Honigfalter
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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012
Vitamine und Spurenelemente
von Anne Zeisig

Meine Gattin Marlies, liebevoll Graueselchen von mir genannt, steht singend in der KĂŒche. Sie bereitet ein Gulasch zu. Dienstags gibt es immer Gulasch.
“Ein bisschen A-roma, ein biss-chen Paloma, ein biss-chen Chiliiiihhh, wĂŒr-hĂŒrzig wie sonst nie. Und Ing-wer da-ha-zu. Ju-hu-hu.”

Ich nehme mir ein KreuzwortrÀtsel und setze mich in den Sessel an den Tisch.
“Mit gestoßenem Chili, Heinz-JĂŒrgen, Kardamom und viel Ingwer! Ein Rezept aus der Tageszeitung. Raffinierte Gerichte fĂŒr Eilige.”
Hat ‘s da gerade unter meinem Allerwertesten geknackt?
Ich greife unter mich und befördere Marlies Brille zutage. Ein BĂŒgel ist abgebrochen.
StÀndig liegt ihre Brille an den unmöglichsten Stellen! Einmal fand ich sie sogar auf der Klobrille.
Marlies` Angewohnheit, ihr Nasenfahrrad ĂŒberall herumliegen zu lassen, bringt mich stets zur Weißglut.
“Reg dich doch nicht immer so auf”, pflegt sie meistens zu sagen, wenn ich meckere, “ich trage dieses verunstaltende Element sowieso nur in AusnahmefĂ€llen.”
Und ich leiere wie ein Papagei mein wichtigstes Gegenargument herunter.
“Aber die AugenĂ€rztin hat gesagt, du sollst sie ganztĂ€gig tragen, damit sich dein Gehirn daran gewöhnt.”

