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Inspiration durch ein Bild | Januar 2012

Life is a Battlefield
von Ann Nissuth

Kurz vor der Pause erwischte es ihn doch noch.
„Du meinst wohl mal wieder, du könntest alles, Niklas Meier.“
Frau Mannweiller hatte sich drohend vor ihm aufgebaut. Ihre blutrot lackierten Krallen zielten mitten in sein linkes Auge. Warum ließ ihn diese Hexe denn nicht einfach in Ruhe? Wieso ertappte sie immer ihn?
„Du wiederholst jetzt, was ich gerade gesagt habe.“
Du lieber Himmel! Er hatte doch keine Ahnung.
Marius würde nächste Woche weg sein. Daran hatte er gedacht.
„Sie haben gemeint, Niklas kann alles“, hörte er seinen einzigen und besten Freund neben sich sagen.
Ein Kichern breitete sich in der Klasse aus. Die Mannweiller schaute drein, als würde sie gleich einen Herzkasper kriegen.
„Das glaub ich aber nicht“, fuhr Marius ungerührt fort. „Was Sie uns da über lineare Funktionen erklären, versteht doch kein Schwein.“
„Raus!“, zischte die Mannweiller.
Ihr Mundgeruch ätzte seine Nase.
Mit einem Schulterzucken verließ Marius langsam den Raum.
„Und du, Freundchen, machst mir bis morgen zwei Seiten im Aufgabenheft extra“, giftete sie Niklas weiter an. Ob sie wohl einen Giftzahn hatte, der sie immer wieder mit neuem Gift gegen ihn versorgte?
Er stellte sich seine Mathelehrerin mit einer kleinen Gifttankstelle im Mund vor -da, wo andere ihren Weisheitszahn haben - und konnte mal wieder nicht anders: Ein Lachanfall enterte ihn.
„Das wird Konsequenzen haben“, spuckte die Mannweiller. „Ich werde dafür sorgen, dass du heruntergestuft wirst.“
Das Glucksen in Niklas erschrak ein wenig. Ganz abschalten ließ es sich nicht. Das war immer so. Es machte sich jedes Mal selbstständig. Dagegen war er völlig machtlos. Meistens geschah es in Mathe und manchmal auch in Kunst. Wenn die Bender mal wieder eines seiner Bilder verriss. Dabei hatte er sich bei ihr wirklich lange richtig Mühe gegeben. Schließlich sagten alle, er hätte Talent. Außer der Bender.
Fürs Erste rettete ihn der Pausengong.

„Wieso musst du unbedingt mit deinen Eltern nach München? Das ist Lichtjahre weg.“
Marius schaute ihn bekümmert an.
„Hey, Niklas, wir können doch skypen. Und außerdem: Wo sollt‘ ich denn hier alleine hin?“
Niklas seufzte. In seine Hölle zu Hause konnte er Marius nicht aufnehmen, das stand fest. Seit dem Tod seiner Mutter war ständig Zoff. Die dämliche Kuh - eigentlich hieß sie Swetlana und war die aktuelle Lebensgefährtin seines Vaters - meinte, sie hätte da jetzt das Sagen. Der war ja schon seine Wenigkeit zu viel.
Die letzten beiden Stunden war BK. Bei der Bender. Zum Glück ließ sie ihn ausnahmsweise in Ruhe.

Marius musste nach der Schule direkt weiter zum Zahnarzt. Na, klasse. Das war dann wieder die Gelegenheit für Jenny, hinter ihm, Niklas Meier, herzulaufen und dabei unentwegt „Kuhauge“ zu plärren. „Mach dir nichts draus. Wahrscheinlich ist sie einfach in dich verliebt“, hatte Marius gemeint, als das zum ersten Mal passiert war (wobei Jenny, wenn Marius dabei war, immer unsicht- und vor allem unhörbar blieb).
Verliebt?!? Na, auf so was konnte er getrost scheißen. Wer hatte sich das mit der Liebe bloß ausgedacht? Das war doch krank. Genau wie bei seinem Papa und der dämlichen Kuh. Insgeheim hoffte er, dass wenigstens sein Vater und seine Mutter ineinander verliebt gewesen waren. Er schluckte den Gedanken an die Mutter jedoch schnell hinunter. Es kratzte im Hals.

