Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Villa Dolorosa
von Eva Fischer

Sie hasste Weihnachtsbäume. Aufgeputzt wie eine Primadonna und doch dem unwürdigen Untergang geweiht. Früher oder später. Meist früher, also vor dem Fest, wenn statt Schnee die Nadeln rieselten. Die elektrischen Kerzen blinkten in allen Farben. Grün, gelb, rot. Stopp!

Nie wieder wollte Walburga Winterscheidt Zeuge dieses bürgerlichen Trallala sein. Vierzig Jahre lang hatte sie zu Weihnachten Dienst auf der Station gemacht, hatte ertragen, wenn „Alle Jahre wieder“ aus dem Lautsprecher schepperte, die wenigen Patienten sich wie Schnecken in ihr zerklüftetes Seelenhaus verkrochen. Da half auch kein joviales, reklameweißes Lächeln: „Wie geht es uns denn, Herr Soundso?“
Herrn und Frau Soundso ging es beschissen, sonst wären sie nicht übrig geblieben wie Strandgut, für das es keine Verwendung mehr gab.
Am Heiligen Abend, dem ersten seit Menschengedenken, den sie in ihrer kleinen Wohnung verbrachte, löschte sie um Punkt 22 Uhr die Lichter und schwor sich:
Das nächste Jahr wird anders.

Flüchten, das klang nach Fluch, aber irgendwie wollte sie weg und so mag es nicht nur der Zufall gewesen sein, der ihr eine kleine Anzeige in die Hände spielte. Ein einfallsreiches Rentnertrio suchte Verstärkung. Eine Villa in der Toskana direkt am Meer, das klang zumindest nicht nach karbongesäuertem Krankenhaus, wie es Walburga all die Jahre hindurch gewöhnt war. So setzte sie sich kurz nach Weihnachten in Richtung Süden in Bewegung, bevor die Touristen wie Heuschrecken einfielen.

Die Villa ragte einsam und verlassen in den blassgrauen Himmel. Die Einheimischen hatten sich in schwarze Wintermäntel gehüllt. Auf den Straßen verrotteten bereits die ersten Weihnachtsbäume. Aber spätestens nach Heilige Drei Könige würde der Spuk ein Ende haben und der Winter würde sich seiner kühlen Nacktheit stellen, ohne sich ein Feigenblatt aus rieselnden Tannennadeln vorzuhalten.

Das Rentnertrio - zwei Männer und eine Frau - kochte auch nur mit Wasser, was die Verwirklichung seiner Altersträume betraf. Sie hielten sich für geistreiche Schauspieler und besonders Fritz meinte, ein begnadeter Opernsänger zu sein. Selbstüberschätzung war Walburga Zeit ihres Lebens bekannt und erschütterte sie wenig. Was sie suchte, war tatsächlich eine neue Familie. Sie hatte nie Mann noch Kind ihr eigen genannt und das auch nicht wirklich bedauert. Doch jetzt im Ruhestand wollte sie ein bisschen Ansprache, aber nicht in Form von Krankengejammer. Das hatte sie wirklich satt. So verriet sie den Dreien auch nicht, dass sie gelernte Krankenschwester war.

Die Abende glichen sich wie eineiige Zwillinge. Hella und Hugo waren ihrer tagsüber ausgetragenen Wortgefechte müde geworden und so verzog sich Hella auf ihre Couch, wo sie ihren abendlich Rotweinrausch in wohligem Schnarchen ausschlief, während Hugo sein Zimmer mit Fernseher aufsuchte, um sich auf RTL die neuesten Unterhaltungssendungen anzusehen, die am nächsten Tag wieder für ätzende Kritik am verblödeten Bildungsniveau herhalten mussten. Fritz dagegen lauschte im Salon dem Klang italienischer Opernarien. Walburga saß derweil im Sessel und versuchte, gegen die dunklen Wolken in ihrem Inneren anzukämpfen, die sich hartnäckig Gehör verschafften, sobald die Nacht sich über die Villa senkte.

