'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Haus des Grauens
von Susanne Ruitenberg

Die anderen warteten bereits, als Kevin auf den Parkplatz einbog.
„Da biste ja endlich, Freak! Wir dachten schon, du kneifst.“ Typisch Finn, immer das große Wort führen. Dabei waren sie auf Kevin angewiesen, schließlich durfte er als Einziger ohne Begleitung fahren. Außerdem hatte er das Ganze angeleiert. Und da für alle ein Hunni heraussprang, sollten sie dankbar sein, dass er sie überhaupt mitnahm, anstatt sich zu beschweren. Schließlich hätte er auch die Jungs aus seiner Fußballmannschaft fragen können, aber er wollte Eindruck schinden bei Lea. Wer weiß, vielleicht ging sie dann endlich mit ihm aus.
„Ich musste warten, bis mein Alter aus der Kneipe kommt, sonst hätten wir die Karre nicht. Jetzt halt die Klappe und steigt ein.“
Finn warf sich natürlich auf den Beifahrersitz. Jan, Gina und Lea mussten mit der Rückbank vorlieb nehmen, nachdem sie umständlich ausdiskutiert hatten, wer in der Mitte hocken sollte.
„Schön kuschelig hier.“ Gina kicherte. „Ey, Jan, mach dich nicht so breit.“
„Ruhe da hinten, ich muss mich auf den Weg konzentrieren.“ Der Rest der Fahrt zu dem abgelegenen Haus verlief schweigend, wenn man von dem Getuschel der Mädels absah.
Eine Stunde später hielten sie vor einem schmiedeeisernen Gatter.
„Mist, das ist ja zu!“, rief Gina.
„No sweat, der Prof hat gesagt, dass er uns aufmacht. Wir sind außerdem fünf Minuten zu früh, um drei sollten wir auflaufen.“
Wie um seine Worte zu bestätigen, schwang das große Tor laut quietschend nach innen.
„Das hättense ja ruhig mal ölen können, wenn sie Besuch erwarten.“ Natürlich Finn, der Klugscheißer.
Vorsichtig lenkte Kevin den Wagen die stockdunkle Auffahrt hinauf. Das Licht der Scheinwerfer verlor sich nach wenigen Metern. Auf einmal huschte etwas quer über den Weg. Reflexhaft ging er in die Eisen, alle wurden in ihre Sicherheitsgurte geworfen.
„Was war das?“, kreischte Lea.
Kevin schluckte. „Wird ne Katze oder‘n Fuchs gewesen sein, nu hab dich nicht so, schließlich sind wir hier in der Wallachei.“
„Außerdem, mit mir als Beschützer braucht ihr vor nix Angst zu haben.“ Jan ließ demonstrativ seine Muskeln spielen. Angeber.
Kevin lenkte das Auto bis direkt vors Haus und hielt an. „Endstation.“
Sie stiegen aus. „Huch, das ist ja stockfinster“, flüsterte Lea.
„Was erwartest du, im Taunus gibt es keine Straßenlaternen.“ Finn holte eine Taschenlampe aus der Hosentasche und leuchtete das Gemäuer an. „Mann, was ne hässliche Bruchbude.“ Kevins Augen folgten dem Lichtfleck. Die Klappläden hingen zum Teil schief in den Angeln, verschrumpeltes Efeu kletterte die Backsteinmauern empor und die Fenster hatte jahrzehntelang niemand mehr geputzt. Wie trübe Augen starrten sie aus den Mauern.
Jan erklomm die drei Stufen vor der Eingangstür und rüttelte an der Klinke. „Hoffentlich lässt der uns nicht zu lang zappeln, es ist schweinekalt.“ Ohne Vorwarnung schwang die Tür auf, als hätte jemand sie aufgestoßen, und Jan fiel nach innen. „Scheiße, was war das denn?“ Er sprang auf die Füße und tastete an der Wand herum. Sekunden später warfen staubige Glühbirnen einen Hauch gelbes Licht aus der Türöffnung. „Na, immerhin sehen wir was. Kommt rein, wir warten hier drinnen.“
Kevin folgte den anderen und sah sich um. Sie standen in einer Eingangshalle mit großen quadratischen Steinquadern am Boden und getäfelten Wänden, die das spärliche Licht schluckten. Eine dicke Staubschicht bedeckte die wenigen Möbel; ein paar Stühle, eine Truhe und ein Garderobentisch, auf dem ... „Was ist das denn?“ Der strahlend weiße Briefbogen schien nicht in diese schmuddelige Umgebung zu passen. Kevin hob ihn auf und las laut vor: „Liebe Probanden, ich musste schnell noch ein paar Batterien besorgen, geht schon mal ins Wohnzimmer, geradeaus durch, ich komme in wenigen Minuten.“
„Das muss da drüben sein.“ Gina deutete auf eine Tür am Ende der Eingangshalle. Als sie die erreichten und öffneten, gab es einen Knall hinter ihnen. Lea machte einen Satz senkrecht in die Luft und kreischte.
Kevin blickte zurück. „Das war nur die Eingangstür, hier muss irgendwo ein Luftzug sein. Los, rein mit euch.“
Er widerstand dem Impuls, zu rennen und nachzusehen, ob sich die Tür noch öffnen ließ. So etwas passierte doch nur im Film, dass Türen sich von alleine abschlossen. Nicht im wirklichen Leben. Keinesfalls im wirklichen Leben, oder?
