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Blaues Blut | November 2011

Villa Paradiso
von Eva Fischer

Der Tod ihres Mannes kam nicht überraschend. Seit Jahren litt er an einem schwachen Herzen, das eines Tages aufhörte zu schlagen. Sie hatte eine würdevolle Beerdigung organisiert, so dass ihr Mann sich daran hätte erfreuen können, so er noch gelebt hätte.
Die beiden erwachsenen Töchter reisten mit ihren Familien am nächsten Tag zufrieden ab, denn ihre Mutter schien recht gefasst und willens, den neuen Lebensabschnitt mit Bravour zu meistern.
Das Haus blieb leer zurück und Doris räumte auf. Die Kleidung ihres Mannes überließ sie der Caritas, seine in Jahren liebevoll zusammengetragene Eisenbahnsammlung packte sie in Kisten mit der Aufschrift „Empfänger unbekannt verzogen“. Auch in ihrer Seele suchte sie während zahlreicher Spaziergänge Ordnung zu schaffen und gelangte zu der Erkenntnis, dass sie sich zwar ein Leben ohne Willibald vorstellen konnte, aber nicht in einsiedlerischer Einsamkeit.
So las sie eines Morgens mit großem Interesse eine Kleinanzeige in ihrer Tageszeitung.
„ Ein Platz an der Sonne ist gerade bei uns frei geworden !
Wenn du weiblich und mobil bist, das rentenfähige Alter erreicht hast, über eine gute Pension verfügst, dann bist du bei uns richtig. Wir sind ein einfallsreiches, deutsches Rentnertrio, leben seit sechs Jahren in der Villa Paradiso in Pietro Santa di Mare, und würden dich gern für einen Monat zur Probe kennen lernen. Briefe unter Chiffre 6392.“

Es war lange her, dass Doris einen Urlaub im Ausland verbracht hatte. Meist war sie mit Willibald nach Bad Pyrmont gereist, wo er sich für sein schwaches Herz geeigneten Behandlungen unterzog. Bella Italia erschien ihr wie eine Opernarie, deren verlockender Klang, sie sogleich in den Bann zog.
Eine Woche später packte sie ihren Koffer, bereit, sich in das Abenteuer einzulassen, das der Herbst des Lebens so unerwartet und erfreulich ihr bescherte. Was riskierte sie schon? Bei Nichtgefallen konnte sie sich in eine Pension einmieten oder nach einem Monat zurückkehren.
Brieflich hatte sie ihre Ankunft für den 6. November angekündigt. Zwei Männer und eine Frau erwarteten sie freudig, wurde ihr versichert.

Das Flugzeug brachte sie nach Florenz. Von dort nahm sie ein Taxi nach Pietro Santa di Mare. Die Fahrt über die hügelige toskanische Landschaft, wo schlanke Pinien den Weg säumten und rostrote Dächer in den blauen Himmel ragten, war eine angenehme Ouvertüre und ließen ihr Herz im neuem Rhythmus schlagen.
Als sie die Treppen zur zweistöckigen Villa hochstieg, die zartrosa in der Abendsonne leuchtete, da vollbrachte ihr Herz wahre Kapriolen.


