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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012

Ladykracher
von Reiner Pörschke

Es war vollkommen still im Klassenraum. Die Schüler schrieben mehr oder weniger begeistert das Aufsatzthema von der Tafel ab.
Paul saß hinten allein an einem Tisch und ließ den Füller lustlos über das Papier gleiten.
Frau Martin fixierte ihn streng, er starrte zurück. Was sah sie komisch aus mit ihrem Krähengesicht, über das nie ein Lächeln huschte!
Plötzlich fühlte Paul, wie sich aus seinen tiefsten Eingeweiden etwas mit einem dumpfen Lustgefühl seinen Weg nach draußen bahnte. Die Stille wurde jäh durch einen wohligen, aber lauten Ton durchbrochen.
Alle Blicke ruhten schlagartig auf ihm. Das gefiel ihm, sodass er gleich noch einen zweiten Ton hinterher schickte.
„Paul! Benimm dich!“, klang es sogleich streng aus Richtung seiner Lehrerin, während seine Mitschüler ihn bewundernd und dankbar anfeixten, weil er etwas Schwung in den öden Schulalltag brachte.
Die Mädchen dagegen kreischten unisono: „Iiiiiiiiiiiii!“.
„Können wir das Fenster aufmachen, Frau Martin? Der Paul hat einen fahren lassen.“
Die Fenster wurden geöffnet. Paul musste seine Arbeit auf einem Tischchen draußen vor der Klassentür zu Ende schreiben.

In der Pause zollten ihm seine Kumpel noch einmal Beifall.
„Das war ja toll! Könntest du das bei Herrn Schäfer in Mathe nicht auch machen?“

Und so begann Pauls Karriere als Pupser, von den einen geachtet, den anderen zum Ärgernis.
Mit der Zeit perfektionierte er seine Töne und konnte sie melodisch variieren, je nach Stimmungslage und Umgebung.

Die Aktion „Martinshorn“ war zum Beispiel ein voller Erfolg. Mit seinem Freund fuhr er dabei auf dem Fahrrad durch die Fußgängerzone. Dort ließ er das „Tatü-Tata“ per Pupston erschallen. Einige Rentner dachten sofort, der Krankenwagen käme rasend um die Ecke und drehten in die Hauseingänge ab. Natürlich waren sie auch neugierig, welcher der Ihren diesmal zusammengebrochen wäre. Umso größer war dann die Enttäuschung oder gar Entrüstung, wenn gar nichts passierte.

Wenn auf den Partys das „I can’t get no satisfaction“ der Rolling Stones erklang, konnte er das Anfangsriff „Da Da – Da DA DA“ mit seiner Pupserei lautstark, aber harmonisch begleiten. Anerkennende Blicke waren ihm sicher.


***

In der Tanzstunde merkte Paul jedoch erneut, dass dies nicht die Töne waren, die die Mädchen anzogen, er gab seine Künste auf. Er führte Doris vor den Traualtar. Die beiden bekamen zwei Kinder, auch denen wollte er kein schlechtes Vorbild sein. Erwachsen geworden gingen diese bald ihre eigenen Wege, etwas Monotonie machte sich nun in seinem Leben breit.

***

Eines Tages kam er abgespannt aus dem Büro, als seine Frau mit ihren Freundinnen ein Kaffeekränzchen abhielt.
„Kannst’ auch noch eine Tasse Kaffee haben“, stellte seine Frau eher sachlich als einladend fest.
Paul ging darauf ein, trank den Kaffee jedoch nicht allein in der Küche, sondern setzte sich zu den Damen ins Wohnzimmer und lauschte ihren Gesprächen.
Elvira war heute abwesend, eine willkommene Gelegenheit, diese ausführlich zu kritisieren, weil ihr Mann sie verlassen hatte.
„Man muss sich schon etwas anstrengen, wenn man seinem Ehemann gefallen will!“, meinte Hedi mit einem koketten Augenaufschlag in Richtung Paul.
Der musterte diese aufgetakelte, in die Jahre gekommene Fregatte, er musste ihrer Feststellung einfach einen Pupston entgegensetzen. Dieser klang etwas unbeholfen, da Paul aus der Ãœbung gekommen war.
Seine Frau starrte ihn entsetzt an. Die anderen Damen enthielten sich zwar eines „Iiiiiiii“, blickten jedoch peinlich berührt zu Boden, als sei ihnen gerade selbst dieses Malheur passiert.
„Ja, so sind die Männer, immer gerne zu einem derben Spaß bereit!“, wieherte plötzlich Jani los und rettete damit vorerst die Situation.
Vorerst, denn natürlich lamentierte seine Frau lautstark, nachdem der Besuch gegangen war:
„Wie konntest du mich so blamieren! Was sollen meine Freundinnen von mir denken?“
„Wieso von dir? Ich habe doch gepupst.“
„Du bist mein Mann.“
„Eben. Ein eigenständiges Wesen und kein passendes Möbelstück!“
„Ich koche dir keine Hülsenfrüchte mehr!“
„Als ob ich die bräuchte für mein Konzert.“
„Konzert? Du bist doch nicht mehr ganz dicht, weder unten noch oben!“


***

Der Bann war gebrochen und Paul lief bald wieder zur Höchstform auf.
Zunächst kommentierte er damit Fußballergebnisse beim Fernsehen in der Kneipe, schlechte mit einem Ton, gute mit zweien.

Später hatte er wieder die melodischen Töne zur Auswahl.
Seine Kumpel waren begeistert wie eh und je.
„Komm Paul, gib’s den doofen Bayern! Lass es krachen!“
Und Paul startete sein Konzert laut und vernehmlich mit den Toten Hosen: „ Ich würde nie zum FC Bayern gehen...“. Selbst der Wirt konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Ãœberall nannten sie ihn jetzt den Pupspaul, aber besser man hat so einen Namen als gar keinen.

Wenn sie stumm mit der Schwiegermutter um den Kaffeetisch saßen, wählte er den Triumphmarsch aus „Aida“. Die Damen dachten natürlich sofort an die deutsche Version: „Auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht, siegesgewiss klappert ihr Gebiss...“. Die Wirkung war durchschlagend, er konnte sich anschließend ungestört von der langweiligen Gesellschaft zurückziehen.
Allerdings kehrte ihm auch seine Frau eines Tages den Rücken und zog aus.


***

Alt wird man auch allein. Einige Jahre später nahm er sich ein Zimmer in einem Altersheim.
Eine junge, hübsche Krankenschwester fühlte ihm den Puls.
„Na, wie geht es uns heute, Herr Kaleschke?“
Da war er wieder, der Pupston.
„Bestens, wie ich höre!“, kommentierte die Krankenschwester kühl und ging.

Dieses Mal hatte sich der Kracher ohne sein Zutun gelöst.
Paul merkte, dass er nicht den richtigen Ton getroffen hatte.




Reiner Pörschke

4.2.2012

Letzte Aktualisierung: 04.02.2012 - 19.16 Uhr
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