Plötzlich und vollkommen unvorbereitet warf das tiefste Schwarz, das Walburga je gesehen hatte, seinen Mantel über die Villenbewohner. Hella hatte dem außer einem grunzenden Schnarchton nichts weiter hinzuzufügen. Hugo begann, gedämpft durch die Zimmerwände, einige Flüche auszustoßen. Caruso wurde mitten im Ton gestoppt. Weltuntergang oder Stromausfall? Walburgas kühler Verstand plädierte für das Letztere, während sie eine knochige Hand auf der ihren wahrnahm. Wie Hänsel und Gretel im dunklen Wald war sie nicht undankbar für dieses sie wärmende Blut und so tat sie durch einen Druck dem Absender ihr Einverständnis kund. Alsbald spürte sie, wie sich Lippen gegen ihre pressten und den Mund öffneten, während eine Zunge behänd auf Erkundungsreise ging.
Auch wenn Walburga ihren letzten Zungenkuss ins Steinzeitalter ihrer Vita datiert hätte, schien sie diese Betätigung in Anbetracht der Finsternis wie ein aufgeregter Teenager zu genießen. Als das Licht irgendwann wieder anging, und Caruso unbeirrt mit seiner Arie fortfuhr, da schauten sich zwei enttäuscht in die Augen, weil der süße Moment vorerst vorbei war, und Hugo nun wild polternd und schimpfend die Treppe hinunterkam, statt sich zu freuen, dass man ihm einige Minuten lang deutsche Seichtkost erspart hatte.

Der toskanische Frühling kam. Walburga hatte sich an die täglichen Spaziergänge mit Fritz aufs angenehmste gewöhnt, wo sie meist Hand in Hand auf die Weite des Meeres starrten, als ob ihnen auch die Weite einer gemeinsamen Zukunft vergönnt wäre.
Fritz erzählte von seinem früheren Leben als Figaro, bis er seinen Frisörsalon verkauft und das Geld in die Villa hier investiert hatte.
Walburga dagegen blieb schweigsam und Fritz drang auch nicht weiter in sie.

Im August suchten sie der Mittagshitze durch Spaziergänge in der frühen Morgenstunde zu entfliehen.
„Liebste, du bist so blass. Ist dir nicht wohl?“, wagte Fritz mit einem Seitenblick die Konversation zu beginnen.
Nein, ihr war gar nicht wohl. Es war soweit. Die Geburt der todbringenden Wahrheit stand ihr bevor.
Sie lenkte ihre Schritt zu einer Bank. „Setz dich!“, bedeutete sie Fritz.

Er müsse nun tapfer sein. Nach 40 Dienstjahren als Krankenschwester habe sie sich auch ein schöneres Abschiedsgeschenk gewünscht als die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Inoperabel, wie ihr der Chefarzt versichert hatte. Sie wolle sich ein elendes Ende ersparen und habe schon die nötige Menge Medikamente beiseite geschafft, um ihrem Leben ein würdiges Ende zu setzen.
Ihr Plan stehe fest. Am 13. September werde sie abends eine Überdosis Schlaftabletten mit einer Flasche Rotwein zu sich nehmen, und wenn er solange an ihrer Seite bliebe, so würde sie ihm diesen letzten Liebesbeweis hoch anrechnen.
Sie habe zwar nicht viel Rente, aber die könne er gerne nach ihrem Tod weiter abheben. Alle nötigen Unterlagen seien in ihrem Koffer und die wolle sie ihm zukommen lassen.
Es wäre ihr ein Vergnügen, wenn sie wüsste, dass ihre sauer verdiente Rente nicht allein dem Fiskus zugute komme.

Er nahm sie in die Arme, streichelte sanft über ihre Haare, während die Tränen über seine Wangen liefen.
„So war mein Glück nur von kurzer Dauer und ich Tor traute der Gunst der Götter!“

Auch der betörende Duft von fünfzig weißen Rosen konnte dem nahenden Tod seine Bitterkeit und den Geruch von Verwesung nicht nehmen. Fritz wich ihr nicht von der Seite, begleitete sie wie ein treuer Hund seinen Herrn, was ihren Schmerz eher vergrößerte. Hatte sie doch nach all den Jahren endlich einen sie liebenden Menschen gefunden.