Ich halte die defekte Brille hoch.
Will mich auch nicht mehr aufregen.
Das bringt eh nichts.
“Deine Brille hat auf dem Sesselsitz gelegen”, sage ich sehr ruhig und gedehnt. “Nun ist der BĂŒgel abgebrochen, weil ich mich darauf gesetzt habe. IMMER lĂ€sst du ... “
“Ich hatte sie nur kurz auf, weil ich das Rezept lesen musste”, unterbricht Marlies mich und wendet sich wieder dem Kochtopf zu.
“Wenn du sie nur kurzzeitig trĂ€gst, wirst du dich nie daran gewöhnen. Wir haben einen ganzen Tag beim Optiker verbracht, bis du ein Modell gefunden hast, das dir gefĂ€llt. Wir haben dafĂŒr ein halbes Vermögen hingeblĂ€ttert. Der Designer lacht sich heute noch kaputt, weil wir fĂŒr das bisschen Plastik unser Konto geplĂŒndert haben!”
Nun bin ich doch noch laut geworden.
Meine Frau zuckt mit den Schultern und rĂŒhrt unbeeindruckt im Gulasch. “Irgendein Modell musste ich ja schließlich nehmen. Aber freiwillig habe ich das nicht getan, das kannst du mir glauben.”
Sie neigt sich zu mir herab, bis dicht vor mein Gesicht und weist auf ihre Augenwinkel. “Siehst du das? Meine KrĂ€henfĂŒĂŸe sind bereits sehr ausgeprĂ€gt, was in meinem Alter ja normal ist. Aber das soll nicht heißen, dass ich sie mit Glasbausteinen vergrĂ¶ĂŸern muss. So große FĂŒĂŸe haben KrĂ€hen nicht.”
Marlies macht auf dem Absatz kehrt und rĂŒhrt wieder im Topf herum.
Ich muss nicht lange auf ihre diskriminierenden VorwĂŒrfe warten.
“Aber das mit den Lachfalten kannst du ja auch nicht nachvollziehen, weil du ein Mann bist. MĂ€nner haben keinen Humor. Ergo haben sie auch keine Lachfalten. Trotzdem hĂ€tte ich ein bisschen VerstĂ€ndnis von dir erwartet.”
Nun rĂŒhrt sie sehr rabiat im Topf. “Wenn ich was lesen muss, dann setze ich sie ja auf.”
“Aber nur, wenn du weißt, wo du sie hingelegt hast. Meistens weißt du das jedoch nicht.”
“Dann nehme ich die Lupe, die liegt immer auf der Kommode im Flur.”
Sie schmeckt das Gulasch ab. “Da fehlt Salz.”
Ich kichere. “Wenn du mit der Lupe liest, sieht das auch nicht besonders ladylike aus.” Von
Von wegen, ich und keinen Humor.
Marlies benutzt den Salzstreuer. “Wenn ich nicht weiß, wo ich die Brille hingelegt habe, dann muss ich die Lupe zum Lesen benutzen. Egal, wie das aussieht. Frauen sind geistig beweglicher als MĂ€nner. Ihr Kerle seid immer sowas von festgefahren in euren Ansichten und schlechten Gewohnheiten.”
“Was? Ich und schlechte Gewohnheiten? DU hast doch diese miese Angewohnheit, stĂ€ndig deine Brille zu verlegen!”
Sie pustet sich eine HaarstrĂ€hne aus den Augen. “Siehste! Das meine ich mit fehlendem Humor.”
“Meine Lesebrille liegt jedenfalls immer”, ich hebe meine Stimme an, “IMMER auf der Kommode im Flur neben der Lupe! Wenn man fĂŒr seine Sachen einen festen Platz hat, muss man nicht suchen und hat stets alles parat.”
Ich schlage mein KreuzwortrÀtselheft zu und lege meine Lesebrille auf den Tisch.
Marlies atmet tief ein und aus. Sie stellt die Teller fĂŒr meine Begriffe etwas zu hart auf den Tisch. “Hör endlich auf. Ich komme wunderbar ohne dieses Sehgestell zurecht. Vom Lesen mal abgesehen.”
“Jau! Hast ja die Lupe.”
“Genau. Weil die Lupe IMMER auf der Kommode liegt, Heinz-JĂŒrgen.”
Mir platzt der Kragen. “Weil ich”, mehrmals tippe ich mir auf die Brust, “weil ich sie stets dort ablege, damit du sie nicht suchen musst!”
Marlies legt die Löffel zu den Tellern, verteilt je eine Kelle Gulasch darauf und setzt sich.
“Seit du Rentner bist, hackst du stĂ€ndig auf Kleinigkeiten herum. Nun lass uns in Ruhe essen.”
Sie sitzt mir gegenĂŒber.
Vierzig Jahre hat Marlies beim Essen neben mir gesessen.
Verstehe einer die Frauen.
Ich nehme einen vollen Löffel vom dampfenden Gulasch, puste darauf und murre: “Eines Tages lĂ€ufst du noch vor ein Auto, weil du es ohne Brille ĂŒbersehen hast.”
