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Aberglaube | März 2012

Etwas Blaues, etwas Altes
von Anne Zeisig

Der Frauenclan hatte sich in der guten Stube des Hauses zum KaffeekrĂ€nzchen getroffen, um die Hochzeit der JĂŒngsten zu planen.
Die Ă€ltlichen Tanten, Basen und GroßmĂŒtter prosten sich abermals mit einem GlĂ€schen Eierlikör zu und ihr schrilles Lachen lĂ€sst erahnen, dass sie bereits viel davon getrunken haben.
Allen voran Walpurga, die Großmutter mĂŒtterlicherseits.
“Meine Enkelin muss unbedingt Reiskörner in ihrem BrauttĂ€schchen haben, damit sie wĂ€hrend ihrer Ehe mit diesem Nichtsnutz nicht verhungert!”
Die Brautmutter nimmt ihr das Glas aus der Hand. “Mutter! Du hast genug getrunken. Hungern mĂŒssen die jungen Leute nicht, weil Ferdinand unseren Schwiegersohn in der Schreinerei einstellen wird.”
Walpurga verschluckt sich und bekommt einen Hustenanfall. Ihr großer Busen wippt dabei derart auf und ab, dass er beinahe aus ihrem Ausschnitt herausfĂ€llt. Sie schließt vorsorglich den oberen Knopf ihrer Strickweste. “Welche TĂ€tigkeit soll er denn ausĂŒben? HolzwĂŒrmer zĂ€hlen?”
“Wer muss Reiskörner zĂ€hlen?”, fragt Tante Alwine ĂŒberlaut, weil sie ihr HörgerĂ€t wieder nicht trĂ€gt.
“Meine Enkelin muss Reiskörner in ihrer Tasche haben! Das verspricht Wohlstand!”, erklĂ€rt Walpurga ihr laut und zĂŒndet sich ein Zigarillo an.
Die Tante winkt ab. “Pah! Reiskörner! Ich habe seinerzeit am Hochzeitstag das Armband meiner Mutter getragen. Ein ErbstĂŒck. Die Kleine muss was Altes tragen!”
Walpurga wedelt mit einem Spitzentaschentuch den Zigarillorauch beiseite. “Was Altes hat sie doch. Immerhin ist ihr Verlobter gute zwölf Jahre Ă€lter.” Sie hustet abermals.
“Mutter! Ich bitte dich! Vater war sogar fĂŒnfzehn Jahre Ă€lter als du.”
Die Alte nickt und blĂ€st Qualmringe in die Luft. “Genau. Also weiß ich, wovon ich rede.”
Die Base Adelheid kleckert sich Eierlikör auf ihr HĂ€keljĂ€ckchen, als sie am Glas nippt. “Wo die Liebe hinfĂ€llt, da fĂ€llt sie hin. Da wirst du nicht nach dem Alter gefragt und ob es dir gefĂ€llt oder nicht.”
“Wer ist hingefallen?”, kreischt Alwine.
Oma Walpurga hĂ€lt sich die Ohren zu. “Wenn man schwerhörig und senil ist, sollte man lieber Zuhause bleiben!“
“Aber Mutter!”
Die Tante tĂ€tschelt der Braumutter den Oberarm und flĂŒstert. “Lass gut sein. Deine Mutter trinkt zuviel.” Dann wendet sie sich Alwine zu. “Und du legst endlich dein HörgerĂ€t ein!” Sie bedient sich ausladender Gestik.
Die Großmutter greift zum Glas und gießt sich einen weiteren Likör ein. Sie erhebt es theatralisch und stimmt einen Trinkspruch an: “Zur Mitte! Zur Titte! Zum S... “
“MUTTER!!!”

Die Brautmutter guckt auf ihre Armbanduhr. Wo Sandra nur bleibt?
Tante Alwine unterbricht die kurze Stille und erzÀhlt, dass ihr ein rotes Negligé seinerzeit Pech gebracht hat, weil deshalb ihren Angetrauten in der Hochzeitsnacht der Schlag getroffen habe.






Walpurga unterdrĂŒckt ein Lachen. “Du hĂ€ttest mit RĂŒcksicht auf deinen BrĂ€utigam einfach nur das Licht ausmachen mĂŒssen.”
Die Tante wendet sich brĂŒskiert ab. “Vielleicht war aber auch der Leichenwagen ein schlechtes Omen, der unseren Weg zur Kirche gekreuzt hat.”
“Ein rotes Nachthemd!”, tönt Alwine ĂŒberlaut. “Das ist obszön! Da muss einen seriösen Ehemann ja der Schlag treffen! Glaube mir! Das Nachthemd war ‘s und nicht der Leichenwagen.”

