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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012

Sonntagskaffee
von Susanne Ruitenberg


„Wo bleibst du denn, kannst du nicht einmal pünktlich ... jetzt sieh dir die Sahne an, wie sie schon zusammenfällt und wenn der Kaffee nicht in der Thermoskanne wär, könnte man damit Eiskaffee machen und ...
Hach, es läutet, na endlich. Wie seh ich um den Kopf rum aus? Ich muss dringend zum Frisör, die Leute denken sonst ... ja, ich bin nicht taub, kein Grund, Sturm zu klingeln. Typisch. Erst zu spät sein und dann kann die Tür nicht schnell genug aufgehen. Da bist du ja, komm rein Kind, lass dich umarmen.“
„Hallo, Mama, wie ...“
„Hier, da hast du einen freien Bügel, behalt‘ die Schuhe ruhig an, oder magst du ein paar Hausschuhe?“
„Ich ...“
„Aber hast recht, es ist ja nicht kalt hier auf den Teppichen. Du trinkst doch sicher noch Kaffee, oder? Ich kann dir natürlich auch einen Tee machen, oder einen warmen Kakao, wie früher, ganz wie du magst, setz dich, ich habe uns einen Apfelkuchen gebacken, nur die Sahne sah vorhin schöner aus, dabei enthalten die alle heute so ein Algenzeugs, Cara...dingsda, oder wie das heißt, damit die fest bleibt, oder auch zum Strecken, wer weiß das schon, heute wird ja an allem gespart. Hier, magst du das große Stück? Oder bist du wieder auf Diät. Du hast ein wenig zugenommen, wenn ich mich nicht täusche.“
„Mama, ich muss dir was erz...“
„Das kommt davon, dass ihr heutzutage alle so unregelmäßig esst, weil ihr so lang im Büro sitzt mit euren Telefonkonferenzraumbesprechungen, oder wie ihr das nennt. Zu meiner Zeit ist man wenigstens pünktlich weggekommen und konnte zu manierlichen Zeiten essen und mit Kindern sowieso und du weißt ja noch, wie Papa, Gott hab ihn selig, auf seine festen Uhrzeiten gepocht hat, aber natürlich muss ich ihm recht geben, es ist viel gesünder für eine regelmäßige Verdauung, wenn man auch regelmäßig isst und abends soll man ja sowieso nicht mehr so viel und sag mal, gehst du noch zu deinem Karatetraining?“
„Kaum, ich ...“
„Ist vielleicht besser so, ich meine, das ist doch kein Sport für eine Frau, guck mal, da kriegt ein Mann ja Angst, dass du ihn vermöbelst, du wirkst ohnehin so ... wie soll ich sagen ... herb mit deinen Hosenanzügen, versteh mich bitte nicht falsch, ich meine, ein ganz klein wenig damenhafter könntest du dich durchaus kleiden, es muss ja kein Prinzessinnenkleid mit Rüschen und so sein, aus dem Alter bist du ja raus und schon damals wolltest du lieber ein Cowboykostüm an Fassenacht, aber du bist ja auch nicht mehr die Jüngste, fünfunddreißig, das ist schon ein Einschnitt und du darfst dir jetzt wirklich keine Zeit mehr lassen; ich meine, für eine Hochzeit braucht es ja auch ein wenig Vorlauf, wenn sie schön sein soll, obwohl man heutzutage ja auch ohne Trauschein ein Kind ... ich meine, das ist ja keine Schande mehr, aber umständlich natürlich mit dem Behördenkram und praktischer ist es schon, das vorher zu machen und wer weiß, ob du dann was essen kannst, wenn du erst ... oder ob du dann die ganze schöne Hochzeitsfeier über reihernd auf dem Klo zubringst; ich weiß ja, ich war auch viel zu alt damals als wir ... vor Papa bin ich nur an Nieten geraten und alle wollten nur rummachen, nicht Nägel mit Köpfen und vor den Traualtar und Verantwortung übernehmen ... a propos, gehst du noch mit diesem Timm, oder wie der heißt, der ist so ein Kindskopf, immer nur zu seinen Spieleabenden unterwegs, mit dem ganzen Drachenkram, auch wenn er ja hübsch war.“
„Er hieß Timon und war außerdem mein vorletz...“
