Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Pulp Fiction | Dezember 2011
Bruga und ihr Waldelf
von Wolf Awert

Die Kunde vom Sieg unserer Truppen hatte sich wie ein Steppenbrand ausgebreitet. Der Heerführer und eine kleine Schar Getreuer waren noch gestern Nacht zum König geeilt, um ihm alle Einzelheiten der Schlacht zu berichten.

Und heute wurde gefeiert. Ich schaute über das wirre Treiben, suchte nach bekannten Gesichtern, horchte auf Satzfetzen von Leuten, die vorgaben, mehr zu wissen als die anderen, roch die Säure des Weins und den Duft des Bratensaftes, der ins Feuer tropfte.

Viele kannte ich nicht, und die, die ich kannte, mochte ich nicht. Hoflakaien, Speichellecker, Wichtigtuer. Doch dann sah ich zu meinem Entzücken jemanden, den ich hier nie erwartet hätte. Lärchenzweig, den Waldelfen.

Ich mochte den Kerl. Er war der einzige Elf unter den Leuten des Königs und wohnte am Rande der Stadt, unten am Ufer des Flusses, wo es mehr Schlamm als trockenen Boden gab und wo Gauner, Diebe und Verbrecher so zahlreich waren wie die Ratten im königlichen Getreidespeicher. Eigentlich kein Platz für einen Waldelfen.

Ich ging ihm entgegen, und wir plauderten ein wenig.

„Warum ich da wohne?“, sagte er etwas verlegen, und eine tiefe Traurigkeit zog in seine großen Augen. „Wegen meiner Frau Bruga. Schaut, da drüben steht sie. Ist sie nicht prächtig mit ihren breiten Schultern und den starken Armen. Kein Gramm Fett auf ihrem Körper. Kräftige Beine, die weite Strecken marschieren können, und einem – äh – Hintern, der nur aus Muskeln besteht. Ein Prachtweib. Und was für eine Kriegerin.“

Ich schluckte. Ich konnte doch nicht zugeben, dass ich seine Frau für einen Mann gehalten hatte. Größer als die anderen Soldaten war sie, in Kette und Leder gekleidet. Es hätte mich interessiert, welche Waffe sie im Kampf führte. Vielleicht gar eine Doppelaxt? Wie kam ein Waldelf nur an so eine Frau?

„Ich kann mir keine bessere, keine treuere Frau wünschen“, fuhr Lärchenzweig fort. „Und nie gibt es Probleme auf dem ehelichen Lager. Sie gibt sich mir hin, wann immer ich es mir wünsche. Aber da fangen unsere Schwierigkeiten bereits an. Sie tut es nur mir zuliebe. Was ihr wichtig ist, sind die sanften Umarmungen, und die zarten Küsse. Sie kann stundenlang mit mir schmusen und bekommt trotzdem nie genug davon. Ich liebe sie, das könnt Ihr mir glauben, aber es ist nicht immer ganz einfach.“

Ich verstand nicht, warum Schmusen ein Problem sein sollte und gab das Lärchenzweig auch zu verstehen.

„Dann wartet nur, bis sie sich umdreht.“

Ich wartete. Sie stand bei den Kriegern, lachte ein bellendes Lachen, schlug auf derbe Schultern und bekam manchen Knuff, von dem selbst ich nicht so leicht wieder aufgestanden wäre. Ja, und dann drehte sie sich um, und ich verstand.

Bruga war eine Ork. Ich hielt es bereits für ein Wunder, dass Lärchenzweig seine Frau liebte; aber schier unbegreiflich war es für mich, dass er sie überhaupt küssen mochte. Selbst, wenn ihre Lippen weich wie das Bauchfell einer Jungziege wären und prall wie die Euter deren Mutter, so standen ihre beiden Hauer doch hervor wie Wächter vor dem Tor. Nicht so einfach für einen Waldelf, der höchstens die Hälfte ihres Gewichtes in das gemeinsame Bett brachte, und zudem mit einer so zarten Haut versehen war, dass sie bereits zu bluten anfing, wenn nur ein Ast sie ritzte.

