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Blaues Blut | November 2011

Ritter und Bauer
von Thea Derado

Ritter Kunibert, genannt Kuno, sprengte den schmalen Weg des Burghügels hinab, rechts und links den unschuldigen Bäumen mit Schwerthieben die Äste stutzend. Er war wütend auf alles und jeden. Vater hatte vor einiger Zeit das Zeitliche gesegnet, und wenn er nicht im Fegefeuer schmorte, dann flatterte er wohl da oben auf der düsteren Wolke. Geschah ihm recht, dem Alten! Die Burg und die Ländereien hatte er seinem Ältesten vermacht. Der war, wohl klar, nicht geneigt, von seinem Erbe was abzugeben. Der Mittlere hatte diese Ungerechtigkeiten kommen sehen und schon beizeiten die Kurve zur Frömmigkeit gekratzt; er war Priester geworden. Der lebte nicht schlecht vom schlechten Gewissen all der kleinen und großen Sünder. Und ihn, den Jüngsten, hatten sie für Kaisers Kriegsdienste mustern lassen. Ja, wenn doch mal eine ordentliche Schlacht zum Dreinschlagen käme! Aber nee, alle hatten noch die Nase voll vom 30jährigen Krieg. Und nun herrschten ringsum nur friedliche Absichten.
Er, ja seine ganze Generation, war einfach nicht im richtigen Augenblick geboren. Aus anständigen Kriegern und Rittern waren marodierende Vagabunden geworden, die sich wie die alten Raubritter mehr schlecht als recht durchschlugen.
Kuno ließ den Blick schweifen. Keine Kutsche zum Ausrauben weit und breit. Nur dort hinten auf dem Acker ein Bäuerlein mit seinem Ochsengespann.
Na warte, du bist dran.
Mit der Aussicht auf eine schöne Quälerei spornte Kuno seine Schindermähre an, dass die Mähne und der Schwanz nur so flogen.

‚Ja verreck! Soll ihn doch der Deiwi holen!‘, dachte Jost, der Bauer, als er den rotgesichtigen Adelsspross im Galopp herankommen sah. Von dem hatte er nämlich schon Schlimmes gehört. Es ging die Kunde, dieser Kuno habe sich alles erzählen lassen, was die Landsknechte im Krieg so getrieben haben: Bauern anbinden, deren Füße mit Salz einstreichen und dann die Ziege daran lecken lassen, bis sie sich totlachten. Die Bauern, nicht die Ziegen.
Jost band rasch seine Fußleder sehr fest zu, machte dreifache Knoten und riss dann die Bindfäden ganz kurz ab. Noch ein kurzes Stoßgebet in die Baumwipfel, dann bremste Kuno auch schon neben ihm, dass die Ackerscholle flog.
„Na, Bäuerlein! Jetzt geht’s dir an den Kragen!“, drohte Kuno.
Jost setzte sein ahnungslosestes Gesicht auf, reichte dem Ritter seine noch halbvolle Wasserflasche nach oben und brummte: „Jojo, sehr heiß heute! Da kann einem schon mal der Kragen platzen. Vielleicht hilft ein kühler Schluck .“
„Stell dich nicht blöder als du bist! Ich bin in der Stimmung, dich mal bisschen aufzuknüpfen.“
Jost blickte ihn treuherzig an. „Dees tat ich net. Wer soll denn dann die Felder bestellen? Da kriegt doch Euereins auch nichts zu beißen. Hoast mi?“
„Du bist mir ja ein Scherzbold!“ Kuno war ja nicht durch und durch schlecht, die Umstände hatte ihn so grausam werden lassen. Seine Laune besserte sich etwas, und er war geneigt, mit dem Bauern zu verhandeln.
„Was hast du denn in deinem Jausensack? Schmeiß mal rüber!“
„Klar doch; können wir teilen.“ Jost biss zuerst in ein Stück Schinken und reichte es Kuno dann.
„Wenn du willst, können wir überhaupt alles teilen. Auch die nächste Ernte. Kannst ja später deinen Anteil verhökern,“ lockte Jost.
Ihm war ein Märchen eingefallen, dass ihm, als er noch klein war, die Großmutter an manchem Abend hinterm Ofen erzählt hatte: Wie ein schlauer Bauer den Teufel übers Ohr gehauen hatte. Das sollte doch mit so einem unbedarften Ritter auch klappen. Dessen Großmutter da oben auf der Burg hat ihm sicher keine solchen Geschichten erzählt.
Kuno biss schon an – am Schinken und am Vorschlag. „Hm. Zur Erntezeit?“
„Zur Erntezeit! Du darfst wählen. Das über der Erde oder das unter der Erde.“
„Hähä! Natürlich das über der Erde! Alles Gute wächst oben.“
„Also gut! Du das über der Erde, ich das unter der Erde! Schlag ein!“
„Abgemacht ist abgemacht!!“
„Und was abgemacht ist, das gilt!“
„Was abgemacht ist, das gilt.“

Dann kam die goldene Herbstzeit, überall leuchtete das reife Korn. Nur nicht auf den Feldern von Jost.
Als Kuno angeritten kam, um seinen Anteil zu holen, sah er auf Josts Acker nur Blätter.
„Was soll das denn sein? Die kann man doch nicht essen? Rübenblätter!“
„Das ist deine Ernte-Hälfte! Alles, was über der Erde wächst. Abgemacht ist abgemacht. Und was abgemacht ist, das gilt!“
Es waren nicht nur Rüben aller Art und Möhren, die das Bäuerlein gepflanzt hatte. Nein, auch eine noch recht neuartige Frucht auf deutschen Feldern: die Kartoffel. Sein Schwager hatte ihm vor einigen Jahren einige Exemplare aus Pilgramsreuth in Oberfranken mitgebracht. Und nun prangte und welkte das unnütze Kartoffelkraut neben den Rübenblättern zu Kunos Verdruss und Josts kaum zu unterdrückender Schadenfreude.
Es war sogar eine sehr gute Ernte. Sie würden im Winter nicht hungern müssen.
So viel Ritterlichkeit schlug noch unter Kunos Gewand, dass er gute Miene zum bösen Spiel machte.
Versöhnlich meinte Jost: Ich lade Euch mal ein, wenn es bei uns Reiberdatschi, Kartoffelpuffer gibt. Ihr könnt ja das Apfelmus mitbringen von den oberirdischen Äpfeln!“
Jost wartete darauf, dass der Ritter nun, so wie im Märchen der Teufel, darauf bestehen würde, im nächsten Jahr alles von der Ernte abzubekommen, was unter der Erde wuchs. Er schlug es auch vor, wobei er sich das Grinsen nicht verkneifen konnte. Aber Kuno reichte es, einmal geneppt worden zu sein. Er tippte sich an die Stirn.
„Dass du dann nur Getreide anbaust, ist wohl klar. Nee, lass man! Da komme ich doch lieber hin und wieder zum Reiberdatschi-Essen.“

Letzte Aktualisierung: 23.11.2011 - 14.22 Uhr
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