„Ach ja, Timon, wie komm ich nur auf Timm, naja, sind fast die gleichen Buchstaben, und du hast recht, der aktuelle heißt ja Rolf, den muss ich verdrängt haben, also ehrlich, ich will dir ja nicht reinreden, es ist dein Leben natürlich, und er sieht ja auch gut aus, aber irgendwie, ich weiß nicht, man soll ja nicht auf Leute heruntergucken, die eine niedere Ausbildung ... nun, Handwerk ist ja nichts Unehrenhaftes, Gott bewahre, das meine ich nicht, hat goldenen Boden, wie man so sagt, und wenn man seine Handwerkerrechnungen ansieht, da können die nicht schlecht leben, aber das Dasein besteht ja nicht nur aus dem Materiellen, und ich finde immer, man muss über mehr reden können als das Wetter und den nächsten Einkauf, wenn es für ein langes Eheleben ... und du weißt ja, wie Papa und ich uns ergänzt haben, obwohl, reden konnte man mit ihm auch nicht wirklich, er hat ja kaum einmal den Mund aufgemacht. Ich meine nur, natürlich würde ich ihn als Schwiegersohn willkommen heißen, ich wäre ja froh, wenn du endlich ... wie lange seid ihr... aber ich hätte mir jemanden mit ein klein wenig mehr, naja, Vielfalt im Oberstübchen gewünscht, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Mama, Rolf ist seit einem Jahr Geschichte, das hab ich dir doch damals ...“
„Ach ja richtig, ich erinnere mich, du warst ganz geknickt, wie konnte ich das vergessen, das hast du mir bei dem einen Besuch ja erzählt und ... eigentlich könntest du öfter vorbeikommen, du musst ja nicht mehr jedes Wochenende mit ihm zum Fußball, da habe ich mich sowieso immer gewundert, wieso du da mit ..., ich meine, du fandest das immer primitiv; sollen sie doch ein paar Bälle mehr nehmen, als sich um den einen zu streiten, das hast du immer gesagt, hahaha, weißt du noch? Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, was man im Kopf hat, nun, es ist kein Fehler, sich für die Hobbys des Partners zu interessieren, ich habe das ja auch versucht, Papa zum Angeln zu begleiten, aber dieses stundenlange Stillsitzen und keinen Mucks durfte ich machen, grässlich, so eine Zeitverschwendung. Nun, nach der ersten Verliebtheit schadet es auch nicht, sich wieder eigene Betätigungsfelder zu suchen, man verbringt noch genug Zeit miteinander, auch wenn man das am Anfang nicht glauben will und meint, jede Sekunde, die man getrennt ist, wäre eine zu viel und Verschwendung von Lebenszeit. Andererseits weiß man auch nie, wie viele Jahre einem bleiben, dein Papa hätte sicher gern mehr von seiner Rente gehabt als das eine kümmerliche Jährchen, was hatten wir alles vorgehabt an Reisen, aber er wurde stiller und stiller und eines Tages wachte er auf und war tot, ich meine, er wachte natürlich nicht mehr auf, traurig, traurig. Klar, mir geht es nicht schlecht, die Wohnung ist bezahlt und ich muss nicht auf jeden Pfennig gucken, oder Cent, wie es heute ja heißt, und ich habe genug Ansprache durch den Frauenkreis und all die Sachen, aber Familie ist schon was Anderes, und wenn du wenigstens noch Geschwister ... vielleicht hätte ich dann schon Enkelchen, mit Kindern im Haus ist immer was los, ich sehe es ja an Frau Zobel von oben, und sie hat nicht einmal was davon, die Gute, mit ihrem Rheuma, kann sich kaum bewegen, aber sich erfreuen dran kann sie natürlich und ... nanu, das hat doch eben geklingelt, das wird doch kein Paketdienst sein, jetzt am Sonntag, da ist ja diese junge Frau im Erdgeschoss, die geht wohl nie einkaufen, fast jeden Tag ein Päckchen und sie natürlich auf der Arbeit, der junge Mann hat schon gewitzelt, ob er mir das DHL-Schild an die Tür kleben darf, hihihi, lass mal, brauchst nicht aufspringen, ich kann auch selbst, Marion? Na, die rennt ja regelrecht zur Tür, naja, wenn sie schon mal was für ihre alte Mutter tun will, soll man sie nicht bremsen und ... nanu?“
„Mama, das ist Hikaru. Ich bin im vierten Monat und in fünf Wochen ziehen wir nach Tokyo.“



©Susanne Ruitenberg
Version 2

Letzte Aktualisierung: 24.02.2012 - 15.42 Uhr
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