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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012

Ständige Begleiter
von Helga Rougui

Daß sie so gar nichts gemerkt hat... irgendwelche Warnzeichen, nein, da gab es nichts, noch gestern hat er ihr ins Ohr geflüstert, wie entzückend... aber das ist ja nun egal.

Es ist unglaublich.

Paula starrt bereits gefühlte drei Stunden – drei Minuten in Echtzeit – in den Badezimmerspiegel, ohne sich wirklich wahrzunehmen. Sie ist sozusagen blind vor Wut. Die SMS von Sebastian hat wie eine Bombe eingeschlagen. So ein Mistkerl, hat er doch tatsächlich auf diesem Wege mit ihr Schluß gemacht. Sie hat das bisher immer für ein Gerücht gehalten, daß Leute per Handy eine Beziehung beenden. Aber er hat geschrieben, sie solle ihn nicht weiter belästigen, sonst gebe es Ärger. Ärger??!!! Was soll das denn heißen? Will der Feigling etwa doch noch persönlich erscheinen, wozu auch immer? Sie hat die Antwort-SMS gar nicht schnell genug tippen können. Die kann sich das Arschloch dann mal hinter den Spiegel oder besser noch exakt sonstwohin stecken.
Paula schminkt sich fertig. Das ist insoweit ganz praktisch, als es sie daran hindert, einfach loszuheulen. Um einen miesen Typen auch noch Tränen vergießen? Nie und nimmer. Sie schluckt und zieht – lange Routine – mit ruhiger Hand einen perfekten Lidstrich.
Wird sie ihre Pizza eben allein essen heute abend.
Nur das Glas Wein dazu, das möchte wohl heute nicht das einzige bleiben.

***

Miriam hat endlich einen Sitzplatz in der übervollen U-Bahn ergattert. Schon seit einer Weile haben sie den unterirdischen Teil verlassen und fahren jetzt zwischen Feldern und kleinen Wäldchen dahin, die Haltestellen zeigen ein ländliches Gepräge, Fahrgäste steigen ein und aus, wechseln ein paar Worte.
Doch Miriam hat für all das kein Auge und kein Ohr. So sehr sie es sonst genießt, beim Fahren die Landschaft zu betrachten, heute ist sie tief in ihr Buch versunken – der Vampir vom Dienst hat sich gerade pfeilschnell in die Flugbahn der neunschwänzigen Katze der Oberdämonin katapultiert und sieht des Schattenjägers Antlitz das vor Qual kreidebleich
düdeldideldüdeldudeldüdeldideldüdelduuudüdeldideldüdeldideldüdelduuudüdeldi –
"Ja?"
"In der Bahn."
während er vorwärtsstürmte und die silberne Peitsche flirrend durch die Nacht
"Lotharstraße."
"Nö noch nich. Kein Plan."
"Ja okee mach ich. Brötchen. Ja kann ich -"
schien die Luft um ihn herum wie glitzerndes Konfetti zu explodieren
"Ja nee Bratwurst is okee ne."
brannte sie lichterloh in der Dunkelheit vollkommen gefangen in der blendenden Feuersäule
"Okee."
"Okee. Und du kommst dann -"
Tausende von Salzkristallen, die mit furchterregender Schönheit
"Okee. Kleine Dose Meersalz. Noch was?"
"Jau bis dann. Bis gleich. Tschau. Tschautschau."

Das hat doch alles keinen Sinn.
Miriam klappt ihr Buch zu.
Der Junge ihr gegenüber sein Handy.
Steckt sich von neuem die Stöpsel in die Ohren, und ein dumpf unterdrückter wummernder Bass ist zu hören.
Seufzend kramt Miriam ihren iPod aus der Tasche.

***

Endlich, endlich, endlich. Der erste Teil der großen Trilogie. Herr der Ringe: Die Gefährten. Seit Wochen fiebert Alexandra dem Filmstart entgegen. Nun ist es soweit. Ausgerüstet mit einer MaxiCola und einer Tüte Weingummi – essen sich zwar nicht knisterfrei, aber gefahrloser als Tapas, wenn man vorhat, den Blick nicht eine Sekunde von der Leinwand abzuwenden – sitzt sie im bis auf den letzten Platz ausverkauften Kinosaal, gerade haben sich Aragorn und Boromir in Elronds Haus vor Narsil getroffen und nun Aragorn und Arwen märchenhaft umgeben von durchscheinend seidenen Schleiern in einem mystischen Gegenlicht und Aragorn:
Du sagtest, du würdest den Bund mit mir eingehen drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng und damit der Unsterblichkeit deines Volkes entsagen.
Arwen:
Und daran halte drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng ich fest. Ich möchte lieber ein einziges Leben mit dir verbringen, als alle Zeitalter der Welt allein zu durchleben. (legt ihre Kette in seine Hand) Und so wähle ich ein sterbliches Leben.
Aragorn:
Das kannst du mir nicht drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng schenken!
Arwen:
Es gehört mir und ich schenke es, wem ich will. Wie mein Herz. (küsst drillidringggliiidrillidringggliii drööng drööng Aragorn)

NUN DRÜCK DOCH ENDLICH WEG DU IDIOT DAMIT DAS GEKLINGEL AUFHÖRT NEE WAS FÜR EIN BLÖDMANN WARUM STELLT DER DAS NICHT LAUTLOS
"Hallo?"
- und nun geht der auch noch RAN! Es ist nicht zu fassen!

