Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
„Was hältst du von einem neuen Auto?“, fragt mein Gatte und ich antworte spontan:
„Nichts!“
Er hebt erneut an mit den Worten: „Aber das neue Auto hat –“
Aha, er hat also schon ein Bestimmtes ins Auge gefasst. Es folgt eine endlos lange Aufzählung von technischen Daten. Bei doppelnutgefederter Spritznockenwelle mit hydraulischem Dreifachhub steige ich aus und überlege, was ich zu Mittag kochen soll.
Allein bei der Schilderung der Größe des Kofferraumes werde ich hellhörig.
„Da passen acht Kästen Bier rein!“ Die Augen meines Gatten glänzen wie die eines Kleinkindes am Heiligen Abend und er schaut mich erwartungsvoll an.
„Acht Kästen. Soso. Aber wann kaufen wir denn so viele auf einmal?“, frage ich verblüfft.
„Na ja, man weiß ja nie. Acht Kästen! Stell dir mal vor! Bei Heinz passen nur sieben rein.“
Das ist natürlich ein Argument. Und der Wagen wird eh bereits so gut wie gekauft sein. Die neue Maßeinheit ‚Bierkästen’ finde ich lustig. Unser Schlafzimmer ist dreihundertvierundsechzig Bierkästen groß, und unser Wohnzimmer satte fünfhundert, höre ich mich bereits stolz im Kollegenkreis berichten.
„ – mit umgeklappter Rückbank fasst er noch vier weitere“, beendet mein Gatte triumphierend sein Plädoyer und greift fröhlich zum Handy, um Skatbruder Heinz über dieses Phänomen zu informieren.
Die Nachbarn sind herbeigeeilt und auch der Skatclub ist vollzählig versammelt, als mein Herr Gemahl den Kofferraumdeckel anhebt, die Sitze umklappt und laut sinniert, dass auch auf dem Beifahrersitz – so ich denn nicht mitführe – ebenfalls Platz sei und man die Ladekapazität somit auf dreizehn Kästen erhöhen könne. Die umstehenden Männer nicken ehrfürchtig und ich überlege langsam, ob ich mir Sorgen machen muss.
Mein Gatte rechnet in Bierkästen.
Seine SkatbrĂĽder auch.
Welch große Rolle doch neuerdings das Bier im Leben dieser Männer spielt. Ob die Wechseljahre Schuld daran haben? Frauen bekommen Hitzewallungen und Männer Durst?
Ein Nachbar scheint meine Gedanken zu lesen und behauptet, dass Bier zur Gattung der Nahrungsmittel gehöre und noch nie durch Vergammelung oder Hormonzusätze in Verruf geraten sei. Er erntet donnernden Applaus aus der Männerriege. Besonders von meinem Mann. Hat er doch allein für die heutige Neuwagen-Vorführung ein Zwanzigliterfass besorgt und im – neulich eigens dafür angeschafften! – Kühlschrank in unserer Kellerbar deponiert. Und das bereits vor zwei Tagen, damit das edle Getränk nur ja die Optimalkühlung von genau sieben Grad erreicht, „– denn dazu bedarf es mindestens achtundvierzig Stunden!“, erklärte mir mein Gatte mit wichtigem Gesichtsausdruck. Aha.
Während die Herrschaften mit „Ahhs“ und „Ohhs“ das neue Raumwunder bestaunen, fällt mir ein, dass ich gestern Abend kurzzeitig den Stecker gezogen habe, um in der Bar Staub zu saugen. Eine überflüssige Tätigkeit in den Augen meines Mannes, doch die Fläche von siebzig Bierkästen war schnell erledigt.
Plötzlich wird mir mulmig zumute. Hat nicht das Telefon geklingelt, als ich gerade den Staubsauger wegpackte? Habe ich den Kühlschrank eigentlich wieder eingestöpselt? Ein kleiner Adrenalinstoß ist mir behilflich, innerhalb von vier Sekunden den Keller zu erreichen.
Was ich angerichtet habe, kommt dem Weltuntergang oder einer ähnlichen Katastrophe gleich. Mein Mann beteuert, dass er absolut unschuldig an dieser Blamage ist, und dass er mich niemals geheiratet hätte, wenn diese äußert ungeschickte Aktion vorhersehbar gewesen wäre. Jaha, ich habe das größte aller Vergehen begangen. Ich habe Bier warm werden lassen. Die Erde möge sich auftun und mich auf Nimmerwiedersehen verschlingen.
Skatbruder Heinz jedoch rettet mein Leben und auch unsere Ehe.
