Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Werner Scholz fährt zur Hölle
von Jochen Ruscheweyh

„Aber jetzt mal ehrlich, Heinz, was haben die trüben Tassen aus Berghofen bei unserem Modellbahnwettbewerb verloren?“
„Na, sie haben sich eben angemeldet, wie alle anderen auch. Da können wir nichts machen. Außer vielleicht die Bahnpolizei rufen!“, lachte Heinz Popanda und legte den 100 Euro Schein in seine Kasse.
„Aber das ist ein Profi-Wettbewerb. Die ziehen das Niveau doch vollkommen runter. Sag’ doch auch mal was, Erich!“
Bevor der Angesprochene antworten konnte, begannen die Regale in Heinz Popandas Modellbahn-Börse zu wackeln und mehrere starke Stöße erschütterten den Boden.
„Gott gütiger, was war das?“, fand Werner als erster die Sprache wieder. „Seid ihr beide in Ordnung?“
Heinz Popanda klopfte sich etwas Staub von seiner Weste und nickte dann.
„Erich?“
„Ja, mir geht’s gut, Ich hab’ mich hier unter’n Türrahmen gestellt, soll’ man ja bei Erdbeben machen, woll?“
„Das war gescheit von dir!“, sagte Werner und schaute erleichtert drein. „Aber was ist das?“ Er deutete auf einen Riss im Estrich, aus dem ein gelblicher Nebel drang.
„Oh, mein Gott! Nix wie raus hier!“, rief Erich.
„Aber hier steckt mein halbes Leben drin!“, stöhnte Heinz Popanda.
„Wenn du nich’ augenblicklich mit uns raus kommst, tut dein Leben hier drin stecken bleiben und wir können dir ’n Grabstein auf’m Hauptfriedhof bestellen. Das willste doch wohl nich’, wonich?“
Heinz überlegte kurz und sagte dann: „Nein, ich seh’s ja ein, du hast Recht. Es wird wahrscheinlich zu gefährlich sein!“
„Na, dann nichts wie raus hier!“, sagte Werner. Im Laufen griff Heinz noch nach seinem Cocker-Spaniel, der es sich in einer Nische am Eingang bequem gemacht hatte.
„Ach, du meine Güte!“, rief Heinz Werner zu. „Nicht auszudenken, wenn ich Fleischmann hier drin gelassen hätte.“
„Wonnich?“, sagte Erich, „aber jetzt nimm deinen Hund und deine Beine in die Hand!“

„Was zum Teufel geschieht hier eigentlich?“, fragte Werner als sie draußen in Sicherheit waren. „Ich glaube, Erich verschweigt uns etwas!“
„Nun, Erich?“, sagte Heinz und auch Fleischmann guckte Erich ziemlich böse an.
Erich stöhnte auf und sagte: „Gut, ich werd’ euch alles frei von der Leber weg erzählen, gebt mir nur einen Moment zum Verschnaufen.“
Heinz wollte etwas sagen, aber Werner hielt ihn zurück und flüsterte: „Lass ihn, er hat Schweres durchgemacht!“

Erich hielt sich eine Hand vor die Augen und schüttelte immer wieder den Kopf. „Ihr denkt, wir hätten da drin Stahl gekocht, woll?“, er zeigte auf den stillgelegten Hochofen Zwei des Phönix-Werkes.
Werner und Heinz schauten sich an und nickten dann.
„Oh, ich war so dumm gewesen“, sagte Erich. „Ich bin doch tatsächlich am glauben gewesen, wenn wir eine Drudenfuss-Gießrinne um das Loch anlegen tun und geweihten Rohstahl einfüllen, sind wir sicher ...“
„Dann warst du gar nicht direkt in der Stahlproduktion tätig?“, erkundigte sich Werner.
„Ach was“, gab Erich zurück, „Ich gehörte zu einer Spezialtruppe, und hab’ bei Mega-Bohrungen ins Erdreich mitgemacht.“
Heinz rieb sich den Kopf. „Was genau meinst du mit Mega-Bohrungen?“
Erich schlug die Hände vor seinen Mund, dann sagte er mit erschütterter Stimme: „Unter dem Werk sollte ein riesiges Steinkohleöl-Vorkommen liegen tun, aber Essig. Wir haben direkt in die Hölle gebohrt!“