Erster Akt
Ein Herr mit vollem weißen Haar öffnete ihr die Tür.
„Willkommen, Allerwerteste! Treten Sie näher!“
Er führte sie in einen Salon, wo auf einem Sofa eine rundliche Dame saß, die in eine Patience vertieft schien. Ein großer, schlaksiger Mann kam mit einem Tablett voller Gläser und Flaschen auf sie zu.
„Darf es was zur Erfrischung sein, Gnädigste? Ich hätte da anzubieten: vino rosso und vino bianco oder tät Ihnen jetzt nach dem Flug ein kleines Schnäpschen besser munden?“
Während Doris noch verwundert dem rheinischen Singsang nachhing, unterbrach er sich.
„Sorry, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin der Hugo von Balder. Und dat Nilpferd auf der Couch, dat iss die Hella von Sinnen.“
„Im Gegensatz zu dir ignorantem Schnösel eine richtige Von“, konterte es aus der Ecke.
Doris’ Blicke wanderten von einem zum anderen. Es war schon Jahre her, dass sie die Sendung „Genial daneben“ gesehen hatte. Waren es wirklich die beiden bekannten Künstler?
Der Herr mit dem vollen weißen Haar machte eine Verbeugung.
„Verzeihen Sie, Allerwerteste. Ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin Fritz von Hardenberg und wer sind Sie?“
„Doris von Schmitz“, entfuhr es ihr.
„Nicht schlecht, Schätzchen“, wieherte Hella los, „aber an dem Schmitz müssen wir noch wat feilen. Wie wär’s mit Doris von Day?“
Und grübeln Sie nicht zu lange in Ihrem Gedächtnis herum, ob Sie uns schon irgendwo auf der Bühne gesehen haben. Unsere Bühne ist die Villa Paradiso und da führen wir täglich neue Stückchen auf, stimmt’s Hugo?“
„Allerdings wurden schon mehrere Sahnestückchen Ihrer Begrüßungstorte von Hella heute Nachmittag vertilgt.“
„Wat ein Fehler war, wenn ich mir Ihre Twiggy-Figur betrachte“ , ergänzte die Sinnen.
„Ich glaube, ich möchte jetzt doch einen Schnaps“, meldete sich Doris.
„Die Patience ist aufgegangen!“, jubelte Hella laut und schälte sich schwerfällig aus ihrem Sofa, um Doris an ihren dicken Busen zu drücken.
„ Willkommen im Team! Ich sorg schon dafür, dat du was auf die Rippen kriegst, Schätzchen, aber jetzt setz dich erst mal hin, damit du mir nicht zusammenklapperst.“


Zweiter Akt:
Einige Ramazotti später zeigte Fritz ihr das Schlafzimmer, groß und geräumig mit hohen Wänden und einem in Terrakotta gefliesten Bad.
„Sie können sich jetzt frisch machen, Allerwerteste. In einer halben Stunde gibt es Abendessen“, verkündete er.
Die Dusche funktionierte perfekt und vertrieb ein wenig den Nebel, der in Doris’ Kopf waberte.
„Oh, Willibald, wenn du mich jetzt sehen könntest, du bekämst sicher eine Herzattacke“, dachte sie.

„Schon wieder Spaghetti“, maulte Hugo, der bereits neben Hella an der Tafel Platz genommen hatte.
„Das ist doch nur die Vorspeise. Wann kapierst du das endlich, du Tünnes?“
„Brunella könnte neben ihrem Dress auch mal beim primo piatto variieren, oder?“, sagte er, während er der jungen Italienerin den Hintern tätschelte. Diese revanchierte sich mit einem verächtlichen Blick.
„Was gibt es zum Hauptgang?“, wollte Hella wissen.
„Scaloppina milanese, ganz wie Signora es gewünscht haben.“
„Mhm, Schnitzel, lecker“, schnurrte die Sinnen.
„Für mich bitte keine patate fritte. Das macht meine Galle nicht mit“, bat Fritz.
„Und meine Leber verlangt nach einem Glas Rotwein. Brunella- Schätzchen, entkorken Sie uns bitte eine neue Flasche Montepulciano! Den Herren der Schöpfung hier fehlt der nötige Drive, oder können Sie Flaschen öffnen? “, wandte sie sich an Doris.

„Es sind leider nur noch drei Stückchen Sahnetorte übrig, Signora“, beklagte sich Brunella nach dem Hauptgang.
„Das reicht doch. Fritz und Hugo haben ihre Kindermägen schon vollgestopft.“
„Ich hätte gerne einen koffeinfreien Espresso“, meldete sich Fritz.
„Und ich ein frisch gezapftes Kölsch“, schickte Hugo hinterher.
„Vergiss es! Du bist hier nicht bei Mami, sondern im sonnigen Italien!“

Dritter Akt:
„So, liebe Doris, nun wollen wir dich mit unserer Hausordnung bekannt machen.

