Honigfalter
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Der Erbe
von Karl-Otto Kaminski

Adular von Emscherbrücken war mit sich und der Welt zufrieden. Endlich war die Reihe zu erben an ihm, der jahrelang vergebens darauf gewartet hatte, dass die übrigen Mitglieder seiner Sippe freundlicherweise wegstarben oder auf ihr Erbteil verzichteten. Nun saß er allein in seinem gemütlichen, altmodischen Schaukelstuhl auf der blanken oberen Plattform des mächtigen Hauptturms des Schlosses seiner adeligen Vorväter, das früher mal eine stattliche Burg gewesen war, und sah gelassen zu, wie die Sonne hinter dem schwarzen Hochwald versank, während ein Käuzchen sein Abendlied begann.
Eigentlich war ja alles ganz einfach gewesen, dachte er. Auch wenn der unfähige Arzt und die vertrottelte Polizei manchmal etwas ungläubig geguckt und unverschämte Fragen gestellt hatten. Eine solche Reihe von Unfällen, und das innerhalb eines Vierteljahres, war ihnen halt bisher noch nicht untergekommen.
Im Dorf unten wisperten die Klatschweiber, es müsse ein Fluch auf der Familie liegen. Man fragte sich, was wohl die Ursache dieser tragischen Serie von Todesfällen hätte sein können. Eine ganz Alte glaubte sogar, sich an eine Prophezeiung erinnern zu können, nach der eine schreckliche Reihe von Untaten, welche die Herren von Emscherbrücken im Mittelalter verübt hatten, in der fünfunddreißigsten Generation endlich gesühnt werden würde, und das wäre wohl jetzt der Fall.
Doch es gab keinen Fluch aus der Vergangenheit. Adular war es mit fünfundzwanzig Lenzen so leid gewesen, immer nur irgendein untergeordnetes Mitglied seiner adeligen Familie zu sein. Nichts hatte er selbständig zu entscheiden gedurft. In allem, was er vorhatte, hatte er stets den Familienrat befragen müssen. Sein Geld war ihm monatlich zugeteilt worden. Ja, man hatte ihn wegen seiner Faulheit gerügt, ihn sogar zu einer standesgemäßen Heirat zwingen wollen, und zwar ausgerechnet mit Tussi von Hohentiefen, dieser überjährigen Schreckschraube. Dadurch wären dann die Besitztümer derer von Hohentiefen mit denen derer von Emscherbrücken vereint worden. Adular schüttelte sich bei dem Gedanken an die ältliche, bigotte und unattraktive Braut. Aber das war ja nun alles endgültig vorbei. Jetzt gehörte hier alles ihm ganz allein. Er war sehr stolz auf sich.

Angefangen hatte alles vor genau elf Wochen, als ihm sein Vater, der greise Gangolf, mit herrischen Worten wieder einmal die Bitte um Erhöhung seiner finanziellen Zuwendungen negativ beschieden hatte. Nach herbem Streit waren sie auseinander gegangen. Adular war auf den Bergfried gestiegen, hatte einen Apfel mitgenommen um mit sich und seinem Ärger allein zu sein. Mürrisch hatte er heruntergeschaut. Dabei hatte er Vater Gangolf gesehen, wie der sich unten über die östliche Schlossmauer beugte, um die Sturmschäden an den schweren grünen Holzfensterläden zu begutachten. Er hatte sich recht weit vorgebeugt, der Alte. Zu weit. Der Schreck über den feuchten Apfelgriebsch, den Adular ihm an den Kopf geworfen hatte, riss ihn über die schrundigen Zinnen. Mit todesbangem Schrei war er die vierzehn Meter auf die Felsnase oberhalb der Zufahrt zum Schloss gefallen. Das war ein bedauerlicher Unfall, fanden Dorfarzt und Polizei.
Seiner Mutter hätte die prunkvolle Beerdigung mit acht Rappen vor dem mit weißen Lilien geschmückten schwarzen Wagen sicher sehr gefallen. Aber Mutter Apollonia war schon ein paar Jahre vor ihrem Mann dahingegangen in die geräumige, äußerst prachtvolle Gruft derer von Emscherbrücken.