Der Tag war wahrhaftig ein Scheißtag. Die dämliche Kuh erwartete ihn bereits an der Tür. Hatte die nicht am Morgen was von Frisör gemurmelt?
„Ich kann dein Essen nicht ewig warm halten. Du weißt genau, dass ich wenig Zeit habe. Jetzt wasch dir die Hände und dann wärm dir alles auf. Und dann schau, dass du deine Hausaufgaben machst. Ach ja, und wehe, ich krieg mit, dass du stattdessen wieder am PC warst.“
Der grellrote Fingernagel ließ von seiner Brust ab und Swetlana stöckelte aus der Tür.
Vielleicht doch kein Scheißtag.
Er schaute in den Topf auf dem Herd. Das Gulasch darin sah aus wie schon mal gegessen. Nicht mal kochen konnte die. Fand sie sicher auch unnötig. Wenn sie wenigstens wieder ganztags arbeiten gehen würde. Aber auch das hatte sie ja nicht mehr nötig, seit sie seinen Vater an der Angel hatte. „Ich muss mich doch um den Jungen kümmern“, hatte sie gemeint und ihrer Freundin dann am Telefon vorgeschwärmt, nun hätte sie endlich mal Zeit für sich selbst. Nein, Niklas würde sich sicher nie verlieben. Niemals nie!
Ob noch Pizza im Tiefkühlschrank war? Eine Diavolo! Der Tag wurde langsam freundlich.
Niklas verfrachtete das Gulasch in den Kühlschrank und die Pizza in den Ofen. Wenig später kaute er mit vollen Backen und fuhr schon mal den PC hoch. Wie bitte wollte die dämliche Kuh nachher denn kontrollieren, ob er da dran gewesen war? Die war doch viel zu blöd.
Er beschloss, als deutscher Scharfschütze gegen die Russen zu kämpfen, mit Berlin als Schlachtszenario.

Es ließ sich gar nicht gut an. Als er versuchte einen Kontrollpunkt einzunehmen, wurde er von einer Panzergranate getroffen.
Er würde als Sturmsoldat weiter spielen.
Die zwanzig Sekunden Wartezeit beim Wiedereinstieg waren um, da hatten die Russen den Kontrollpunkt eingenommen, kurz darauf noch einen zweiten. Die Tickets der Deutschen nahmen ab, ohne dass Bots starben.
Fuck.
30:4 Spieler.
[Strg]: Er schlich geduckt um eine Ecke.
Zwei Russen.
Schnell zielte er mit der rechten Maustaste und streckte sie mit Kopfschüssen nieder.
[4]: Er wählte die Granaten aus und warf eine um die Ecke.
Wieder erwischte es einen von denen.
Der Kontrollpunkt schien frei.
[3]: Das Sturmgewehr . Nun lief er um die Ecke.
Ein Kopf tauchte hinter einer Mauer auf.
Instinktiv drückt er die linke Maustaste.
[Strg]: Er duckte sich hinter Sandsäcke und zoomte mit der rechten Maustaste eine Gasse an.
Drei Russen kamen um die Ecke.
[4]: Erneut wählte er die Granaten aus. Kurz darauf flogen die durch die Luft. Er hatte wieder seine Ruhe.
Der Kontrollpunkt war nun in seiner Hand.
Er rannte los, bog um die Ecke - und stand einem Panzer gegenüber.
Der Panzer eröffnete das Feuer auf einen seiner Mitspieler.
[1]: Das Messer.
[Leertaste]: Er sprang neben dem Panzer auf und ab und massakrierte damit den Russen im Turm.
Aus dem Panzer quoll bereits schwarzer Rauch.
[4]: Wieder die Granaten. Mit der letzten sprengte er ihn in die Luft.
Die letzte Granate.
Wie auf dem Bild aus dem Kunstunterricht.
Sein Gegner war Scharfschütze.
[g]: Er nahm die Waffe auf.
Sein Mitstreiter lebte noch.
Er lief zurück zum Kontrollpunkt und nahm neue Munition auf.
Ein weiterer Mitspieler nahm den nächsten Kontrollpunkt ein.
Jetzt zählten die Tickets der Russen langsam runter.
[2]: Er wählte den Colt des Russen aus und lief weiter.
Ein Gegner war noch übrig. Er musste sich beim russischen Hauptquartier versteckt haben.
Er rannte um die Ecke - und stand seinem Feind gegenüber.
Nun war es ein Kampf Mann gegen Mann.
Er gegen den Russen.
Sein Zeigefinger hämmerte auf die linke Maustaste.
Er leerte sein ganzes Magazin - doch er zielte nicht gut genug.
[r]: Nachladen. Nein, verdammt, die Zeit reichte nicht mehr.
[1]: Das Messer.
Der Russe drehte sich in seine Richtung, aber da attackierte er ihn schon wild mit der linken Maustaste.
Im nächsten Moment hatte er das Spiel gewonnen.
Geil.

Und mitten in dieses großartige Gefühl traf ihn das Geräusch des Schlüssels.
Er schaffte es gerade noch, die Anwendung zu schließen.
„Ich habe dir doch gesagt, du darfst nicht an den PC“, keifte Swetlana.
Kälte kroch in ihm hoch. Er drehte sich in ihre Richtung.
„Hatten sie beim Frisör keine Zeit für dich?“
„Du unverschämtes Kind!“
Wütend riss sie das LAN-Kabel heraus.
„Ja, da mach ich meine Hausaufgaben wohl besser bei Marius weiter.“
Er fuhr den Rechner herunter und schnappte sich seinen Rucksack.
Bevor die dämliche Kuh etwas entgegnen konnte, schlüpfte er zur Tür hinaus.
Zum Teufel mit all den verfluchten Weibern! Er hatte gerade eine Schlacht gewonnen. Da würde er sich doch von denen nicht fertig machen lassen, verdammt!

(2)

©ANis

Letzte Aktualisierung: 25.01.2012 - 00.21 Uhr
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