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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012
Immer wenn es regnet
von Monika Heil

Immer wenn es regnet, wird Lea depressiv. Niedergeschlagen schaut sie zum Fenster hinaus und findet das Leben so trist, wie das Wetter vor ihrer HaustĂŒr. Lea spĂŒrt dann fast körperlich, wie sie in einen Sog von Trostlosigkeit gezogen wird, tiefer und tiefer. Lange Zeit hat sie versucht, dagegen anzukĂ€mpfen, sich abzulenken mit lesen oder mit telefonieren. Vergeblich. Ihre Stimmung blieb niedergedrĂŒckt. Was immer sie dagegen unternahm, es war erfolglos. Bis sie irgendwann - mehr zufĂ€llig - bemerkte, dass eines hilft - immer, wenn es regnet, beginnt Lea aufzurĂ€umen. Egal was, egal wo. Hauptsache, sie schafft Ordnung. Das geht jedes mal so lange, bis auch der Himmel wieder ordentlich blau und aufgerĂ€umt aussieht. Sobald die Sonne scheint, ist fĂŒr Lea alles wieder gut. Dann wird sie wieder fröhlich und weiß wichtigeres zu tun, als ihr Umfeld makellos zu sĂ€ubern. Und sie steigert sich in ihren Aktionen, ohne es zu erkennen. Heribert, Ihr Mann, hĂ€tte es merken mĂŒssen. Doch der schweigt. Er lĂ€sst seine Frau gewĂ€hren und schweigt. Seit langem geht das so.

Anfangs machte sie sich nur ĂŒber die Schubladen ihrer SchrĂ€nke her. Zuerst in der KĂŒche, spĂ€ter auch in allen anderen Zimmern. Sie stellte Töpfe und Pfannen nach ihrer GrĂ¶ĂŸe zusammen. Sie rĂ€umte WĂ€sche und Kleidung von einem Schrank in den nĂ€chsten, von einem Schubfach in das andere. Bei einer dieser Gelegenheiten fand sie etwas in Heriberts Schrank, das dort nicht hingehörte. KopfschĂŒttelnd betrachtete sie den kleinen schwarzen Gegenstand in ihrer Hand. So etwas brauchte sie in ihrem Haushalt nicht. Oder doch? Wohin damit? Erst mal steckte sie ihn in ihre KittelschĂŒrze. SpĂ€ter schloss sie ihn in dem oberen Fach des Schreibtisches ein.

An einem anderen Tag stellte sie ihre BĂŒcher in den hohen Wandregalen im Wohnzimmer um, staubte sie ab und sortierte sie einmal nach Farben, beim nĂ€chsten Regen nach dem Alphabet. Sie mistete ihre Schminkutensilien, Cremes und Medikamente im Bad aus. Hörte es auf zu regnen, hörte auch Lea auf. Sofort und ohne zu zögern. Dann schien ihre Welt wieder in Ordnung.
An einem Tag mit mehrfach wiederkehrenden kurzen Schauern versuchte sie, endlich einmal ihre Gedanken zu bereinigen. Das erwies sich als schwierig und blieb bruchstĂŒckhaft, weil sie immer wieder von trockenen und sonnigen Phasen unterbrochen wurde. An einem besonders tristen Regentag rĂ€umte sie ihre Erinnerungen auf – stundenlang, planlos, erfolglos.