Adulars älterer Bruder Theophil hatte sich sofort als neues Familienoberhaupt aufspielen wollen. Nun würde ein ganz anderer Wind wehen, hatte er angekündigt. Nun sei Schluss mit dem Schlendrian. Dabei hatte er Adular recht geringschätzig angeschaut. Zum letzten Mal.
Warum sich sein Sattelgurt zwei Stunden später gerade beim Sprung über den Schlossgraben gelöst hatte, war hinterher nicht mehr genau festzustellen gewesen. Die Polizei hatte eine Unachtsamkeit des adeligen Reiters vermutet. Theophil war jedenfalls in hohem Bogen von seinem Lieblingswallach in die mit Entengrütze bedeckten Fluten geflogen und – vom Sturz betäubt – darin ertrunken.

Als Adulars ältere Schwester Kunigunde eine Woche später zutiefst betrübt über den Verlust von Vater und Bruder, in düsterer Trauerkleidung vor dem riesigen, uralten, tiefschwarzen Eichenschrank gestanden hatte, der ihre üppige Aussteuer enthielt, die sie aber, ihres Aussehens und nicht mehr ganz frischen Alters wegen, wohl kaum jemals würde in eine Ehe einbringen können, war dieser mit voller Wucht auf sie gefallen. Nachdem man die Tote mit Mühe unter dem schweren Möbel und Zentnern von Wäsche und Kleidung hervorgezogen hatte, befand man, dass nur der Holzwurm schuld an dem Unfall sein konnte. Auf den Gedanken, dass jemand die kurzen, kunstvoll gedrechselten, morschen Vorderfüße des Schrankes abgesägt und, nur unzureichend gesichert, wieder daruntergestellt haben könnte, war niemand gekommen.

Onkel Willibald, ein dürrer, rechthaberischer Mensch, der sich nun Hoffnungen gemacht hatte, wieder stärker an dem nicht unbeträchtlichen Erbe der Familie zu partizipieren, war ein begeisterter Weintrinker gewesen. Aber mit harten Spirituosen hatte der alte Herr offenbar keine Erfahrung gehabt.
Adular hatte ihn eines Abends, als ein Spätsommersturm die Mauern des Schlosses wütend umtobte, zu einem ernsten Gespräch in die Bibliothek eingeladen. Diese befindet sich im mittleren Obergeschoss des weitläufigen Gebäudes, gleich oberhalb der üppig geschwungenen barocken Balustrade. Drei Stunden und zwei Flaschen uralten goldenen Calvados später war Willibald die Treppe hinunter in die fünf Meter darunter befindliche Halle gestürzt und hatte sich den Hals gebrochen. Dass Adular dem taumelnden Onkel zum Abschied mit den leisen Worten „Na, dann Gute Nacht, du alte Schnapseule!“ kräftig von hinten auf die linke Schulter geschlagen hatte, hatte zum Glück niemand gesehen. Ein weiterer bedauerlicher Unfall in der vom Unglück geplagten Familie, befanden Arzt und Polizei.

Tante Ortrud, eine beeindruckende Gestalt von rubensschen Ausmaßen, hatte sich den Tod ihres Gemahls so zu Herzen genommen, dass sie laut nach ihren Beruhigungstropfen schrie. Sie hatte leider nicht gesagt, wie viele es sein sollten. Also hatte ihr Adular hilfreich den Inhalt der ganzen Flasche gebracht, in einem großen Glas Cola. Darin war die Farbe des Medikaments nicht zu erkennen gewesen. Tante Ortrud hatte gierig die Mixtur getrunken und war bald darauf in einen gnädigen, ruhigen Schlaf gefallen, aus dem sie allerdings nicht wieder erwacht war. An Medizinflasche und Glas waren keine Fingerabdrücke zu finden gewesen als die der Toten. „Selbstmord aus Trauer über den herben Verlust“, hatte darum der Arzt erkannt und die Polizisten bekümmert genickt.

