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Inspiration durch ein Bild | Januar 2012

Der Zwerg vom Schulklo
von Elsa Rieger

In jeder Schulstufe gibt es ein Schreckgespenst. In den ersten vier Klassen hieß es Frau Stein, nun ist es Herr Müller, dachte Helene, während sie in der Ecke stand. Er hatte sie neben den verdreckten Waschtisch an der Tür verbannt.
Alle gönnten ihr die Schmach, bis auf Gwen und Selma. Sie zwinkerten ihr zu, sobald Helene sich bewegte.
Mit den anderen Mitschülern hatte sie es nicht so. Die Mädchen, ihre beiden Freundinnen ausgenommen, beschäftigten sich nur mit Klamotten und Schminkzeug. Helene fand das doof und sagte das auch deutlich. Damit war sie unten durch. Und die Jungs? Die konnten nichts als freche Sprüche machen und feixen. Ihrem Anführer hatte Helene vor ein paar Wochen auf dem Schulhof mit einem Tritt die Kniescheibe verletzt. Sie war im Recht gewesen, weil er ihr das Haxl stellte und sie in den Dreck flog.
Seither wichen ihr die Blödmänner aus, gut so!

Herr Müller schnäuzte ins Taschentuch. Helene wurde übel. Wie sollte sie den noch weitere sieben Jahre ertragen? Das erste war zum Glück fast schon um. In Englisch gab er ihr schlechte Zensuren, obwohl sie immer alles richtig hatte.
„Muss ich mir nicht bieten lassen!“, schimpfte sie, wenn er die Schularbeiten austeilte.
„Du bist frech, Helene“, war stets seine Antwort.
Diesmal hatte er sie in die Ecke geschickt. Helene wusste genau, warum.
Zu Beginn des Schuljahres hatte er sich durch die Reihen geschlichen und die Mädchen berührt. Sie hatte seine widerliche Hand weggeschlagen. Denn sie hielt sich an das, was Papa sagte: „Lass dich niemals anfassen.“

„Ich muss mal“, sagte sie jetzt.
Dagegen war Herr Müller machtlos. Er steckte seine Rotzfahne ein, nickte ihr zu. In der Tür zeigte ihm Helene den Stinkfinger. Gwen und Selma waren beeindruckt.
Helene hüpfte Himmel und Hölle. Die Stimmen aus den anderen Klassen hallten durch den Flur.

Es war still auf der Toilette. Hinter dem gekippten Fenster raschelte leise der Wind durch die Blätter. Die Ferien würden bald beginnen. Wie schön, dass Helenes Geburtstag in den Sommer fiel. Sie durfte immer alle ihre Freundinnen einladen. Mutter kontrollierte zwar ständig, ob eines der Mädchen in ihre heiligen Blumenbeete trat, aber Helene war das eigentlich egal. Sie erklärte das Papa, aber er wies sie zurecht.
Als ob Mutters Grünzeug wichtiger wäre als ihr Kind!

Nun lehnte sie am kühlen Heizkörper und blickte in den Fetzen Himmel hinauf. Im Klo blubberte es, sie sah nach. Eine rote Zipfelmütze trudelte im Abfluss. Helene zog sie heraus. Ein Zwerg zappelte daran und Helene setzte ihn auf den Boden. Er wrang seinen grünen Filzumhang aus, lächelte mit spitzen Zähnen. Wie die vom Krokodil. Die Augen blitzten klein und stechend.
„Wir blasen dem Müller den Marsch!“, sagte er und raste auf den Flur und weiter der 1b entgegen. Helene rannte hinterher. Als sie die Tür erreicht hatte, stand der Zwerg schon auf dem Lehrerpult.
„Strafe muss sein“, sagte er und nahm Herrn Müllers Hosenschlitz aufs Korn. Helenes Mitschüler brüllten vor Lachen, denn der Professor winkte nun mit einem kapitalen Rüssel. Der Zwerg blieb gelassen.
Müller schrie: „Ich werde es nie wieder tun, ich schwöre es.“
Der Zwerg schnippte und Herr Müllers Rüssel schrumpfte kläglich ein.
Helene war die längste Zeit in der Ecke gestanden.

© Elsa Rieger

Letzte Aktualisierung: 20.01.2012 - 13.18 Uhr
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