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Inspiration durch ein Bild | Januar 2012

Lasses Streiche
von Ingeborg Restat

Es gab wohl nicht einen mehr in der Klasse, dem Lasse noch keinen Streich gespielt hatte. Oft waren dabei die Lacher sogar auf seiner Seite, wenn es wieder einmal einen getroffen hatte, dem die andern es gönnten. Doch dem Betroffenen selbst verging es. Dafür lachte Lasse umso lauter. Wenn einer darüber so richtig böse wurde, das machte ihm Spaß, daran ergötzte er sich.
Das jedoch fand ein Ende, als er in einer Pause Anna aus purem Übermut ihr Heft mit dem Aufsatz für die nächste Stunde wegnahm.
„Gib es sofort wieder her!“, verlangte sie erschrocken.
Er aber hielt es hoch und frohlockte: „Hol’s dir doch! Hol’s dir doch!“
Was amüsierte er sich, als sie an ihm hochsprang und vergebens danach griff. Je hilfloser sie sich dabei fühlte, umso zorniger wurde sie. Das Heft bekam sie nicht zu fassen. Mal hielt er es in dieser, mal in jener Hand, mal hinter dem Rücken oder über dem Kopf. Lasse lachte, je verzweifelter sie es versuchte.
Das Lärmen der andern in der Klasse um sie herum hatte längst aufgehört. Alle schauten zu den beiden.
Das mochte Lasse. Er war in seinem Element. „Hol’s dir doch! Hol’s dir doch!“, rief er immer übermütiger.
„Hör auf damit, Lasse!“, forderte einer.
„Warum?“, fragte er ungerührt zurück und steigerte sich in seinen Spaß hinein, bis er mit Schwung das Heft zum offenen Fenster hinauswarf. „Hol’s dir doch!“, rief er auch da noch spottend Anna zu.
„Das ist gemein!“ Wütend lief Anna aus der Klasse.
Triumphierend sah sich Lasse um.
Die jedoch, die um ihn herumstanden, blickten ihn nur stumm und entsetzt an. „Das ging zu weit“, sagte einer.
„Was denn?“, erwiderte er aufmüpfig. „Sie kann sich das Heft doch wieder holen.“

Unten auf der Straße aber kam gerade ein Herrchen mit seinem Hund vorbei. Der sah das herabflatternde Heft und sprang danach. Hei, welch spannende Beute, die wollte er einfangen. Bald hatte er das Heft mit seinen Zähnen erwischt und zerfledderte es knurrend. Erst als der Rest davon in eine Pfütze fiel und Herrchen ihn rief, ließ er davon ab. Der ganze schöne Aufsatz, an dem Anna so fleißig gearbeitet hatte, war dahin.
Den Tränen nah kam sie mit dem, was davon noch übrig war, in die Klasse zurück. Niemand lachte über Lasses Streich.
Als dann die Lehrerin sogar meinte, Anna würde sich das ausdenken und lügen, weil sie die Hausaufgabe nicht gemacht hätte, weinte Anna bitterlich und viele wütende Blicke trafen Lasse. Doch kaum sagte die Lehrerin ungläubig: „Ein Heft zum Fenster hinauswerfen, wer macht denn so etwas?“, da riefen alle: „Der Lasse, der hat das getan!“
Und Lasse grinste.
„So, der Lasse! Natürlich! Wer sonst? Was hast du dir dabei gedacht? Glaubst du etwa, das war lustig? Darüber sprechen wir noch, verlass dich drauf!“, drohte die Lehrerin ihm an.
Lasse blieb ungerührt.
Kopfschüttelnd warnte sie daraufhin: „Pass nur auf, dass dir das nicht einmal schlecht bekommt!“
Doch Lasse grinste.
„Dem müsste man es mal so richtig zeigen, damit ihm das Grinsen vergeht“, flüsterte da Finn erbost Leon zu.