„Und, wat mach’n wir jetzt mit der Leich?“, fragte Hella am Morgen des 14. September.
Der einzige Ansprechpartner war Hugo, denn Fritz war die ganze Nacht nicht von dem Sterbebett seiner Geliebten gewichen.
„Ich meine, auf die Dauer kann die da nich bleiben. Dat müffelt!“
„Wie immer taktvoll, unsere Frau von Sinnen“, frotzelte Hugo.
„Hier ist nicht Takt gefordert, sondern Überlebenstaktik und zwar für uns. Oder wollen Sie die Allerwerteste mumifizieren? Dann kann der Fritz noch länger da rumsitzen.“
„Theoretisch beherrsche ich die Kunst des Mumifizierens, denn ich habe wohl ganz im Gegensatz zu Ihnen eine humanistische Ausbildung genossen, bin also eingeweiht, wie es die alten Ägypter trieben.“
„Durchtrieben, dat nehme ich Ihnen ab. Aber grau ist alle Theorie. Wie steht’s mit der Praxis?? Können Sie nun oder können Sie nicht? Das ist doch jetzt in unserem Fall die Gretchenfrage.“
„Das Herz durch die Nase herausziehen? Davon nähme ich doch lieber Abstand, Frau von Sinnen.“
„Dachte ich es mir doch. Nix als heiße Luft, diese Männer!“
„Da bringen Sie mich auf eine geniale Idee. Wir trocknen die Leiche aus. Jeder muss für eine Stunde die Dame fönen, bis sie die Form für die Ewigkeit erlangt hat. Unser Figaro macht bestimmt mit.“

*

Fritz starrte Doris böse an.
Diese falsche Schlange hatte sich bei ihnen eingeschlichen und ihr Vertrauen missbraucht.
Das selbstsichere Lächeln erfror Doris auf den Lippen, als Fritz völlig überraschend auf sie
zuschnellte und ihr das Handy entriss.
„So, meine Liebe, jetzt kommst du endlich deinen Pflichten nach und kutschierst uns durch die schöne Toskana.“
Hella wartete mit einem höllischen Lächeln auf den Lippen neben dem Mercedes Baujahr 99.
„Na, wird’s bald, Schätzchen. Avanti, avanti!“
Zur Unterstützung ihrer Forderung hielt sie eine Pistole auf sie gerichtet.
Machte es einen Sinn, mit diesen Verrückten zu reden? Doris hoffte auf eine gute Gelegenheit, um dem Trio zu entwischen.
„Wo soll es hingehen?“, fragte sie daher möglichst gelassen.
„Zur ligurischen Küste. Das ist ein Highlight, sogar im Dezember!“, fauchte sie Fritz an, der neben ihr Platz nahm, während es sich Hella und Hugo offensichtlich froh gelaunt im Fond bequem machten.

An einer einsamen, steilen Felsküste wurde Doris aufgefordert zu halten.
Hella reichte ihr ein Glas Rotwein.
„Salute, Miss Marple! Sie haben sich eine kleine Siesta redlich verdient.“
Höhnisches Grinsen war das Letzte, was Doris wahrnahm, bevor sie unendliche Müdigkeit wie ein schwarzer Teppich überfiel.
„So, nun wollen wir dat Schätzchen mal über die Klippe springen lassen. Cliffhanger sind bei unseren Lesern nämlich gar nicht beliebt.“
Mit vereinten Kräften stürzte das Trio den Mercedes in die graue Flut, die das Gefährt nebst Inhalt wie ein hungriges Raubtier verschlang.
„Dat hätten wir“, schnaufte Hella.
„Jetzt könnt ich einen schönen Glühwein gebrauchen, Sie auch, Herr Balder?“
„Ich geh pinkeln“, erwiderte dieser.
„Dat war jetzt wieder mehr Information als nötig“, befand Frau von Sinnen.

Letzte Aktualisierung: 03.12.2011 - 00.32 Uhr
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