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Pulp Fiction | Dezember 2011
Rider on the Storm
von Harry Michael Liedtke

Geschafft! Entkommen! Schwein gehabt! Verflucht, war das knapp gewesen! Jesse Santer tätschelte anerkennend den Hals seines vor Anstrengung bebenden Kleppers. „Gut gemacht, Brauner“, flüsterte er dem Pferd ins Ohr. Mit fahriger Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Eine doch verwundernde Geste in Anbetracht des Umstands, dass es in Strömen regnete, er mittlerweile bis auf die Knochen durchgeweicht war und die Temperatur um den Gefrierpunkt lag. Da kam es in eisigen Sturzbächen vom Himmel und er hatte nahezu jeden Tropfen abgekriegt, aber dennoch transpirierte er, als würde er gerade seinen „All-you-can-fuck“-Gratisgutschein im größten Freudenhaus von Texas einlösen. Aber die Geste verdeutlichte besser als alles andere, was er durchgestanden hatte. Zum Teufel, was ihm aus den Poren rann, war der pure Angstschweiß. Dieses spezielle Nass floss bei entsprechender Auslösung gänzlich unabhängig von jeglichen klimatischen Bedingungen, selbst bei Frost.
Jesse blickte zum Himmel. Wenn er gläubig gewesen wäre, hätte er jetzt ein Dankgebet hochgeschickt. Aber da er ein unreligiöser Geselle war, blieb es bei einem geräuschvollen Atemausstoß. Die Athabasken hatten ihn gehetzt, über mehrere Stunden hinweg. Um Haares Breite war er ihnen entkommen. Pures Glück! Ein plötzliches Gewitter hatte ihn gerettet. Entrückt starrte Jesse ein Loch in die Luft. Obwohl es gerade mal früher Nachmittag war, konnte man kaum die Hand vor Augen sehen. Sofern keine Blitze hinabschossen, war es stockfinster. So ein Wetter hatte er in seiner gesamten Trapperlaufbahn noch nie und nirgends erlebt, und er trieb sich jetzt schon seit einigen Jahren in der Natur zwischen der Sierra Madre und den Rocky Mountains herum. Ab und an funkelte es blutrot unter der dichten Wolkendecke hervor, so dass es schien, als sei die Hölle unters Firmament verlegt worden. Ein nasskalter Wind pfiff Jesse um die Nase und biss sich in der Haut fest, doch der Westläufer spürte nichts. Er dachte an seine Kameraden, und seine Drüsen drehten wieder auf. Von ihnen dürfte keiner mehr leben, und wenn doch, dann wären diejenigen besser tot. Ihm klangen noch immer die Schreie im Ohr, welche die Luft zum Erzittern gebracht hatten, als die Indsmen im Morgengrauen über sie hergefallen waren, sowohl das Angriffsgeheul wie auch das Gellen der Abgeschlachteten. Ein vielstimmiger Chor des Todes! Wer weiß, dachte Jesse, vielleicht hatte ja das grässliche Gejaule das gespenstische Unwetter verursacht. Grellste Hochfrequenzschwingungen sollen doch ganz erstaunliche Dinge bewirken können, zum Beispiel das Zerplatzen von Glas, warum also sollte man auf die Art nicht auch die Geister rufen können? Schrill genug, um die Elemente durcheinanderzubringen, war das makabere Gekreisch jedenfalls gewesen.
Ein Knurren schreckte Jesse auf. Ein Feind? Nein, sein Magen! Er verspürte Hunger. Logisch eigentlich, denn ans Essen war bei seiner wilden Flucht nicht zu denken gewesen und das letzte Mal hatte er gestern Mittag etwas zu sich genommen. Jesse langte in die Satteltasche und fischte ein großes Stück Dörrfleisch heraus. Ein gutes Zeichen, dass er Kohldampf schob, fand er. Daran erkannte er, dass der Schrecken aus seinen Gliedern schwand. Wurde auch Zeit!
Langsam auf dem Fleischstreifen herumkauend, dachte Jesse darüber nach, wie es eigentlich zu dem Blutbad gekommen war. Das Übliche halt: Streit um Land und Edelmetall. Mit einer nicht gerade kleinen Gesellschaft von Jägern und Sammlern war er den Yukon heraufgezogen, alles solche Abenteurertypen wie er selbst: Desperados, Westmänner, Fallensteller, Landschaftskundler. Biberfelle hatten sie gesucht, aber Gold gefunden. Auch nicht schlecht. Nehmen wir! Ihr Gemeinschaftsclaim lag ziemlich genau an der South Fork des Koyukuk Rivers. Beim Zähneputzen hatte Carl, der Québecer, plötzlich ein paar gelbe Steinchen am Grund schimmern sehen. Im Nu hatten sie ein festes Lager errichtet, danach stand der gesamte Trupp auch schon bis zu den Schenkeln im Wasser und wusch Gold. Mit Erfolg! Die Ausbeute des ersten Tages ließ vermuten, dass sie nicht bloß auf Flitterkram gestoßen waren, sondern auf eine echte Fundgrube. So weit, so gut. Dann waren die Indianer erstmals aufgetaucht, und die Probleme fingen an.
