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Inspiration durch ein Bild | Januar 2012

rot rot tot
von Martina Bracke

Ihr versucht es mit klassischer Musik. Ich nenne es Folter. Mein Grinsen seht ihr nicht, es ist innerlich. He, ich lache euch aus, begreift ihr das nicht? Ihr glaubt, mich mit Musik zu beruhigen? Ich war nie unruhig. Ich ruhe in mir selbst. Nur aus dieser Ruhe heraus kann ich euch aus der Reserve locken. Ich kriege euch, wie ich sie alle gekriegt habe.
Ich war der Junge mit den dünnen Haaren und den Glasbausteinen, Objekt eurer Scherze! Das konnte ich besser!
Ich war der Kollege, der euch die Massenarbeit abgenommen hat. Ich konnte warten!
Ich bin der nette Nachbar, der eure Blumen gießt, wenn ihr verreist!
Die Töne schwirren um mich herum, ein ganzes Orchester ist aufgefahren. Einen kühlen Kopf braucht es. Psychologie beherrsche ich besser als ihr! Ihr seid Dilettanten, blutige Anfänger gegen mich.
Rot ist meine Lieblingsfarbe. Sie kommt auf den Bildern in diesem kranken Haus nicht vor. Viele weiße Wände. Ich sehe, wie das Blut von der Decke tropft, die Wände überzieht. Ich sehe die Tropfen laufen. Fasziniert verfolge ich ihre Bahn. Ein grandioses Muster, ein Farbenspiel von rot und weiß. Das Weiß verliert seine Unschuld.
Ein Triumphmarsch. Wer hat diese Musik aufgelegt? Habt ihr euch wohl vergriffen? Mein Triumph, mein Trumpf! Ihr könnt mich hier festschnallen. In meinem Geiste bin ich kein Gefangener. Ich kannte ihre Gewohnheiten. Sie musste immer an meinem Türspion vorbei. Und ich konnte jeden ihrer Schritte über mir hören. Ich wusste immer, in welchem Zimmer sie war.
Der Querflöten lieblicher Gesang. Ihr könnt mich nicht schocken. Das habe ich besser drauf. Ein herrlicher Spaß, als ich ihr den toten Arm vor die Tür legte. Ich hatte ihn ganz geschmackvoll verpackt mit rotem Geschenkpapier und roter Schleife. Heute würde ich einen echten nehmen. Die Wirkung wäre grandios. Ich male mir ihr Gesicht aus, wie es weiß wird. Weiß wie eure Wände. Wie sie zusammensackt. Direkt neben dem toten Arm aufwacht. Ihr Schrei hätte Tote aufwecken können, aber es war ja nur ein Arm aus dem Scherzartikelladen. Kein Sinn für Humor. Nie Geisterbahn gefahren? Da helfe ich doch gern aus. Ich schicke euch auf die Geisterachterbahn.
Das Klavier übernimmt die Führung. Ein Ton plätschert hinter dem anderen her. Blut muss fließen, nicht plätschern! Ich schreie. Ich bin lebendig. Das Blut steigt in meinen Kopf. Ich schreie weiter, weiter, lauter. Fünf von euch um mich. Wovor habt ihr Angst? Ich laufe nicht weg. Ich bin doch festgeschnallt. Ihr kriegt mich nicht. Ich bin schon längst entflohen. Habt ihr es nicht bemerkt? Applaus! Bravo!
Rot klebte das Blut an ihrer Wohnungstür. Ihr Schrei war einfach nur schrill. Und das Blut diesmal echt. Ganz dick am Türknauf und am Schloss, aber auch verteilt über die ganze Tür. Der Hund zwei Häuser weiter bellt nicht mehr.
Ihr kriegt mich auch mit jammernden Geigen nicht. Jämmerliche Geigen. Stümperhaft eure Versuche. Die Spritze wirkt. Ich ziehe mich zurück. Vorerst. Guerillataktik. Vorpreschen, tausend Nadelstiche, zurückweichen.
Mit meinen Briefen habe ich sie mürbe gemacht. Sie hat alle verwahrt. Sie hängt an mir. Ich schrieb sie mit roter Tinte. Ich schrieb sie mit Blut. Aus mir fließen die Gedanken und ihr könnt sie nicht aufhalten. Niemals. Eines Tages werdet ihr mich als geheilt gehen lassen. Ich weiß es. Ich habe Zeit.
Der Unterton der Bässe, Fagott, Oboe. Tiefe Töne. Ja, ich untermalte ihr Leiden. In ihrer eigenen Wohnung hielt ich sie noch drei Wochen fest. Die letzten Briefe schrieb ich mit ihrem Blut. Bis keine Tinte mehr floss. Ich musste ihr die Briefe vorlesen, ihr Auge fasste keinen Buchstaben mehr. Das Leben selbst schrieb die Worte.
tot. rot rot tot.

© mb2012, 1. Version

Letzte Aktualisierung: 21.01.2012 - 18.00 Uhr
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