„Also gut, Leute, alle mal herhören!“, rief Werner. „Eins ist klar, der Satan persönlich scheint irgendwie aus seiner verdammten Höhle gekrochen zu sein und jemand muss ihn stoppen.“
„Aber wer ...?“, hob Heinz an.
Werner räusperte sich. Dann sagte er: „Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass so ein Knabe mit Hörnern kommt und meinen zweitliebsten Platz auf der Erde, also Heinz seine Modellbahn-Börse kaputtmacht, weil die zufällig an das Phönix-Gelände grenzt!“
Erich nickte. „Ich verstehe. Lass mich dir sagen, dass ich dich nich’ nur für den besten Freund auf der ganzen Welt, sondern auch für einen Helden halten tu’.“
Werner winkte ab. „Aber versprich mir eins, Erich ...“
„Alles, was du willst, Werner, wonnich?“
„Wenn mir etwas passieren sollte, dann ...“
„Ja, sicher!“, sagte Erich. „Ich kümmere mich um deine Waltraut.“
„Du bist ein wahrer Freund, Erich.“
Erich klopfte Werner auf die Schulter.
Heinz Popanda hob Fleischmann hoch und trat an Werner heran. „Fleischmann hat früher einem calvinistischen Pater aus Lüttich gehört. Er ist ein ganz besonderer Hund. Er kann den Satan wittern! Er wird dich begleiten, wenn du willst.“
„Gerne, Heinz! Ich kann jede Hilfe gebrauchen. Außerdem habe ich noch einen geweihten Malayen-Dolch, den mir ein blinder Bettler in Addis Abeba gegeben hat. Er sagte, wenn der Tag käme, sähe ich, wofür ich den Dolch brauche!“
Hätte Werner Scholz gewusst, auf was für ein Himmelfahrtskommando er sich einließ, er hätte auf dem Absatz kehrt gemacht ...

„Verdammt, hier kann man ja kaum die Hand vor Augen sehen! Wie ist es mit dir, Fleischmann, hast du schon Lunte gerochen?“
Der Cocker-Spaniel blickte Werner aus seinen treu-braunen Augen an und blinzelte.
„Keine Sorge, Fleischmann, mit meinem Malayen-Dolch und einem Kreuz bin ich gut ausgerüstet. Ich weiß, dass ich kein 100%iger Geisterjäger bin, aber zu zweit werden wir diesen Höllensohn schon wieder in sein Loch zurückjagen.“
Der Cocker-Spaniel kläffte auf einmal wild. Werner fuhr herum. Dort stand – ihm direkt gegenüber - der Leibhaftige.

„Du bist einen geraden Weg in deinem Leben gegangen, Werner Scholz: Lehre, Ingenieurstudium, Dortmunder Stadtwerke. Und nun denkst du, du kannst dich mir einfach in den Weg stellen? Ich sammle Seelen und wenn ich mit dir fertig bin, wirst du mich anbetteln, dass ich deine Seele nehme.“
Als vollführe er einen gewöhnlichen Taschenspielertrick, zog Werner blitzschnell sein Kreuz aus der Tasche und drückte es seinem unheimlichen Gegenüber auf die Stirn. Wie ein Spiegelei, das in der Pfanne Blasen schlägt, brannte sich das christliche Symbol mit einem schmatzenden Geräusch in dessen Haut. Doch der Repräsentant des Bösen warf den Kopf in den Nacken und lachte lediglich über Werners Attacke. Das tiefste, kernigste und kehligste Lachen, das Werner in seinem nunmehr sechzig Jahre währenden Leben gehört hatte. Neigte es sich nun dem Ende zu, Werners Dasein? Leuteten gerade die Himmels- oder die Höllenglocken?

