Burgturm im Nebel
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"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Crash im Münsterland
von Reiner Pörschke

„Gott sei Dank, dass ich heute nicht in Düsseldorf bin,“ brummte Heinz auf der Autobahn vor sich hin, „dieses Altweibergejohle geht mir so was auf den Senkel. Dann lieber arbeiten. Und es hat ja auch noch alles super geklappt, dieser blöde Landrichter in Paderborn, von nichts eine Ahnung! Der Prozess ist im Sack!“

Heinz war mit seinem Wagen an diesem Februarnachmittag auf der Rückfahrt. Er schaute plötzlich intensiver durch die Scheiben nach draußen und dachte besorgt: „Wenn nur das Wetter nicht noch schlechter wird!“ Der Tag war eiskalt gewesen, jetzt fielen Schneeflocken, dichter und dichter. Auf der Autobahn war kaum noch jemand unterwegs, im Verkehrsfunk wurde bereits vor weiteren Autofahrten gewarnt. Die Dämmerung fiel, er war gerade erst hinter Münster. „Mist, noch fast 100 km bis Düsseldorf.“ Der Motor war fast nicht mehr zu hören, alles wirkte wie in Watte gepackt. Er sah auch kaum noch etwas, denn die Schneeflocken tanzten vor den Scheinwerfern seines Wagens Wiener Walzer.

Bilder aus dem Fernsehen von Autofahrern, die auf eingeschneiten Autobahnen übernachten mussten, schossen ihm durch den Kopf. “Ich hab noch nicht mal eine Decke im Wagen, ich muss anhalten und weitersehen“. Er stieg auf dem nächsten Parkplatz aus. Über ihm sah er einen schwarzen Himmel, aus dem unaufhörlich und massenhaft die Flocken fielen, am Boden lag die Schneedecke inzwischen knöchelhoch. „ Es hat keinen Zweck mehr, ich muss hier irgendwo übernachten,“ entschied er.

Abseits der Autobahn sah Heinz in der Ferne ein erleuchtetes Schild, offensichtlich eine Dorfkneipe, zu der er sich über einen Feldweg vorkämpfte. Mit nassen Füßen trat er ein. „Ja, mir sann’ mi’m Radl’ da...“, plärrte es ihm aus einem Lautsprecher entgegen. Es folgte das „Pferd auf dem Flur, ja, ja, das Pferd auf dem Flur, das ist so niedlich...“. „Oh nein,“ dachte er, „ich komme vom Regen in die Traufe“. Die Dörfler saßen zwar eher stoisch vor ihren Gläsern, aber nüchtern war hier keiner mehr. Alkoholdunst und Tabakschwaden waberten durch die schlechte Luft in der Wirtschaft, deren Einrichtung wohl noch aus den 60-iger Jahren stammte.

„Haben Sie ein Zimmer für mich?“, fragte Heinz den Wirt hinter der Theke, der mit seinen geröteten Augen den Fremden und seinen schwarzen Anzug mit der gestreiften Krawatte zu durchbohren schien. „Ja, aber ungeheizt, Fremde haben wir hier selten, zumal im Februar,“ war die Antwort, barsch und nicht ohne Ironie, „leise wird es bei uns an Altweiber auch nicht gerade sein.“
„Besser als nichts, ich hab keine Wahl!“, dachte Heinz und nickte dem Wirt schulterzuckend zu.

Jetzt erst mal was zum Aufwärmen. Ein Bommerlunder, klar, in dieser Gegend gab’s nichts anderes. „Ich hab auch Hunger“, warf Heinz hin. „Unsere Frauen sind heute unterwegs“, mischte sich einer der Gäste ein. „Aber sie kommen bald zurück“, grinste er Heinz an, dem das Grinsen komisch vorkam. „Noch’n Bommi, min’ Jung? Ich geb’ dich ein aus!“ Na klar, diesen Tag konnte er nur noch so abhaken. Widerworte mochten die Dörfler sowieso nicht.

Plötzlich hörte man lautes Gejohle, die Eingangstür sprang auf und ein paar kostümierte Frauen drängten sich in die warme Wirtshausstube. Das Make-Up war schon ein wenig verlaufen, die Mienen angespannt. Die Augen der Dorfschönen waren aufgerissen, die Blicke irrten durch den Saal. Der Lautsprecher wurde bis zum Anschlag aufgedreht, jetzt war der Schenkelklopfer von DJ Ötzi dran: „ Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht: Hey, heeey Baby...!“ Die ganze Truppe im Raum kam endgültig in Fahrt und gab Alles.

„Machen wir wieder das Stammtischroulette?“, kreischte plötzlich eine der Frauen. Die Männer bekamen glotzende Augen, der Wirt rief: „Klar, wie jedes Jahr! Freiwillige vor!“
Der große, runde Stammtisch wurde abgeräumt. Vier Frauen hatten sich inzwischen gemeldet und legten sich mit den Köpfen zur Mitte auf das Holz, im 90 Grad Winkel zueinander.

„Du musst jetzt mitmachen!“, befahl ihm eine der Schönen. Die Musik lief wieder an. Um die Frauen herum standen die Männer, Heinz inbegriffen, der hilflos um sich blickte.

„Das ist so ähnlich wie die Reise nach Jerusalem! Wenn die Musik aufhört, darfst du mit der Frau vor dir auf dem Tisch heute Abend machen, watt du wills!“, wurde ihm kurz und bündig erklärt. Mit der Musik im 4/4 Takt tappten nun die Männer wie Tanzbären um den Tisch, die Augen der Frauen glänzten sie an. Dann, zack, die Musik verstummte...

Lange schwarze Stiefel und üppige Schenkel unter einem Karnevalsdirndl sahen Heinz an, der mittlerweile nicht mehr so klar denken konnte.
„Mein Liebling, ich heiße Sabiiene“, säuselte sein Gegenüber, „doch den Stachel hast nur du!“ Sie lachte sich halb krank über ihren Witz.

Dann schnüffelte sie an Heinz herum.
„Und du riechst nach „Cool Water“. Endlich mal nicht so ein Bauerntrampel. Einen Bommi trinken wir noch. Dann wärm ich dich da oben in deiner kalten Bude!“

Widerstand war zwecklos.
Das Schlafzimmer im oberen Stock kam Heinz später aber gar nicht mehr so kalt vor.





10.12.2011

Reiner Pörschke

Letzte Aktualisierung: 10.12.2011 - 13.18 Uhr
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