Eginhard, Adulars jüngerem Bruder, war die Serie von Unfällen verdächtig vorgekommen, besonders Onkel Willibalds lauten Ausruf „Adular! Was soll …?“ bei seinem Treppensturz und die völlig leere Flasche mit Beruhigungsmittel, die er der Tante Ortrud doch erst vormittags aus der Apotheke geholt hatte. Außerdem war er sicher gewesen, dass das Sattelzeug von Theophils Apfelschimmel Hannibal niemals brüchig und der Reiter ein vorsichtiger Mensch gewesen war.
„Da hast doch du deine Finger drin gehabt!“, hatte er Adular angeschrien. Er hatte ihm sogar mit der Polizei gedroht, sie auf der Stelle anrufen wollen. Es hatte einen heftigen Streit gegeben, bei welchem der Ältere den Stecker aus der Telefonbuchse gerissen hatte.
Da es in der Familie bis dato, Gangolf hatte es so angeordnet, kein Handy geben durfte, war dem jungen Eginhard also nur die Fahrt hinunter ins Dorf geblieben. Warum war er nicht sofort gefahren? Warum hatte er zwei Stunden später, als er es endlich doch tat, seinen Helm nicht aufgesetzt? Man hatte den jungen, hübschen, viel versprechenden Adeligen tot unterhalb des Bergfrieds gefunden. Offenbar hatte sich auf der abschüssigen Straße zum Dorf eine Schraube an der Vorderradachse seines Mopeds gelöst. Eigentlich schade um den jungen Dachs, dachte Adular. Aber warum hatte der auch abgeschlossene Untersuchungen durch haltlose Theorien wieder in Gang setzen wollen?

Oma Hildegunde, nun außer Adular die letzte des Stammes derer von Emscherbrücken, die nach jedem Todesfall händeringend durch das Schloss gerannt war und mit hoher Greisenstimme „Achgottachgottachgott!“ geschrieen hatte, war inzwischen völlig irre geworden. Sie war durch die weitläufigen Flure geirrt, durch die prachtvollen Hallen und zahllosen Gemächer, hatte mit den Verstorbenen gesprochen und den Eindruck gemacht, nicht mehr Herrin ihrer Sinne zu sein. Mit einem solchen Pflegefall aber hatte Adular sich nicht belasten wollen. Die Pilzmahlzeit, die er sich und der alten Frau bereitet hatte, hatte er geschickt so aufgeteilt, dass er selbst nur ein paar von den giftigen Exemplaren erwischte. Genug, dass auch ihm speiübel davon geworden war. Das hatte der Polizei und dem Arzt gereicht, zumal Adular glaubhaft behauptet hatte, seine Oma hätte die Pilze selbst gesucht und das Essen zubereitet, wozu er, mangels Kochkenntnissen, gar nicht in der Lage gewsesen wäre.

Die Medienwelt hatte regen Anteil am tragischen Los des letzten Überlebenden einer jahrhundertealten Dynastie mit klangvollem Namen genommen. Damen, vor allem aus der besseren Gesellschaft und dem Adel, boten Adular noch heute ihre Hilfe an. Investoren wollten ihm, zu günstigsten Konditionen, helfen, den in die Jahre gekommenen Stammsitz zu restaurieren. Einer sogar zum Selbstkostenpreis. Ein privater Fernsehsender veranstaltete eine Benefizshow. Den Rest der benötigten Millionen würde eine extra dazu ins Leben gerufene Stiftung aufzubringen versuchen, die dem vom Schicksal so gebeutelten Adelsspross damit hilfreich unter die Arme zu greifen versprach.
Adular von Emscherbrücken war mit sich und der Welt zufrieden.

Letzte Aktualisierung: 21.12.2011 - 09.11 Uhr
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