Das Wohnzimmer war vollgestopft mit Möbeln, die unter staubigen Bettlaken schlummerten. Kevin wischte seine Handflächen an den Jeans ab. Wie Geister auf der Stehparty. Hatte der Prof noch eine Nachricht hinterlassen? Nein, hier lag nichts herum.
Gina warf sich auf eins der Sofas und sprang sofort wieder auf. „Iih, das ist ja feucht.“ Ungläubig starrte Kevin auf den roten Fleck, der sich auf dem schmuddelig weißen Abdecklaken ausbreitete. Sofas bluteten doch nicht? Bevor er etwas sagen konnte, donnerten dumpfe Schläge aus allen vier Wänden. Diesmal kreischten beide Mädels. „Mir reichts, ich geh raus!“ Gina rannte aus dem Raum. „Ey Mann, wer hat die Eingangstür abgeschlossen?“ Rütteln und Klopfen. „Finn, Jan, macht das auf!“ Panik in der Stimme.
Jan und Finn kümmerten sich nicht um ihr Geschrei, sondern erkundeten das Wohnzimmer. „Oh wow, eine Geheimtür.“ Finn schob ein Stück Wand direkt neben dem Kamin weg. Eine schwarze Öffnung gähnte ihnen entgegen. „Cool, vielleicht ist da ein Weinkeller!“ Er knipste seine Taschenlampe an und stieg hinein.
„Komm zurück, lasst uns zusammenbleiben und auf den Prof warten“, rief Kevin. Keine Reaktion. „Finn?“ Er ging zu dem Loch. Aus der Dunkelheit drang ein Schrei zu ihnen herauf, der in einem kläglichen Gurgeln erstarb. „FINN?“ Gerade, als Kevin hinterhersteigen wollte, gab es hinter ihm einen Schlag und einen Schmerzensschrei. Er drehte sich um und traute seinen Augen kaum. Vor ihm stand Lea, blutend. Auf dem Kopf trug sie einen eigenartigen Hut. Nein, keinen Hut, eine altmodische Lampe mit fünf Kerzenbirnen steckte in ihrem Kopf. Stöhnend brach sie zusammen. Kevin beugte sich nach vorne und übergab sich über seine Schuhe.
„Sie ist tot, was ist das für‘n Scheiß-Haus“, brüllte Jan. Er kam angerannt und gab Kevin einen Tritt, dass er beinahe in seine Kotzpfütze gefallen wäre. „Du und dein Scheiß-Philoprof. Weißt du was, er kann sich andere Idioten suchen für sein gruppendynamisches Scheißexperiment. Mir reichts!“
Er verließ den Raum. Kaum war er draußen, rief er: „Wahnsinn, von da oben kommt ein total buntes Licht. Voll abgefahren. Das muss ich mir ansehen.“
Kevin rannte aus dem Raum. „He, nicht da hochgehen, wer weiß, was da lauert?“
Bevor er die Treppe erreichen konnte, sah er aus dem Augenwinkel, wie sich etwas näherte. Gina! Sie wankte aus einem Raum gegenüber, offenbar die Küche, denn die Wände waren mit altmodischen Fliesen gepflastert. „Da, da, er ... er hat ...“, stammelte sie und deutete hinter sich.
„Wer hat was? Ist Jan da drin? Der wollte doch hochgeh...“ Kevin verstand gar nichts mehr. Wo blieb der Prof? Warum ging hier alles schief? Waren sie mit einem Verrückten zusammen in dieses Haus gesperrt? „Gina, sag schon, wer hat ...“
Ungläubig sah er zu, wie Gina die Augen verdrehte und in sich zusammensackte. Sie kam ganz komisch zu liegen, nicht flach, sondern schräg, als wäre sie auf einem Gegenstand gelandet. Behutsam drehte Kevin sie um und ließ sie mit einem Schrei wieder los, als er den großen Messerschaft sah, der aus ihrem Rücken herausguckte.
„Ist das schön, das musst du dir ansehen!“ Kevin wandte sich um. Am oberen Ende der Treppe stand Jan in einem Halo aus buntem Licht. Seine Haare wehten hin und her; komisch, es war doch kein Luftzug zu spüren?
„Komm endlich!“ Jan winkte ihm zu und entfernte sich den Flur entlang, bald schluckte ihn das bunte Licht.
Kevin zögerte. Er sollte schleunigst von hier verschwinden. Ja, aber was würde er sagen, wenn man ihn nach dem Verbleib der anderen fragte? Egal, rette deine eigene Haut, sagte er sich. Andererseits ... das Licht war zu verlockend. Er ging zur Treppe, setzte einen Fuß auf die unterste Stufe. Erklang da nicht Musik von oben? Ein leises Säuseln, wie diese komische Esoterikmusik, die der Prof manchmal spielte, wenn sie im Unterricht über östliche Glaubensrichtungen sprachen? Langsam stieg er die Stufen hoch. Er erreichte einen Gang, der von dem Regenbogenlicht geflutet war. Aber was war das? Etwas hing von der Decke und pendelte sanft hin und her. Etwas mit - nein! Jeans und Turnschuhen! Jans Turnschuhen! Kevin sah nach oben und erstarrte. Mit heraushängender Zunge und verdrehten Augen hing Jan in einer Schlinge von der Decke herab und baumelte hin ... her ... hin ... her ...
Da erklangen schwere Schritte hinter Kevin.
Bevor er reagieren konnte, spürte er einen scharfen Schmerz in seinem Rücken.
Dann spürte er nichts mehr.


©Susanne Ruitenberg
Version 2

Letzte Aktualisierung: 27.12.2011 - 14.49 Uhr
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