„Bei den Waldelfen konnten wir nicht bleiben. Sie wollten uns nicht in ihrer Nähe haben und sprachen schlecht über meine Frau. Bei den Orks auch nicht. So blieben nur die Menschen, aber die Menschen mögen weder Elf noch Ork. Ihr fürchtet uns, haltet uns für Monster. Nur unten am Fluss, da schaut man nicht auf Aussehen oder Herkunft.“

Ich wollte widersprechen, aber die Fanfaren unterbrachen unser Gespräch. Der König war mit seinem Gefolge auf dem Festplatz erschienen, und alle Augen waren nun auf ihn gerichtet.

„Heerführer! Erzählt uns und dem Volk hier noch einmal, wie Ihr den Feind besiegt habt.“

Ein Soldat in Prunkrüstung stellte sich auf einen Holzklotz und warf sich in Pose.
„Es war einfach, Majestät. Der Feind hatte uns eine Falle gestellt. Verhandlungen hatte er angeboten. Einen großen Tisch an den Waldrand gestellt mit vierundzwanzig Stühlen drum herum. Auf zwölf der Stühle saßen die Fürsten des Feindes. Die anderen zwölf waren für uns.
Keine Waffen hieß es, und sie zeigte uns ihre bloßen Hände. Wir ließen uns darauf ein. Doch der Feind hatte seine Waffen unter der Tischplatte versteckt und fiel über uns her, sobald wir uns gesetzt hatten.“

Unruhe kam auf, und mancher fragte sich, wie ein Heerführer nur so vertrauensselig sein konnte. Aber er hatte am Ende doch überlebt und die Schlacht gewonnen.

„Doch wir waren vorbereitet. Auf einem einzelnen, weit hervorragenden Ast eines mächtigen Baumes am Waldrand lag bäuchlings Lärchenzweig, der Waldelf. Er hatte alle seine Kleider abgelegt, denn die Haut eines nackten Waldelfen ist von der Borke einer Eiche kaum zu unterscheiden. Sein Bogen machte den Unterschied. Die feindlichen Fürsten fielen schneller, als sie über die Tischplatte springen konnten.
Der anschließende Kampf war ein schnelles Gemetzel, denn dem Feind war die Kampfeslust abhanden gekommen. Hatten sie doch alle ihre Führer verloren.“

Der König hob den Becher.

„So verdanken wir unseren Sieg also einem nackten Waldelfen. Ich trinke Dir zu, Waldelf, wo immer du gerade stecken magst. Mein Dank ist dir gewiss.“

Ich stupste Lärchenzweig den Rücken. „Los, tritt vor, der Jubel gilt dir.“
Aber der Waldelf machte seinen Rücken steif und bewegte sich nicht.

Der König hatte gesprochen, Er stürzte seinen Trunk hinunter, drehte sich um und verließ die jubelnde Menge so schnell wie er gekommen war.

„Hat der König Euch denn nicht belobigt?“, fragte ich neugierig, denn was konnte man mehr tun als das, was Lärchenzweig getan hatte. Und was war in Zeiten wie diesen wichtiger, als seiner Armee zum Sieg zu verhelfen.

„Ja, das hat er. Über seinen Heerführer hat er mir ausrichten lassen, wie sehr ihm meine Rolle gefallen hatte.“

„Und?“, fragte ich.

„Nicht mehr als das.“

Ich schüttelte den Kopf. Erbärmlich für einen König, dachte ich nur.

Die Mundwinkel eines Hofbeamten, der den letzten Teil unseres Gesprächs mitbekommen hatte, zuckten ein wenig, als er sagte:
„Es ist immer gefährlich, bei Hofe Teil eines Scherzes zu sein, weil man sich nie sicher sein kann, dass die richtigen Leute lachen. Und wie soll ein Elf verstehen, was ein Scherz ist und was nicht. Das Geäst ist kein Boden, auf dem eine Kultur erwächst. Aber alles ist gut. Der König hat gelacht.“

Ich verstand die Gedanken des Hofbeamten nicht und fragte daher nach.