„Kein Problem, wenn ich eines immer im Haus habe, ist es genügend gekühltes Bier.“ Und nicht nur das. Er hat obendrein eine Gemahlin, die in ihrem früheren Leben ein Mann gewesen sein muss. Sie schleppt innerhalb von acht Minuten die Rettung des Abends in Form von vier bis an den Rand gefüllten Kühlboxen herbei. Sie wird eigens für solch hochdramatische Vorfälle ein mobiles Blaulicht angeschafft und mit Sonder- und Wegerecht die Strecke unter Einsatz ihres Lebens zurückgelegt haben.
Mein Gatte zieht seine Scheidungsabsichten daraufhin zurĂĽck. Seine Gesichtsfarbe nimmt wieder einen leicht rosafarbenen Ton an, und ich lege das GelĂĽbde ab, niemals mehr an auch nur irgendeiner Steckdose in unserem Keller Hand anzulegen.
Als Wiedergutmachung serviere ich Käsehäppchen und belegte Brötchen und finde es ziemlich klug von den übrigen Frauen, dass sie ihre Männer alleine zu dieser feierlichen Einweihungsrunde geschickt haben. Die Herren fachsimpeln nämlich gerade über Kofferräume und verschiedenste Biersorten. Bier im Fass, Bierflaschen mit Kronkorken. Bierflaschen mit Schnappverschluss. Helles Bier, dunkles Bier. Obergärig. Hefeweizen.
„Ach, gibt es so viele Unterschiede?“, frage ich unschuldig in die fröhliche Runde und ernte daraufhin sowohl böse als auch mitleidige Blicke. Heinz hält mir daraufhin einen zähen Vortrag über Brauereien, Herstellungsverfahren und artgerechte Lagerung. Währenddessen nimmt er ungefähr einen dreiviertel Liter Bier zu sich und macht am Ende der ungebetenen Unterrichtsstunde ein Bäuerchen.
Skatbruder Klaus scheint zusätzlich zum Durst eine Hitzewallung zu bekommen und zieht seinen Pulli aus. Darunter trägt er ein Shirt mit der Aufschrift: Bier macht schön.
Ich frage mich, wann dieser Effekt wohl eintreten mag, verabschiede mich ins Wohnzimmer und warte dort geduldig auf die Order, ein Taxi zu bestellen.
Nach einer viertel Stunde schlafe ich auf der Couch ein und werde irgendwann durch heftiges Läuten an der Türe geweckt. Aha, man hat sich also noch artikulieren und eigenmächtig einen Wagen bestellen können.
Der Taxifahrer ist ein wenig ungehalten, da ein gewisser Herr Heinz versprochen hat, vor dem Haus zu warten.
Ich stürze in den Keller, blicke in drei glasig grinsende Augenpaare und verkünde das Ende des heutigen Abends. Klaus und Heinz haben im Laufe der letzten Stunde ihre Kofferräume größer getrunken und nehmen noch einen letzten Schluck auf dieses glückselige Ereignis. „Achtohne-öps-Rücksisse mitssussu-rechn!“, schwört Heinz, und ich erinnere sanft ans Taxi.
Klaus ringt daraufhin mit seinem Pulli und mein Gatte diskutiert mit einer der KĂĽhlboxen, weil der Deckel nicht mehr draufpasst. Ich schiebe Heinz die Treppe hinauf, beschwichtige den Taxifahrer mit einem Zehn-Euroschein und kĂĽndige Klaus als weiteren Fahrgast an.
„Hoffentlich bricht mir keiner von denen die Sitze voll“, brummelt der Fahrer und fängt geistesgegenwärtig Heinz auf, weil dieser die Außentreppe unseres Hauses vergessen hat.
Mein Gatte und Klaus stützen sich gegenseitig und überlegen schwankender Weise, ob fünf oder gar sechs Bierkästen in den Taxikofferraum passen.
„Neun!“, sagt der Fahrer und öffnet die hintere Klappe zum Beweis. Meine Mannen nehmen schlagartig Haltung an.
Tatsächlich. Ich zähle zweimal nach. Der gesamte Kofferraum ist voll. Es sind genau neun Kästen.
„Ist eine Gefälligkeit für einen Kumpel. Muss ich morgen ganz früh abliefern.“, erfahre ich, während die Männer noch immer fassungslos dastehen und ungläubig in den Kofferraum starren.
„Hat der wirklich den Wagen voller Bierkästen gehabt?“, fragt mein Gatte zaghaft mit rotumränderten Augen beim Frühstück.
„Bierkästen?“, frage ich harmlos zurück. „Wer soll den Wagen voller Bierkästen gehabt haben?“
„Äh, nee, ist schon gut, vergiss es.“
Ich gäbe meine Lieblingshandtasche, um Mäuschen spielen zu dürfen, wenn er seine Skatkumpel nach ihren Erinnerungen an den gestrigen Abend abklopft.