Walpurga öffnet den Knopf an ihrem Ausschnitt wieder und drĂŒckt ihre Kippe im Ascher aus. “Die Mannsbilder wollen was Schwarzes sehen! Wie neulich in der FußgĂ€ngerzone bei ‘Mieder MĂŒller’. Ausschließlich schwarze UnterwĂ€sche in der Auslage und zig MĂ€nner davor. Haben sich ihre Nasen an der Scheibe plattgedrĂŒckt und der Sabber ist ihnen literweise aus dem Maul gelaufen”, ereifert sich die Großmutter und ihre Wangen röten sich.
Die Braumutter wiegt ihren Kopf abwĂ€gend leicht hin und her und meint, dass Sandra gerne schwarze Shirts tragen wĂŒrde. Aber schwarze UnterwĂ€sche?
Base Adelheid schlĂ€gt vor, dass die junge Braut unbedingt ein blaues Strumpfband tragen mĂŒsse und schiebt sich das dritte StĂŒck SchwarzwĂ€lder-Kirschtorte zwischen die schmalen blassblĂ€ulichen Lippen.
Nun meldet sich die Großmutter vĂ€terlicherseits zu Wort. “A blaus Strumpfbanderl solls tragen? Jessas! WofĂŒr soll dös alleweil guat sein?”
Sie verschluckt sich am Guglhupf.
Die Brautmutter klopft der Oma mehrmals auf den RĂŒcken. “Adelheid, die jungen Leute sind nicht aberglĂ€ubisch. Ich glaube nicht, dass Sandra ein Stumpfband tragen möchte.”
Tante Alwine nestelt ihr HörgerÀt aus ihrem Brokat-TÀschchen hervor und steckt es in ihr Ohr.
“Jetzt fĂ€llt es mir wieder ein! Wenn die Braut gelbe Blumen trĂ€gt, scheint ihr im Ehe-Alltag stets die Sonne!”
“Gölb? Gölb in der Kirchn beim ‘Ave Maria’? Jo mei. Dem Herrgott ist ‘s egal, wie d’ SchĂ€fchen vor ihn hinna tretn.”
Die Brautmutter gießt Kaffee nach und schwĂ€rmt. “Ich sehe meine Sandra in einem weißen Spitzenkleid mit Schleppe in der Kirche vor dem Altar. Und dazu das Ave-Maria von der Orgel. Wie romantisch.” Sie wischt sich eine FreudentrĂ€ne von der Wange.
Großmutter Walpurga bietet ihren weißen Spitzenunterrock an, damit ihre Enkelin auch etwas Geliehenes tragen wĂŒrde.
Alwine kichert. “Den musst du aber zur Schneiderin bringen. Sandra hat nicht so einen dicken Hintern wie du auf deinem Hochzeitsbild.”
Walpurga schleckt mit ihrer Zunge den Rest Likör aus ihrem Glas. “Das war nicht mein GesĂ€ĂŸ! Ich war im vierten Monat!”
“Warum redest du so laut?” Tante Alwine hĂ€lt sich die Ohren zu.
“Weil du dein Hördingsbums nie drin hast!”
“Hab ‘s mir gerade reingetan.”
“Wo ‘s BrĂ€utle nur bleibt? Ist scho Dreiviertel Sechse.”
In dem Moment geht die TĂŒr auf und eine junge Frau in Jeans und Shirt, auf dem ein Totenkopf prangt, betritt die Stube.
Die zukĂŒnftige Braut setzt sich, nimmt ihren Kaugummi aus dem Mund und legt ihn auf einen Teller.
“Du bist spĂ€t dran”, mahnt die Brautmutter und beschließt, dass man sich nun endlich der Sitzordnung widmen könne.
“Aber Mama! Kein Mensch braucht ‘ne Sitzordnung!”
“Kind! Eine Hochzeit muss geplant werden. Dazu gehört auch, wer neben wem sitzt.”