***

"Meyer-Lüdtke. Ich hatte reserviert."
"Guten Abend Herräähhm... ja, Tisch 21, am Fenster, mit Blick auf den See. Wenn Sie und Ihre Gattin mir bitte folgen wollen..."

Damastservietten, matt schimmernde silberne Platzteller, funkelnde Kristallgläser.
Weichzeichnendes Kerzenlicht. Eine exquisite Vase von Gallé, blaßgelbe Orchideen.
Das Ehepaar nimmt kaum Notiz von diesen Selbstverständlichkeiten, der Kellner rückt die Sessel, die beiden setzen dringelinggdringggdringg sich.
"Ja??!!"
"Dürfen wir Ihnen einen Aperitif -?"
"Kann das nicht bis morgen – gut. Gut. – Zwei Whisky, bitte. – Sie sind dann pünktlich um 11 Uhr bei mir, bevor Sie zu Generaldirektor Freese –"
"Für mich keinen Whisky, Hanns-Dieter. Ich nehme einen Orangensaft."
"Häh, was? Bist du krank? – Nein, nicht Sie. Also, Sie wissen Bescheid. Bis – ja genau."
Man serviert den Aperitif, einen Whisky für den Herrn, einen Orangensaft für die Dame. Frischgepreßt, natürlich. Eine kleine Kumquat klebt am Glasrand, die sie achtlos beiseitelegt.
"Prost, mein Scha dringelinggdringggdringg – Ja??!!"
"Zum Wohl, Hanns-Dieter. Schon seltsam, daß wir gerade hier unseren zehnten Hochzeitst –"
"Marlene, nun sei mal einen Moment still, ich muß – Ja, schicken Sie mir das unbedingt heute abend noch per Mail. Unbedingt. Umm-gee-hhend! – was wolltest du sagen, mein Schatz?"
"Also, ich wollte sagen, das ist ja nett, daß wir heute in dem Restaurant essen, in dem wir uns vor zehn Jahren – "
"Warte mal, ich muß mal eben den Meyer-Isingk – Hallo Rolf? Ja, ich hab da eben nen –Anruf – ach, du auch – und du hast schon – na dann isses ja gut – ich? Beim Abendessen mit meiner Frau (senkt die Stimme) wir feiern irgendwas, meine Sekretärin hat mir eben noch das Geschenk – okay muß jetzt Schluß - okay bis dann – Also mein Schatz, wo waren wir?"
"Beim Geschenk."
Ach ja, das Geschenk. Er zieht es aus der Westentasche seines maßgeschneiderten Armanianzuges, wirft verstohlen einen Blick auf das anhängende Kärtchen und überreicht es ihr mit den Worten:
"Alles Liebe zu unserem Hochzeitsdringelinggdringggdringgtag, mein Sch – Ja??!! Was ist denn noch – Kann man denn nicht EINmal – ach ja? Ja, das ist tatsächlich sehr interessant.... also...."
Sie wickelt derweil das Päckchen aus, Goldfolie fällt zu Boden, rote Samtbänder kringeln sich, champagnerfarbenes Seidenpapier raschelt. Zum Vorschein kommt ein iPhone 4S 64 GB Weiß mit 24kt Gold, eine Spezialanfertigung, besetzt mit lauter absolut lupenreinen Steinen in Hochfeinem Weiß+, natürlich mit SIM-Karte versehen und einsatzbereit. Tja seine kleine Bine ist nicht nur im Bett eine Granate hä hä, sondern auch als Sekretärin einsame Spitze, die Frau denkt mit, und was am wichtigsten ist, sie hält für ihn all diese lästigen gefühlsduseligen Termine nach, die den Weibern so wichtig –
"Moment mal, Rolf, bei mir klopft einer an, ich nehm das Gespräch mal eben – Ja??!! Was gibts??"
"Hanns-Dieter, hier ist deine Frau. Was ich dir seit unserem Eintreffen zu sagen versuche: ich will mich scheiden lassen."
Er hebt den Kopf, schaut Marlene endlich an, läßt sein Handy sinken. Sie sitzt da, ihre veilchenblauen Augen mustern ihn, und während sie ihm einen großen braunen Umschlag überreicht, spricht sie weiter in ihr brandneues diamantenbesetztes Smartphone:
"Hier sind die Scheidungspapiere, mein Schatz. Alles Gute zum Hochzeitstag."

***

jetzt kommt die letzte handy-stört-ungemein-story
die ist überhaupt die beste von allen
total witzig und intelligent und spannend dazu
und die wird die ganze angelegenheit hier überhaupt so was von elegant abrunden
und letztlich zu dem absoluten meisterwerk machen
das ich mich immer schon im verdacht hatte schreiben zu können!!!

und ich hab ja glücklicherweise noch reichlich zeichen übrig
also werd ich sie mal unverzüglich füllen
hier kommt sie also die ultimative handy - geschich

drödelingedrödelangelingelangeling drödelingedrödelangelingelangeling drödelingedrödelangelin -

sorry

muß mal eben drangehn
könnt ja wichtig sein
n verlag oder so vielleicht...



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(Zitate aus: Herr der Ringe I, Drehbuch, und Cassandra Clare, City Of Fallen Angels.)

Letzte Aktualisierung: 09.02.2012 - 21.35 Uhr
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