Das ging Leon in der nächsten Zeit nicht aus dem Sinn, bis er wusste, wie sie das erreichen könnten. Hatte er nicht erst neulich mitbekommen, wie sehr sich Lasse vor Schlangen und Fröschen ekelte, ja, sich sogar vor ihnen fürchtete. Sofort eilte er zu Finn und schlug ihm vor: „Wir könnten Lasse eine Schlange in seinen Ranzen stecken.“
„Und wo willst du die hernehmen?“, wollte Finn wissen.
Das wusste Leon auch nicht.
„Dann nehmen wir eben eine Frosch“, meinte Finn.
„Ja, das ist gut! Aber nur einen? Nein, gleich drei müssen es sein“, forderte Leon begeistert.
Doch Finn befürchtete: „Das merkt er viel zu schnell. Die werden quaken.“
„Lass sie doch! Wenn er sie rausholen und anfassen muss, das ist der Spaß!“
„Oh, ja! Sein Gesicht dabei möchte ich sehen“, feixte Finn.
„Der wird kotzen müssen!“
„Das gönne ich ihm!“

Voller Vorfreude auf den Streich, Lasse mal spüren zu lassen, wie das ist, pirschten sich die beiden Jungen an einen Teich heran. Es fiel ihnen nicht schwer, hier drei Frösche zu fangen. Wie oft hatten sie das nur zum Spaß schon getan. Sie steckten die drei in ein Glas mit grünen Zweigen, so dass sich die Frösche darin verkriechen konnten, und nahmen sie am nächsten Tag mit in die Schule. Hier versteckten sie das Glas in einer dunklen Ecke.
„Was sagen wir, wenn die während der Schulstunde quaken?“, fragte Finn besorgt.
„Dann habe ich dir die Frösche mitgebracht“, flüsterte ihm Leon zu.
Doch die Frösche quakten nicht. Als die Stunden zu Ende waren und sich alle fertig machten heimzugehen, lockte Finn unter einem Vorwand Lasse kurz aus dem Klassenraum. Das reichte Leon, ihm die drei Frösche in seinen Ranzen zu schütten.
Die andern sahen es und begriffen sofort … Jetzt hatte es niemand mehr eilig, nach Hause zu kommen. Keiner von ihnen wollte sich entgehen lassen, dabei zu sein, wenn Lasse die Frösche wieder herausholen musste. Gespannt warteten sie auf das erste Quak aus dem Ranzen.
Doch die Frösche quakten nicht.
Lasse kam verärgert zurück. Warum hatte Finn ihn herausgerufen? Er wusste es nicht. Misstrauisch sah er sich um. Aber niemand schien sich um ihn zu kümmern, auch sonst fiel ihm nichts auf. Also schnallte er sich seinen Ranzen auf den Rücken, ging zur Tür und verließ die Klasse.
Die Frösche quakten nicht!
Die andern folgten ihm. Noch einmal drehte sich Lasse irritiert nach ihnen um. Dann jedoch ging er zügig den Flur entlang auf die Treppe zu.
Die Frösche quakten noch immer nicht!
Einer stieß den andern an. Sollte Lasse damit bis nach Hause gehen können? Sie wollten doch dabei sein, wenn er die Frösche entdeckte.
Aber die Frösche quakten nicht.
Noch drei Schritte bis zur Treppe, da hielt es einer nicht mehr aus und rief: „Lasse, was hast du in deinem Ranzen? Läuft da etwas aus?“
Lasse blieb stehen. Also war doch etwas im Schilde. Mit beiden Händen griff er nach hinten und unter seinen Ranzen. „Ihr nehmt mich auf den Arm. Da ist nichts!“
„Doch, Lasse, darin bewegt sich etwas.“
Jetzt nahm Lasse seinen Ranzen ab. „Ihr habt mir etwas reingetan“, sagte er, ging oben an der Treppe zum Geländer und stützte seine Tasche darauf. „Was ist es, eine Ratte? Um mich zu erschrecken, muss euch schon was Besseres einfallen!“, tat er es ab und öffnete den Ranzen.
Kaum hatte er die Klappe hochgenommen, flutsch, flutsch, sprangen die Frösche heraus und Lasse mitten ins Gesicht. Er schrie auf, wich zurück, einen Schritt, noch einen, er trat ins Leere, fiel die Treppe hinunter und der Ranzen vom Geländer ihm hinterher. Wimmernd blieb er unten liegen. Er konnte nicht mehr aufstehen.
Vor Schreck erstarrt standen die andern oben und schauten zu ihm hinunter. Einer fing sich, lief zum Lehrer. Der kam und sah, was geschehen war. Er rief Hilfe. Keiner traute sich, die Treppe hinunterzugehen. Sie standen alle noch da oben und sahen beklommen, wie Lasse auf eine Trage gelegt und hinunter zu dem Krankenwagen getragen wurde. Erst dann folgten sie langsam und schauten betroffen dem davonfahrenden Wagen nach.
„Es sollte doch nur ein Streich sein“, sagte Leon ratlos zu Finn. Dann gingen sie die armen Frösche suchen.

Letzte Aktualisierung: 26.01.2012 - 15.45 Uhr
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