“Dös war frĂŒher so, dös hat sich alleweil nicht geĂ€ndert, Madel, sonst bringst a UnglĂŒck hervor.”
Die junge Frau fĂ€hrt sich mit den HĂ€nden durchs pechschwarze Haar. “Quatsch. Was denn fĂŒr ‘n UnglĂŒck? Colin und ich haben bereits alles geregelt. Ist schließlich unsere Hochzeit.”
Tante Alwine beißt in ein StĂŒck Guglhupf und mampft. “Has-st du auch ‘n blaues Schrumpf-Schrumpfband?” Sie verschluckt sich und prustet die KrĂŒmel auf den Teller mit dem Kaugummi. “‘schuldi-Ă€h-digung.”
Sandra lĂ€chelt sie an. “Ist eh ausgekaut.”
“Was Al-altes mus-hust-musst du auch noch haben.” Sie stĂ¶ĂŸt ihre Nichte kumpelhaft in die Seite.
“Aber sie hat doch schon was Altes.” FlĂŒstert die Base und wispert kichernd. “Ihren Verlobten.”
Sandra blickt von einer zur anderen. “Was muss ich haben? Wovon redet ihr.”
“Habe gerade gesagt, dass du meinen alten Spitzenunterrock unter deinem Hochzeitskleid tragen darfst. Du musst was Altes anhaben, damit du das AltbewĂ€hrte, die Tradition nicht vergisst.”
“Das Alte ist dann auch gleichzeitig das Geliehene. Wie praktisch!” Die Base klatscht in die HĂ€nde.
Sandra steckt sich einen frischen Kaugummi in den Mund. “Was ‘n fĂŒr ‘ne Tradition?”
“Dös ‘Ave-Maria’ in der Kirchn! Dös is alleweil Tradition.”
“Habt ihr auch an einen gelben Brautstrauß gedacht? Damit der Humor im Alltag Einzug hĂ€lt.”
Sandras Blick wandert abermals aus ihren schwarz geschminkten Augen verwirrt in die Runde. “Ich mag gelbe Blumen nicht!”
“Hört endlich auf!” Die Brautmutter umarmt ihre Tochter. “Lass dich nicht verrĂŒckt machen. Wir werden fĂŒr dich ein sĂŒĂŸes weißes Kleidchen kaufen und der Rest ergibt sich.”
Die junge Frau befreit sich aus den mĂŒtterlichen Armen.

“Warum bin ich wohl so spĂ€t heimgekommen? Habe mir heute ein ultrageiles schwarzes Korsagenkleid gekauft und dazu ziehe ich ‘ne Netzstrumpfhose an, die passt cool zu den Lackstiefeletten. Und der Colin trĂ€gt seinen schwarzen Ledermantel zur Lederhose mit Nieten. Das ist total angesagt. Ein Kollege stellt uns einen ausrangierten Leichenwagen zur VerfĂŒgung, mit dem fahren wir zum ‘Dark-Kult-Keller’. Dort hĂ€lt der Standesbeamte die Zeremonie ab. Findet ihr nicht auch, dass das total abgefahren ist? Und weil wir den Trautermin auf Freitag, den Dreizehnten verschoben haben, zahlen wir sogar nur die HĂ€lfte der GebĂŒhr!”

Großmutter Walpurga und die Brautmutter sitzen mit versteinerten Minen in ihren Sesseln. Sie scheinen ins Leere zu blicken.
Adelheids Teint macht dem Weiß des Kaffeegeschirrs Konkurrenz und die Tante flĂŒstert monoton, dass es manchmal doch besser sei, das HörgerĂ€t nicht zu tragen.
“Da staunt ihr! Und an Blumen haben wir selbstverstĂ€ndlich auch gedacht. Der Leichenwagen wird mit schwarzen Rosen geschmĂŒckt.”
“Jessas Maria und Joseph!” Es folgen drei Kreuzzeichen, bevor die Oma im Sessel nach hinten sackt.

* * *

Der von Sandra eiligst herbeigerufene Brautvater betritt die gute Stube.
“Auf einmal sind alle nacheinander ohnmĂ€chtig geworden!”

Der Herr des Hauses gibt zunĂ€chst seiner Frau mehrere leichte SchlĂ€ge auf ihre Wangen und zĂ€hlt danach sechs leere Flaschen Eierlikör auf dem Stubentisch. “Das bringt UnglĂŒck!”
“Was bringt UnglĂŒck?”
“Wenn sich die Brautmutter vor der Hochzeit besinnungslos betrinkt, da wartet sie vergebens auf ein Enkelkind!”, rezitiert Vater Ferdinand.
Sandra drĂŒckt ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. “Dann ist es ja obergeil, dass du Brautvater und nĂŒchtern bist, denn in sechs Monaten wirste Oppa.”
Ferdinand wirbelt seine Tochter durch die gute Stube. “Ich werde fĂŒr meinen Enkel die alte Familienwiege aufmöbeln!”
“Aber du musst sie schwarz lackieren.”
“Schwarz?”
“Bitte, Paps. Das ist total in.”
“Schwarz? Das ist die Farbe der Trauer und bringt womöglich UnglĂŒck.”
“Quatsch! Das sieht einfach nur stylisch aus.”
Sie drĂŒckt ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.
“Krass”, murmelt Ferdinand, “ich werde Opa.”


©Anne Zeisig, Version 3

Letzte Aktualisierung: 20.03.2012 - 19.50 Uhr
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