Fleischmann fletschte die Zähne und bellte wie von Sinnen auf den Satan ein. Dieser schleuderte den Cocker-Spaniel mit einer simplen Bewegung seiner bedrohlich wirkenden Handklauen durch die Luft, so dass der Hund als winselndes Bündel neben einem Haufen Schlacke zu liegen kam. Werner griff sich eine Schaufel und hieb auf Gottes Widersacher ein. Unter den Schlägen verformte sich dessen Gesicht zu einem blutigen Klumpen Fleisch, nur um sich dann, als Werner einen Moment ausruhte, in seine ursprüngliche, unversehrte Form zurückzuverwandeln.
Werners Verzweifelung entlud sich in einem geschrieenen „Verdammt!“
Dann packte der Satan auch ihn und warf Werners Körper gegen eine Rolle gewalztes Blech. Für einen Moment versagte Werners Atmung. Schwer röchelnd gelang es ihm dann doch noch, Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen und die vor seinen Augen aufziehende Schwärze wegzuschicken. Dann nahm er ein Sirren wahr. Doch bevor er dessen Ursprung lokalisieren konnte, hatte der heranfliegende Malayen-Dolch, der ihm beim Kampf aus der Tasche gefallen sein musste, bereits seinen rechten Arm abgetrennt. Er spürte einen heftigen Schmerz und den fontänenartigen Blutschwall, der sein Hemd an der Brust nässte. Er würde verbluten. Jämmerlich verbluten, wie ein abgestochener Stier in einer spanischen Arena. Doch mit dieser Erkenntnis machte sich ein wärmendes Gefühl in seiner Seele breit. Wenn er einen Wunsch frei hätte, dachte er, würde er gerne in der kleinen pitoresken Kapelle auf seinem Modellbahn-Toporama sitzen und Gott um Verzeihung bitten, für die wenigen Fehler, die er in seinem Leben begangen hatten. Während eine weitere warme Welle durch seinen Körper ging, summte er leise den alten Dean Martin Klassiker „In the Chapel in the Moonlight“. Dann öffnete er die Augen und sah auf die klaffende Wunde, aus der das Blut jetzt zwar nur noch tropfte, was aber keineswegs Entwarnung bedeutete, da sich zu seinen Füssen bereits ein beachtlicher roter See gebildet hatte. Er vernahm ein gluckerndes Geräusch. Was war das? Mit einem Mal bemerkte er, wie der Satan sich vor ihm krümmte und einen großen Schwall schleimig-grüner Masse hervorwürgte. Aus der Masse ragten kleine Arme und Beine, aber auch Köpfe von bekannten Massenmördern und Wahnsinnigen heraus, die nach Erlösung schrieen. Da erkannte Werner, dass die Liebe und all das Positive, das er in sich trug, die wirkungsvollste Waffe gegen das Böse waren. Während er an seine wunderbare Frau Waltraut dachte, vakuumisierte sich die Erscheinung vor ihm und der Satan wurde einem letzten Atemzug gleich von dem Höllenschlund inhaliert. Der Drudenfuss begann zu leuchten und verschloss die Öffnung zur Unterwelt nunmehr für immer.

„Schau, Heinz, da kommt er. Oh, mein Gott, was is’ das? Sein Arm ...!“, rief Erich und zeigte auf Werner, der sich am Werkszaun des Geländes entlangschleppte.
„Das wird wieder, Werner!“, tröstete Heinz.
„Guck nur, da is’ auch Fleischmann!“, erwiderte Erich.
Der Cocker-Spaniel kam angelaufen, in seinem Maul: Werners abgetrennter Arm!
„Guter Hund!“, lobte Erich. „Du rufst sofort im Hüttenhospital an, Heinz. Lass dir Dr. Grabowski geben. Sag’ Erich bräuchte seine Hilfe für einen Freund! Ich leiste erste Hilfe!“
Werner berührte Erichs Schulter. „Danke mein, Freund, aber es ist zu spät.“
„Nein, ich tu mich weigern, das zu akzeptieren. Dr. Grabowski ist ein Meister von seinem Fach. Der beste Chirurg, den das Hüttenhospital je hatte!“ Erich zog sein Hemd hoch und zeigte auf seinen Bauch. „Blinddarm! Und was sieht man? Nix! Ich sag’ doch: Dr.Grabowski!“
Werner versuchte ein Lächeln. „Ich verspreche dir, ich werde wieder gesund und wenn wir den Satan besiegt haben, können wir auch die trüben Tassen aus Berghofen beim Wettbewerb vom Feld fegen!“

Letzte Aktualisierung: 27.12.2011 - 18.13 Uhr
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