Erstens, jeder macht hier, was er will. Irgendwelche Einschränkungen gehören der Vergangenheit an.
Zweitens, jeder sollte zur Unterhaltung des anderen beitragen. Wir haben schließlich unsere einsamen Höhlen nicht verlassen, um wieder Langeweile zu zelebrieren.
Drittens. Alles hat seinen Preis. So auch dieses kleine Paradies. Wir bezahlen eine Köchin, eine Putzfrau, einen Hausmeister, einen Gärtner, eine Krankenschwester und einen Chauffeur. Ich denke 4000 Euro monatlich ist für diesen Luxus wirklich nicht zu viel.“

„Woher nehmen und nicht stehlen?“, murmelte Doris entsetzt.
Hella taxierte ungeniert den muskulösen Körper der Witwe.
„Also, Schätzchen, wenn wir ein paar Jobs streichen können, dann wäre für dich ein Freundschaftspreis drin.“
Doris schaute sie irritiert und verständnislos an.
„Na, such’ dir zwei Jobs aus! Was kannste? Putzen, Kochen, Lampen auswechseln, Buchsbaum schneiden, uns durch die Gegend kutschieren, oder warst du in deinem früheren Leben Krankenschwester?“
„ Nein, das nicht, aber Kochen und Autofahren, das mach ich gerne.“
„Siehste, da biste schon mit 3000 Euro dabei.“
Doris schluckte.
„Ich glaube, ich übernehme dann noch das Putzen.“
„2500 Euro! Wenn das kein Schnäppchen ist! Ich wusste gleich, als die Patience aufging, du bist die Richtige. Na, dann entkork’ mir mal gleich das nächste Fläschchen! Darauf müssen wir anstoßen.“



Finale:
„La donna è mobile“, tönte es aus dem Radio, während Doris den Mercedes Baujahr 99 vollgefüllt mit Köstlichkeiten vom Markt zur Villa Paradiso lenkte.
Kochen machte ihr Spaß. Daran hatte sich in all den Jahren nichts geändert. Die primi und secondi piatti waren jetzt um vieles abwechslungsreicher als vorher. Die beiden Herren waren zufrieden, nur Hella maulte manchmal, dass es keine Sahnetorte mehr gab, sondern Früchte.

Mit ihrem Job als Putzfrau lernte sie die weitverzweigten Gemächer dieser wundervollen Villa kennen. Einen Raum durfte sie nicht betreten. Doch nichts macht den Menschen neugieriger als ein Verbot. Es war ihr ein leichtes, den Schlüssel zu finden, der einfallsreich in einem Blumentopf versteckt war, und sich Zugang zu diesem Raum zu verschaffen, während das Trio weinselig Siesta hielt.
Doris staunte nicht schlecht, was sie dort fand. Sie ging in den Garten, um erst einmal durchzuatmen.

Wenig später drückte sie die Handytaste.
„ Hallo, Christina. Dein Verdacht hat sich bestätigt. Ja, der Koffer eurer gesuchten Frau Winterscheidt ist auch dabei. Nein, mach dir keine Sorgen! Mir passiert schon nichts. Bis bald!“
Doris lächelte, wenn sie an ihre Tochter Christina dachte, auf die sie stolz war, weil sie erfolgreich als Kommissarin bei der Kripo arbeitete.

Aus dem Schatten der Bäume bewegte sich eine Gestalt auf sie zu.
„Ach, du bist es. Nickerchen schon beendet? Fritz von Hardenberg, oder wie immer du heißen magst? Vielleicht zur Abwechslung auch Andrea Botticelli?“
„Du falsche Schlange! Hast dich bei uns eingeschlichen.“

Schade, dabei hatte sie ihm immer gern zugehört, wenn er sang.

“La donna e mobile
qual piuma al vento
muta d'accento
e di pensiero.”

Letzte Aktualisierung: 15.11.2011 - 21.40 Uhr
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