Marlies lacht. “Ich bin immer unfallfrei vom Einkaufen heimgekommen. Außerdem sind Autos verdammt groß, die kann man nicht ĂŒbersehen. Du tust ja so, als wĂŒrde ich halb blind durch die Gegend laufen.”
LĂ€sst der Ingwer das Gulasch so sonderbar schmecken?
Marlies isst unbeeindruckt weiter.
“Schmeckt irgendwie komisch”, bemerke ich leise. Es schwebt schließlich genug ZĂŒndstoff in der Luft.
“Meinst du?” Sie isst einen Bissen, blickt zur Zimmerdecke und schmatzt leise. “Hm. Das kommt dir nur so vor, weil es kein Paprika-Gulasch ist.” Ich schiebe meinen Teller beiseite und schneide mir eine Scheibe Baguette ab.
“Ach! Dir schmeckt ‘s nicht! Der Herr liebt seine alteingesessenen Essgewohnheiten heiß und innig! Wehe, wenn man mal andere Geschmackserlebnisse auf den Teller bringt!”
Ich wĂŒrge, um des lieben Friedens willen, noch einen halben Löffel voll hinunter.
Marlies lamentiert ungebremst.
“Seit vierzig Jahren koche ich jeden Dienstag das Paprika-Gulasch nach dem konservativen Rezept deiner Mutter, da wird es endlich mal Zeit fĂŒr einen exotischen, frischen Geschmack!”
Frischer Geschmack?
“Ich habe nie darauf bestanden, dass du jeden Dienstag Paprika-Gulasch machen musst.”
Mein Graueselchen trinkt einen Schluck Wasser. “Aber das ist doch dein Lieblingsgericht! Deine Mutter hat mir das Rezept zur Hochzeit geschenkt! Geschrieben auf edelstem BĂŒtten! ‘Heinzi muss jeden Dienstag sein Gulasch haben, weil es seine Leibspeise ist!’ Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr.”
“Seit wann hast du auf das gehört, was meine Mutter gesagt hat.”
Marlies verschluckt sich. “Du weißt genau, dass deine Mutter immer diese diktatorische Art an sich hatte.”
Ich habe nun wirklich keinen Appetit mehr und schiebe meinen Teller endgĂŒltig von mir.
“Ingwer ist halt nicht jedermanns Sache”, nuschele ich und blicke auf die Uhr.
Um Eins halte ich nĂ€mlich jeden Tag ein StĂŒndchen Verdauungsschlaf. Und es ist bereits Zehn vor. Da ist es klug, sich auf keine weitere Diskussion einzulassen.
Marlies nimmt sich demonstrativ einen Nachschlag. “Je Ă€lter MĂ€nner werden, umso unflexibler werden sie. Wie alte Hunde. Die mögen auch nur ihr gewohntes Futter. Es schmeckt lediglich etwas exotisch, ist aber durchaus genießbar.”
Wehe dem, der Marlies KochkĂŒnste kritisiert!
Ich beiße in das Baguette und gĂ€hne. “Habe schon den ganzen Tag keinen Appetit und fĂŒhle mich schlapp. Ist ja auch ErkĂ€ltungswetter.” Ich bemĂŒhe mich, glaubhaft zu husten und fĂŒhle ĂŒber meine Stirn. “Ob ich Fieber habe?”
Marlies blickt mich mitleidig an. “Dann legst du dich nach dem AbspĂŒlen auf das Sofa.” Sie wischt sich mit der Serviette ĂŒber ihren Mund und erklĂ€rt. “Weil das ein Rezept fĂŒr Eilige ist, musste man dieses fertige Gulasch aus der Konserve verwenden. Bin ĂŒberrascht, wie gut das schmeckt, wenn man es mit GewĂŒrzen, frischen KrĂ€utern und Sahne verfeinert.”
Sie isst einen weiteren Löffel voll von ihrer Gulasch-Kreation.
Mein Magen knurrt. “Gibt ‘s keinen Nachtisch?”, frage ich.
Mein Graueselchen zwinkert mir zu. “Eigentlich gibt es gegrillte Ananas mit schwarzem Pfeffer und Chili.”
Mir lÀuft das Wasser im Mund zusammen. Diese Exotik hört sich so richtig lecker an.
“Aber das ist nichts fĂŒr eingebildete Kranke wegen der Enzyme in der Ananas.”
“Die Vitamine sind doch gut fĂŒr mein Immunsystem.”
Ich schleppe mich zum Abfalleimer, weil ich die Baguette-KrĂŒmel hineinschĂŒtten will.
Und stutze.
‘WUFFI SENIOR’ VITAMINE UND SPURENELEMENTE FÜR DEN ALTERNDEN HUND
Ich nehme die Dosen mit dieser Aufschrift heraus. Sie sind leer.
“Marlies?”
“Ja?”
“Warum sind Hundefutter-Dosen im Abfall?”
“Das kann nicht sein”, antwortet sie kauend, “so was kaufe ich nicht. Wir haben doch gar keinen Hund.”

ENDFASSUNG ©anne zeisig

Letzte Aktualisierung: 17.02.2012 - 08.47 Uhr
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