Das Zucken der Mundwinkel wurde breiter, wuchs zu einem Grinsen heran, und aus den halb geöffneten Lippen kam ein dezentes Glucksen. Es musste ihm viel Vergnügen bereiten, über etwas zu lachen, über das auch der König gelacht hatte.

„Ist das nicht offensichtlich? Ein nackter Elf auf einer Stange, während alle anderen gesittet auf Stühlen sitzen. Der König hat gelacht. Den ganzen Abend. Es ist ja auch eine zu schöne Geschichte. Des Königs Kinder werden sie noch lange erzählen. Und vielleicht sogar auch deren Kinder. Wir können alle sehr zufrieden mit Euch sein, Meister Waldelf.“

Ich schämte mich. Ich schämte mich vor Lärchenzweig für mein Land, seine Hofbeamten und sogar für meinen König. Meine Wangen brannten. Ich konnte die roten Flecken auf meiner weißen Haut spüren, Brandherde auf weißen Blütenblättern. Und vor mir standen Lärchenzweig und seine Frau, die sich zu uns gesellt hatte. Unbewegt standen sie und eng beieinander. Der Baum und der Felsen.

Brugas Stimme war heiser und rau, als sich ihre Lippen öffneten:
„Ich verstehe nicht, was du sagst, Beamter, aber ich erkenne Spott, wenn ich ihn höre.“

„Aber nicht doch. Ich Ihren Mann verspotten? Wie käme ich dazu. Was Ihr in mir seht, ist reinste Lebensfreude, die sich ihre Bahn bricht, meine Verehrteste. Unser aller Leben wird nun sicher sein, dank eines nackten Elfenarsches auf einer Astschaukel.“

Der Hofbeamte kicherte doch tatsächlich in sich hinein und hätte vermutlich noch länger gekichert, wenn sich da nicht Brugas Arm bewegt hätte. Und vorn an dem Arm war eine Faust, und die Faust traf auf den hofbeamtlichen Mund, schlug alle Schneidezähne nach innen und ließ die Lippen aufplatzen wie Bohnenschoten. Der aufgeblasene Kopf flog nach hinten, und der Beamte brauchte mehr als zwei taumelnde Schritte, um sein Gleichgewicht wieder zu finden. Mit ungläubigem Blick starrte er auf die Blutstropfen, die die Vorderseite seines Anzuges besprenkelten.

„Das war ein Schlag der spottenden Faust“, sagte Bruga zu mir. „Kein ernsthafter Schlag, mehr ein Scherz. So ein Schubser, ist nur oberflächlich, richtet keinen Schaden an und ist auch nie böse gemeint.“
Damit drehte sie den Kopf wieder in Richtung des Hofbeamten.

„Aber dass jemand eine spottende Faust nicht kommen sieht und den Kopf lässt, wo er steht, also das habe ich noch nie gesehen. Wir werden die Geschichte vom lachenden Hofbeamten weiter erzählen. Nicht wahr Lärchenzweig? Sie wird uns alle erheitern.“

Der Hofbeamte versuchte mit den Ruinen seines Mundes etwas zu sagen, aber mehr als ein Gurgeln brachte er nicht hervor. Wahrscheinlich hatte er ein paar seiner Zähne verschluckt.

„Jetzt leben wir schon so lange an eurer Seite und merken erst heute, wie dumm die Menschen sind. Keine Sorge, wir verraten es nicht. Ihr sollt auch weiterhin mit hoch erhobenem Kopf durch die Straßen gehen können. Unser Lachen wird leise sein und hinter eurem Rücken stattfinden. Führst du mich bitte nach Haus, Geliebter?“

Sie ging neben ihrem Mann, wie es sich für eine stolze Frau gehörte, und aus dem Feuer auf meinen Wangen wurden neue Rosenblätter. Wie ein Brautpaar auf dem Weg zum Hochzeitsritual sahen die beiden aus. Oh ihr Götter, wie ich diesen Waldelf beneidete.

Letzte Aktualisierung: 23.12.2011 - 21.08 Uhr
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