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Schlechte Angewohnheiten | Februar 2012

Womanizer
von Katharina Conrad

„Noch zwei Prosecco, bitte!“
„Gerne. Brauchen Sie auch noch Stühle? Wie viele Gäste erwarten Sie denn noch?“
„Wenn wir das so genau wüssten ...“



Melodische Dreiklänge empfingen ihn. Tonika, Subdominante, Dominante, Tonika.
Eine Hausklingel ganz nach seinem Geschmack, wie gemacht für einen Harmoniefetischisten wie ihn, es klang so – einladend.

Die Dame des Hauses öffnete.
Jahrelange Erfahrung machte es ihm leicht, die Gedanken zu lesen, die sich hinter ihrer nicht mehr ganz faltenfreien Stirn abspielten.
Lächelnd soufflierte er im Geiste: Wer kann denn das um diese Uhrzeit … jetzt passt es mir gar nicht … oha, der ist aber attraktiv … Verdammt, und ich seh aus wie …
Sein Lächeln wurde siegesgewiss, als die Mittvierzigerin sich zeitlich passend über Haar und Bluse strich.
„Wunderschönen guten Tag, junge Frau!“, schnurrte er und griff mit seiner rechten Hand nach der ihren, während er mit der linken einen halben Liter frischen Straßenstaub in den klinisch sauberen Hausflur katapultierte.
„Hoppla, Entschuldigung. Wenn Sie gestatten, mach ich's sofort wieder gut!“
Er zückte seinen startbereiten Dust-Inhale, Handversion, und marschierte an der entgeisterten Frau vorbei, die noch immer versuchte, seine südseeblauen Augen mit der sibirischen Unverfrorenheit in Einklang zu bringen, mit welcher er sich soeben Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte.

Wenig später, als man bereits auf dem Sofa im Wohnzimmer saß und Likörpralinen naschte – die man im Übrigen auch vom wieder klinisch sauberen Hausflurboden hätte essen können –, war man schon beim Du angelangt und unterhielt sich über die Vor- und Nachteile von Filtertüten; zunächst hinsichtlich der legendären Saugstärke des Dust-Inhale, dann im Hinblick auf die Qualität von frischgebrühtem Kaffee, und schließlich – aber hier streiften sie das Thema nur noch am Rande und begaben sich anschließend sofort in medias res – in Bezug auf ihre empfängnisverhindernde Wirkung.

„Nächsten Dienstag wäre ich wieder in der Gegend ...“
„Wenn du ohne Dreck kommst, darfst du vorbeischauen“, antwortete sie und wollte wissen – obwohl sie's eigentlich gar nicht wissen wollte –: „Sag mal, was sagt denn deine Frau dazu?“
„Meine Frau? Meine … ich bin doch nicht verheiratet. Mich will keine. Bin viel zu viel unterwegs ...“
„Also dann Dienstag …“

Dabei war er ein echter Familienmensch, und weiß Gott, er hatte eine große Familie. Mitunter war es schwierig, jedem einzelnen Familienmitglied genügend Zeit zu widmen, keinen merken zu lassen, dass er nur einer von vielen war – eine große Verantwortung, die genaueste Planung erforderte. Oft wünschte er sich, die Woche hätte mehr als sieben Tage …
Aber man konnte nicht alles haben.

Normalerweise liebte er den ersten Tag in einem neuen Gebiet.
Neue Kundschaft, neues Glück.
Aber irgendwie lief es heute unrund, irgendwie stotterte der Motor. Der Tag hatte schon mies begonnen, mit einer SMS von Lisa, die ihm mitteilte, dass er mittwochs nicht zu kommen brauchte, sie hätte etwas anderes vor.
Dann schrieb ihm Melanie, sie hätte sich mit ihrem Ex versöhnt und für seine Dienste keinen Bedarf mehr. Bedarf! Für seine Dienste! Wofür zum Henker hielt die sich?
Die erste richtige Hiobsbotschaft erreichte ihn kurz vor der Mittagspause, einmal mehr per SMS. Daniela glaubte nicht mehr, dass sich ihre vermisste Periode noch einstellen würde, und verlangte nach seinem Beistand.
Das war der Zeitpunkt, an dem er seine Krawatte lockerte und den obersten Hemdknopf öffnete.

Gegen drei rief ihn Mirja an, um ihn wissen zu lassen, sie habe sich von ihrem Mann getrennt und wäre nun frei für ihn. Er solle sie, bitte pünktlich, samt Gepäck um fünf am Bahnhof abholen.

Ãœber sein iPhone buchte er ein Lastminute-Ticket nach Sri Lanka.
Bevor er die Buchung abschließen konnte, klingelte das Telefon erneut.
Er versuchte, es zu ignorieren, aber es war Steffi, seine Freundin. Die offizielle.
Mit der er die Wochenenden verbrachte. Die seine Wäsche wusch und seine Hemden bügelte.
Die Verbindung war miserabel.
„Hallo Schatz … Chwarbeimarst...“
„Wie bitte? Steffi, ich verstehe dich kaum, und außerdem ...“
„Ich! War! Beim! Arzt! Hassumichvrstndn...“
„Arzt, ja, Süße. Kann das nicht bis morgen warten? Hab grad Stress im Büro ...“
„ …Flüssiggas … testnlassn ...“
„Och nee, Schatz, wieso denn Flüssiggas, ich hab jetzt echt keinen Kopf für 'ne neue Heizung. Lass uns das ...“
„Nicht! Flüssiggas! Syphilis!“
Steffi sagte noch mehr, aber sein Nerv zwischen Innenohr und Gehirn verweigerte den Dienst, transportierte keine Botschaften mehr. Er spürte, wie sich jede einzelne Zelle in seinem Schädel auflöste, sein Verstand sich komplett in zähen Babybrei verwandelte.

„Hallo! Wir sitzen hier hinten! Du musst Steffi sein. Das sind Lisa, Melanie, Daniela, und mein Name ist Mirja. Für dich auch einen Prosecco?“


©K.Conrad 2012, V2

Letzte Aktualisierung: 24.02.2012 - 21.09 Uhr
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