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Aberglaube | März 2012

Sylvester, der Kater
von Helga Rougui

Für E.

Meine Dosenöffnerin (danke Akif) hat einen seltsamen Humor. Sylvester hat sie mich genannt, nach dem Kater Sylvester, den sie als Kind immer gern geguckt hatte im Fernsehen. Immer rannte er hinter dem Küken her, versuchte es zwischen Toastscheiben zu pressen oder in Aufläufen zu verarbeiten – und immer entkam ihm das schlaue Ding und blieb Sieger. Deprimierend.
Mein Namensheiliger kann Sylvester nicht sein, denn geboren bin ich an einem Freitag im März vor ein paar Jahren. Am 12. März abends bekam meine Mama, die seit Anfang Januar fetter und fetter geworden war, heftige Bauchschmerzen, und um ein Uhr und dreizehn Minuten mitten in der Nacht waren wir alle endlich in kleineren oder größeren Abständen nacheinander aus ihr herausgeplumpst, hatten unsere Plätzchen an ihren Zitzen gefunden und begannen zu saugen, zu schlafen, zu saugen...
Meine Brüder waren cremefarben und weiß, zwei Schwestern waren grau.
Und ich?
Ich bin pechschwarz von der Nasen- bis zur Schwanzspitze.
Nur ein kleiner weißer Tupfer oberhalb des linken Auges erinnert daran, daß meine Mama einst als Schneeweiße Schönheit von Schöneberg auf allen Dächern ihres Berliner Kiezes gefeiert worden war.
Wir sind dann alsbald umgezogen, das heißt natürlich unsere Katzenkloreiniger. Eine gemütliche Hochparterrewohnung in Oberschöneweide wurde jetzt unser Zuhause, es gibt schwere hölzerne Schiebetüren, hohe Wände und Stuck an den Decken sowie zwei Balkone, die mir im Sommer abwechselnd zum Sonnen dienen.
Ich hatte die ganze Wohnung für mich, denn – ich weiß nicht, wie es kam – unsere Familie wurde von Tag zu Tag kleiner. Unmerklich verschwand mal hier ein Brüderchen, da ein Schwesterchen, eines Tages war Mama weg und dann auch der große, muskulöse Dosenöffner - der, der nachts immer so laute Geräusche mit seiner Nase machte und die letzten Monate vor seinem gänzlichen Verschwinden fast nie mehr zu Hause war.
In dieser Zeit glich mein Frauchen nicht wirklich sich selbst, sie hatte dauernd rote Augen und kleine Ballen zerknüllter Taschentücher in den Fäusten und war kalkweiß im Gesicht – ich hatte schon Angst, sie wäre zu einer Ratte geworden. Wir Katzen mögen die Ratten nicht, weil sie daran schuld sind, daß Buddha uns kein Tierkreiszeichen gab – verräterische Brut. Daher vernichten wir sie, wo wir können, und sie schmecken auch recht gut – aber ich hatte gar keine Lust, mein Frauchen zu jagen und zu fressen. Außerdem war ich sowieso ein bißchen ab von dieser Tierhetzerei – letztlich ist das eine einzige große Sauerei und Matscherei und man muß sich nachher stundenlang das Fell an den Pfoten putzen. Da lobe ich mir das duftende Blöckchen feinstgeraspelten Fleisches, das mir mehrmals amTag auf einem Porzellantellerchen serviert wird. Und immer steckt ein kleiner grüner Stengel darin, den ich natürlich regelmäßig liegenlasse – wer mag denn stachelige Minibäumchen essen? Aber es scheint so eine Art Ritual zu sein, das vielleicht Glück bringt oder die bösen Geister vertreibt – nun gut, wenn es Galia wichtig ist, mir kann es nicht schaden, und ich stupse es jedesmal ehrfurchtsvoll mit der Nase an, damit sie merkt, daß ich es wahrnehme und respektiere.

Eines Tages also waren nur noch wir beide übrig.
Galia – ich erwähnte den Namen, und so heißt mein Frauchen - drückte mich an sich, und bevor ich anfangen konnte mich loszustrampeln, entließ sie mich auf den Teppich und sagte:
"Na, Sylvester, wir packen das zu zweit, was meinst du?"
Ich meinte erst mal nichts, denn ich hatte schon wieder Hunger und warf ihr auffordernde Blicke in Richtung Küche zu.
Galia schaute, ich schaute, sie seufzte.
"Ja, du hast recht, mein Kleiner, allein sein ist langweilig und gar nicht schön", sagte sie, setzte sich ihre Mütze auf, zog ihren Mantel an, ergriff ihre Handtasche und lief aus dem Haus.
Hatte sie doch glatt vergessen, mir eine Dose zu öffnen vor dem Weggehen! Und wo wollte sie überhaupt so schnell hin?
Ich rollte mich mitten auf dem Eßtisch zusammen und machte erst mal ein Nickerchen.

Stunden später hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde.
Ich stellte meine Ohren hoch, meine Schnurrbarthaare zitterten.
Etwas raschelte, quiekte, miaute, grunzte, gähnte, fauchte. Streckte sich.
Inzwischen war mein Hunger so groß, daß ich sehr wohl auch Jagd auf eine dicke fette Maus gemacht hätte, wenn denn eine in der Nähe gewesen wäre.
Ich lauerte, ein dunkler Schemen erschien in der halboffenen Schiebetür, ich drückte mich aus dem Stand ab, und erst mitten im Sprung sah ich, daß es sich um eine kleine, ebenfalls rabenschwarze Katze handelte, die sich, als sie mich heranfliegen sah, blitzschnell zur Seite duckte, so daß ich mit einem dumpfen Laut und einem Kieksen in der Kehle auf allen vier Pfoten direkt neben ihr zur Landung kam.
Ich drehte den Kopf.
Niedlich. Wirklich niedlich.
"So, da schau mal, Sylvester, das ist unsere neue Mitbewohnerin, die kleine Tweety, die wird dir ab jetzt Gesellschaft leisten, damit du dich tagsüber nicht so langweilst, wenn ich nicht da bin."
Ja, und die mir mein Essen wegfrißt, dachte ich grimmig, also meinetwegen hätte das echt nicht sein müssen.
Da schaute mich Tweety aus klaren bergseegrünen Augen an – und ich verlor mich in ihrem Blick und ertrank in den beiden Bergseen und hatte plötzlich überhaupt keinen Hunger mehr.

Viele Jahre später, als Galia wieder einen neuen, besseren, netten Dosenöffner gefunden hatte, bei dem sie nie mehr rote Augen haben mußte, und als Tweety und ich schon längst vielfache Eltern waren – jeder Wurf ein wohlgeratener und wie die Mutter so schön und wunderbar -, und als unsere Kinder bereits wiederum reichlich Nachwuchs in die Welt gesetzt hatten, erst viele Jahre später erfuhr ich, daß meine vielgeliebte mir Anvertraute auch an einem Freitag, dem 13., geboren war und auch im März, nur zwei Jahre später als ich.

Ich bin nicht abergläubisch.

Aber –

- zwei pechschwarze Katzen, beide an einem Freitag, dem 13., geboren – welch besseres Unterpfand könnte es geben als dies für ein vollkommenes Glück!

Letzte Aktualisierung: 10.03.2012 - 16.32 Uhr
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