Das Land, auf dem sich die weißen Männer befänden, sei ihres, hatten die Reds behauptet. Und weil sie zahlenmäßig weit überlegen und mindestens so gut bewaffnet waren wie Jesses Clique, hatten sie damit zweifellos auch Recht. Und jetzt? Gibt’s die Möglichkeit einer Einigung oder sprechen die Gewehre? Die Flinten blieben stumm. Man traf eine für beide Seiten vorteilhafte Übereinkunft. Da die Roten dem Gold keine Bedeutung beimaßen, durften die Weißen so viele sonnenfarbige Kiesel aus dem Fluss holen und mitnehmen, wie sie wollten, aber dafür mussten sie eine Art Lizenzgebühr entrichten. Diese Bezahlung bestand aus den Fellen aller zu Verpflegungszwecken erlegten Wildtiere und einem nicht unwesentlichen Teil der Ausrüstung. Um es deutlich zu sagen, viel mehr als ihre Goldwaschpfannen, Sättel und Schusswaffen war den Pale Faces nicht geblieben. Jesse und seine Kumpanen hatten nahezu alles gegen die Schürfrechte eintauschen müssen: Decken, Kleidungsstücke, Fangeisen, Werkzeug, Kerzen, Bücher ... Sogar Schmuckstücke, Fotos und Hüte hatten die Indsmen eingesackt. Aber angesichts des in Aussicht stehenden Reichtums hatten sich die weißen Jäger gern ihr Rüstzeug abhandeln lassen. Zurück in der Zivilisation würden sie im Geld schwimmen, dafür konnte man schon mal ein bisschen frieren und rumfuhrwerken. So dachten sie alle wenigstens.
Trotz der Einigung blieb das Verhältnis zwischen Weißen und Roten angespannt. Man traute sich gegenseitig nicht. Zum ersten großen Stunk kam es nach nur drei Tagen, als die Bleichgesichter eine andere Auflage der Ureinwohner verletzten, wenngleich unabsichtlich. Beim Jagen hatte man eine heilige Stätte entehrt. Ein Grabmal in Gestalt eines Bäumchens war achtlos niedergeritten worden. Dumm gelaufen. Es kam noch zu weiteren Zwischenfällen solcherart. Ein ungewollter Streifschuss beim fröhlichen Ballerschützenspiel hier, ungenehmigte Reusenerrichtung da und ein neckischer Scherz über den urig gewandeten Medizinmann dort. Das Maß war voll gewesen, als der schöne Johnny etwas zu heftig mit der Häuptlingstochter geschäkert hatte. So heftig, dass die hohen Tannen gewackelt hatten und selbst der unfähigste Späher das romantische Gestöber bemerken musste. Damit war das Kriegsbeil ausgegraben, falls die Athabasken so was überhaupt besaßen. Was folgte, war das Massaker. Jesse hatte unverschämtes Glück gehabt. Er hatte nicht bei den anderen am Schlafplatz gelegen, sondern war gerade von einem frühmorgendlichen Jagdausflug zurückgekommen. Aus einiger Entfernung hatte er mitansehen müssen, wie seine Begleiter niedergemetzelt worden waren. In jenem Moment, in dem der Häuptling Johnnys Skalp triumphierend in die Höhe reckte, war die Schreckensstarre von ihm abgefallen. Er hatte er sein Pferd herumgerissen und war losgeprescht. Richtung egal, bloß fort. Eine Handvoll Indianer hart hinter ihm her. Im wilden Galopp hatte er die fünf mit dem Revolver über der Schulter vom Pferd geschossen, eine schießtechnische Meisterleistung, die er sich selbst nie zugetraut hätte, über welche er sich aber nicht so recht freuen konnte. Die anderen Roten hatten ihn laufen lassen. Vorerst! Sie gewährten ihm einen Vorsprung. Eines war klar, sie würden ihn genussvoll hetzen. Die Roten hatten die besseren und zudem ausgeruhteren Pferde, des weiteren kannten sie die Gegend genau. Er hatte keine Chance. Er wusste das, aber die Panik trieb ihn voran. Weiter, immer weiter, auch wenn es zwecklos war. Dann kamen die Wolken und mit ihnen die Blitze und die Dunkelheit. Mit dem Regen setzte auch seine Hoffnung ein. Regen war gut. Er würde seine Spuren verwischen. Dann erreichte er felsigen Boden. Optimal. Nun war es unmöglich zu erkennen, welche Richtung er einschlug. Er ritt so lange, bis sein Gaul nicht mehr konnte. Indianer hin oder her, nach dem Stopp schlief er übermüdet ein. Als er nach Stunden erwachte, war er sicher, gerettet zu sein. Er lebte noch und kein Roter war in der Nähe. Nun konnte er geruhsam den Rückweg in die nächste Stadt antreten. Er freute sich schon auf den Saloon. Freidrinks waren quasi garantiert, denn er würde viele spannende Geschichten zu erzählen haben, von Mord und Totschlag, Blut und Ehre, Liebe und Hass, Gold und Gier ... von Gold ... von viel Gold! Zum Henker, im Claim waren Nuggets im Wert von mehreren zehntausend Dollar gehortet, die nur darauf warteten, abgeholt zu werden. Nur er kannte die Stelle, an der sie verborgen waren, nämlich die Fichte mit dem hohlen Stamm. Sollte er die Klumpen da liegen lassen? Wäre doch zu schade. Aber war das Risiko nicht zu hoch? Er allein gegen einen ganzen Stamm Indianer, die ihm hasserfüllt ans Leder wollten?! Jesse biss ein Stück Kautabak ab und mümmelte nachdenklich daran herum. Mann oder Memme? Als der Geschmack des Pfriems nachließ, hatte er sich entschieden. Er spuckte den Sud aus, stieg auf sein Pferd und wendete es in die Richtung, aus der er gekommen war – nach Nordwesten, zurück zum Claim, zurück zu den Athabasken ...

Letzte Aktualisierung: 08.12.2011 - 09.12 Uhr
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