Gestern regnete es wieder fast den ganzen Tag. Lea stand schlecht gelaunt am Fenster. Trostlosigkeit draußen und in ihrem Herzen. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um ein einziges Wort. „AufrĂ€umen! AuftrĂ€umen!“ Gleich einem Mantra. Immer das selbe Wort, bis sie endlich Staub- und ScheuertĂŒcher herbei holte. Womit sollte sie anfangen? PrĂŒfend schaute sie sich im Wohnzimmer um. Immer nur Schrankinhalte rĂ€umen, fand sie heute irgendwie langweilig. Sie stand vor den großen SchrĂ€nken, in denen sie ihr teures Geschirr und ihre wertvollen GlĂ€ser aufbewahrte. Die hatte sie erst letzte Woche nach GrĂ¶ĂŸen umsortiert. Sektflöten ganz links, dann die RotweinglĂ€ser, WeißweinglĂ€ser und ganz rechts die kleinen Schnapsstamperl. Heute fĂŒhlte sie sich zu GrĂ¶ĂŸerem berufen. Ihr Blick fiel auf die schwere Ledercouch, die beiden wuchtigen Sessel und das fast neue FernsehgerĂ€t. Genau. Der ganze Schrott muss raus, beschloss sie. Sofort! Das schaffte sie nicht allein. Was also tun? Lea klingelte bei ihrem Nachbarn. Freundlich, aber bestimmt, bat ihn um Hilfe, ohne konkret zu werden. Bereitwillig folgte er ihr. Lea öffnete Fenster und TĂŒren. Zögernd blieb der Nachbar im TĂŒrrahmen stehen, fragte, was genau sie vorhabe. Sie erklĂ€rte es mit ausholenden Gesten. Die Tischlampe krachte auf den BĂŒrgersteig. Das Beistelltischchen folgte. Der Mann redete mit beruhigenden Worten und Gesten auf sie ein. Doch sie schien ihm gar nicht zuzuhören. WĂ€hrend Lea sich zum Schreibtisch wandte, beschloss er, wieder zu gehen. Betont langsam und mit kleinen Schritten bewegte er sich rĂŒckwĂ€rts. Er kam nur bis zur EingangstĂŒr. Denn Lea musste aufrĂ€umen. Egal was. Plötzlich waren ihr die Möbel gleichgĂŒltig geworden. Jetzt musste sie erst den Nachbarn aufrĂ€umen. Aber wie? Sie griff in die Taschen ihres Kittels, ohne zu wissen, was sie suchte. Ihre Finger ertasteten Metall. Der KellerschlĂŒssel. Die Gedankenkette setzte sich in Bewegung. Sie stand direkt vor dem Schreibtisch. Der SchlĂŒssel des obersten Faches steckte. Dort lag der Revolver. Der Nachbar hatte keine Chance. Lea schleifte seine Leiche in den Keller. Dann schrubbte sie den Boden im Hausflur, nachdem sie Schuhschrank, Garderobe und Spiegel weggerĂ€umt hatte. So fand sie ihr Mann Heribert, als er kurz vor zwölf und pitschnass zum Mittagessen nach Hause kam. Bevor er auch nur einen Ton von sich geben konnte, rĂ€umte sie ihn auf. Erst dann fiel ihr ein, dass sie ihn hatte fragen wollen, woher der Revolver kam. Zu spĂ€t. Auch Heribert landete im Keller. Das war sozusagen ein Aufwasch.
Gegen eins klingelte der BrieftrĂ€ger und brachte ein Einschreiben. Wortlos unterschrieb Lea die Empfangsquittung. Dann setzte sie ihre AufrĂ€umaktion fort, denn draußen schĂŒttete es noch immer wie aus Eimern. „Mistwetter!“, war das letzte Wort des Postbeamten. Als Lea einen fliegenden HĂ€ndler, der zufĂ€llig an ihrer TĂŒr klingelte und ihr einen Teppich verkaufen wollte, zu den anderen rĂ€umte, störte sie plötzlich der Anblick ihres vollgestopften Kellers. Da lagen vier Leichen und die hatten dort nichts zu suchen. Sie musste hier Ordnung schaffen. Sofort. Lea ĂŒberlegte nicht lange und rief den stĂ€dtischen Bauhof an. Die Dame am Telefon versprach, noch am selben Tag zwei ihrer MĂ€nner mit einem großen Container schicken. Als die schon eine Stunde spĂ€ter an Leas HaustĂŒr klingelten, öffnete niemand. Lea war spazieren. Das inzwischen trockene Wetter und der herrliche Sonnenschein hatten sie nach draußen gelockt.
„So ein Mist“, murmelte der Ältere und schaute verwundert auf den vielen SperrmĂŒll, der ĂŒber den BĂŒrgersteig verteilt lag. Sie luden den Container ab. „EinrĂ€umen muss das die Madame aber selbst“, meinte der JĂŒngere. „Ihr Pech“, sagte sein Kollege. Dann fuhren sie zurĂŒck in die Zentrale.

Der Wetterbericht in den SpĂ€tnachrichten verhieß nichts Gutes. „Schwere Orkanböen und sintflutartige RegenfĂ€lle“, kĂŒndigte eine sonore Stimme an. Lea versuchte zu ignorieren, was das fĂŒr sie bedeutete und schlief ein. Im Traum kam ihr eine richtig gute Idee. Morgen war die Stadt dran. „Die muss schon seit langem dringend aufgerĂ€umt werden,“ raunte ihr die Stimme eines ortsansĂ€ssigen Politikers ins Ohr. Und das Wetter am nĂ€chsten Tag schien wie dafĂŒr gemacht.

Letzte Aktualisierung: 21.02.2012 - 20.13 Uhr
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