporterin mit ihrem Kameramann aufgetaucht. Trenton fasste sich an die Brust und fĂŒhlte die Reste des FĂŒllers, den er selbst zerbrochen hatte. Er lehnte sich entspannter zurĂŒck.
Letzte Aktualisierung: 27.11.2011 - 12.14 Uhr Dieser Text enthält 5994 Zeichen.