Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Inspiration durch ein Bild | Januar 2012
Zwischen den Fronten
von Eva Fischer

Er schaut mich nicht an. Sein Blick bohrt sich in den Boden, als könne er dort ein Schlupfloch finden. Neben dem großen bulligen Mann, seinem Vater, der mich mit falscher Höflichkeit fixiert, wirkt er klein und zerbrechlich
„Sie wollten mich sprechen.“

Ja, das wollte ich, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob das Gespräch etwas bringt.
Ich muss ihm sagen, dass sein Sohn Amir seine Mitschüler schikaniert, ihnen droht, sie zu töten, wenn sie mir nur ein Sterbenswörtchen verraten, dass er sie schlägt, wenn sie ihm nicht geben, was er will.
„ Macht Amir Probleme? Sie können es mir ruhig sagen. Ich bin ein guter Vater, hart, aber gerecht. Mein Sohn bekommt alle Liebe von mir.“

Er fährt seinem Sohn über das Haar, der sofort zurückzuckt, als erwarte er keine Liebkosung.
Die bekommt er nur hier, damit ich Zeuge werde einer intakten Vater-Sohn-Beziehung.
Wenn ich ihm sage, was sein Sohn sich zu schulden hat kommen lassen, dann wird er ihn schlagen, nicht für das, was er getan hat, sondern für die Unannehmlichkeit, die er seinem Vater bereitet hat. Er möchte Gutes aus meinem Mund über seinen Sohn hören. Er soll ihm keine Schande machen. Das ist oberste Kindespflicht. Wofür hat er ihn sonst gezeugt?

Vor kurzem habe ich noch mit seiner Frau telefoniert. Sie ist hochschwanger, muss aber im Bett bleiben, um ihr Kind nicht zu verlieren. Ihr Mann ist vollkommen überfordert mit dieser Situation. Er selbst hat genug Probleme. Seit einigen Monaten ist er arbeitslos. Harz IV Empfänger zu sein, gefällt ihm nicht. Ein dritter Schreihals, den man durchfüttern muss, das hat ihm noch gefehlt.

„Was machen Sie, wenn Sie zu Hause Ärger haben?“
Er schaut mich an, als ob ich eine unflätige Frage gestellt hätte.
Geduldig wiederhole ich sie.
„Mein Familie macht mir keinen Ärger“, antwortet er mit einem drohenden Seitenblick auf seinen Sohn.
„ Ich meine den ganz alltäglichen Ärger. Sie verpassen die Bahn, das Essen ist nicht pünktlich auf dem Tisch, Ihre Kinder spielen zu laut, während Sie müde sind und gern ein Nickerchen halten wollen..“
„Was hat das mit meinem Sohn zu tun?“, antwortet er unwirsch.
„Verlieren Sie schnell die Geduld oder lassen Sie sich auf ein Gespräch mit Ihrem Gegenüber ein?“, insistiere ich.
Sein Gesicht gerät zu einer Fratze.
„ Kinder haben zu gehorchen.“ Seine Stimme ist merklich lauter geworden.
„Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Die Frage ist doch, wie sie gehorchen? Sehen sie ihre Fehler ein oder werden sie einfach mundtot gemacht?“
„Hören Sie mir doch auf mit dieser ganzen Psychoscheiße!“
Sein Körper hat sich aufgebläht. Jeder Muskel ist angespannt. Das Gesicht färbt sich rot vor Wut.
„ Herr Jovanovic! Nun beruhigen Sie sich doch! Ich möchte Ihnen helfen, Ihre Probleme mit Amir in den Griff zu bekommen.“
„Probleme? Welche Probleme? Amir ist ein wunderbarer Sohn, gehorcht mir aufs Wort. Wenn er Ihnen keinen Respekt zeigt, sagen Sie es mir. Ich sorge dafür, dass er es tut.“
„ Um mich geht es hier gar nicht, Herr Jovanovic. Amir bedroht seine Mitschüler.“
Seine Augen werden zu Schlitzen.
„ Das sehen Sie falsch. Amir wird bedroht! Er hat es mir selbst gesagt. Ich bin stolz auf meinen Sohn, dass er sich wehrt. Sie haben ja gar keine Ahnung, was nach der Schule alles los ist.“, zischt er wie eine Schlange, die ihr Opfer umkreist.
„Sagen Sie es mir!“
„Was?“
„Sagen Sie es mir, was nach der Schule los ist,“ fordere ich ihn auf.
„Amir, sag es deiner Lehrerin!“, wendet er sich nun seinerseits an seinen Sohn.
Mein Schüler hat wieder merklich an Körpergröße gewonnen. Seine dunklen Augen funkeln mich angriffslustig an, so wie ich es kenne.
„ Der Yassin und der Mirko, die schubsen mich immer in der Pause, lassen mich nicht mitspielen. Dann beschimpfen sie mich und nach der Schule wollen sie mich dann schlagen.“

Yassin und Mirko wollen nicht mit Amir Fußball spielen, weil er rücksichtslos zutritt. Yassins Mutter kam schon zur Schule und hat mir empört die blauen Flecke ihres Sohnes gezeigt.

„Und haben sie dich geschlagen?“
Herr Jovanovic schiebt den Ärmel seines Sohnes hoch und zeigt auf einen Fleck, der schon grünliche Farbe angenommen hat.
„Bist du in einem Fußballverein?“, frage ich ihn.
Er starrt mich verständnislos an.
„Fußball ist ein wunderbarer Sport, aber er verläuft nach gewissen Regeln, damit alle daran Spaß haben. Fair play, nennen das die Engländer. Das kann man lernen wie Mathe und Englisch.“, füge ich aufmunternd hinzu.
„ Amir muss seiner Mutter zu Hause helfen, hat keine Zeit für einen Fußballverein.“
Oder kein Geld, denke ich. Ich blicke auf die Uhr. Die Zeit drängt.

„Sehen Sie, Herr Jovanovic, Sie haben bei der Einschulung Ihres Sohnes einen Vertrag unterschrieben, an den Sie sich halten müssen. Darin steht, dass jeder Schüler ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz seines Eigentums hat. Gewalt löst keine Probleme, sondern schafft nur neue.
Der Angegriffene schlägt heftiger zurück als sein Angreifer. Am Ende weiß keiner mehr, wer angefangen hat. Es herrschen nur Chaos, Hass, Angst und Misstrauen.
Keiner kann sich mehr wohlfühlen. Das möchtest du doch nicht, Amir, oder?“, wende ich mich an meinen Schüler.

Für einen Augenblick flackert Hoffnung in mir auf. Lese ich einen Funken Verständnis in dem Blick, der mich plötzlich an ein geschundenes Tier erinnert, oder will er nur möglichst schnell hier wieder raus?
„Du weißt, wir haben ein Streitschlichterprojekt. Das kannst du jederzeit in Anspruch nehmen, wenn du Probleme mit deinen Mitschülern hast.
Und würdest du morgen bitte Mirko sein Handy zurückgeben, das du dir ausgeliehen hast.“

Ich erhebe mich, erkläre das Gespräch für beendet. Herr Jovanovic drückt mir die Hand, dass es mich schmerzt.

Vor der Tür wartet Jana mit ihrer Mutter.
Ihre Mitschülerinnen beklagen sich über Cyber Mobbing.

Letzte Aktualisierung: 03.01.2012 - 13.37 Uhr
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