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Aberglaube | März 2012

Omis SprĂĽche
von Monika Heil

Mittwoch morgen. Meike stand frustriert im Bad vor ihrem Spiegel und nuschelte vor sich hin: „Das ist heute nicht mein Tag.“ Und sie hatte Recht, das war ganz und gar nicht ihr Tag. Meike war mit dem falschen Fuß aufgestanden. Wie hatte ihre Omi immer gesagt?
„Mit links, gelingt´s – mit rechts, nur Schlecht´s.“ Omi hatte leider meist Recht mit ihren Sprüchen. Auch wenn sie es nie zugegeben hätte, Meike hatte Omis Hang zum Aberglauben geerbt.
Am besten, ich leg mich wieder hin, dachte sie. Rufe in der Firma an und melde mich krank. Nee, Mist, das geht nicht. Um elf ist die Besprechung mit den Briten. Da kann ich nicht fehlen. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr – viertel vor acht. Viel zu spät. Der Kaffee war gerade durchgelaufen, die Brühe viel zu heiß und Meikes Hand zu zitterig. Na bravo! Ein Fleck auf der weißen Bluse. Die zweite nicht gebügelt. Hätte ich doch gestern Abend noch ... „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Ja, Omi, ich weiß. Was nun? Die rote passt auch zum schwarzen Hosenanzug. Meike wieselte zurück ins Schlafzimmer. Kurz darauf hetzte sie zum Bus. Sie sah gerade noch dessen Rücklichter. Nein, wirklich, das war nicht ihr Tag.

Dank einer Taxe kam sie noch rechtzeitig ins Büro. Sie fuhr den Computer hoch, druckte ein paar Seiten aus - Stichworte für ihre Präsentation - und lief schnell noch einmal zur Toilette. Immer, wenn sie aufgeregt war, meldete sich ihre Konfirmandenblase, wie Omi das nannte. Kaum hatte sie die Kabinentür geschlossen, ging die Tür zum Vorraum auf. Meike erkannte die Stimmen sofort. Ute Bach, die Schreibkraft aus dem Vorzimmer von Dr. Müller und Edda Becker aus der Buchhaltung.
„Fräulein Sprücheklopfer glaubt doch wirklich, wenn sie heute morgen ihre Sache gut macht, hat sie die Beförderung in der Tasche. Denkste. Dr. Müller hat mir gestern gesteckt, wer Abteilungsleiter wird, wenn er in Pension geht. Meike hat keine Chance, sag ich dir.“
„Wer dann?“
„Darf ich noch nicht sagen. Du wirst staunen. Meike jedenfalls ist es definitiv nicht.“
„Geschieht ihr Recht. Die kann vor lauter Aberglaube doch die Realitäten des Lebens nicht mehr erkennen. Gestern erst hat sie mir ihre Halskette mit einem kleinen silbernen Bären gezeigt. Ihr Talisman, der bringt ihr Glück, hat sie gefaselt. Weißt du eigentlich, dass Dr. Müller sie ...“ Die Kolleginnen verstummten, als die Wasserspülung rauschte. Als hätte sie nichts gehört, ging Meike zum Waschbecken, nickte den Kolleginnen kurz zu, dann verließ sie schnell den Raum. Innerlich schäumte sie vor Wut.
„Der Horcher an der Wand“, vernahm sie noch, bevor die Tür zufiel.
„Euch soll doch der Teufel holen“, fauchte sie, legte dabei aber schnell Zeige- und Mittelfinger der linken Hand übereinander und versteckte sie hinter ihrem Rücken. Mit der rechten nestelte sie an ihrem Bärenanhänger. Den hatte sie von Florian. Florian hatte sie nicht mehr. Der war jetzt ihr Ex. Aber deshalb schmeißt man doch keinen Glücksbringer fort.

Die Präsentation verlief gut. Die Geschäftspartner aus London schienen von ihren Ausführungen angetan. Auch ihr Abteilungsleiter, Dr. Müller, war voll des Lobes. Nur gut, dass sie heute morgen nicht wieder ins Bett gegangen war.
In der Mittagspause ging Meike in den Park. Die ersten Sonnenstrahlen lockten. Was für ein Tag! Sie schloss die Augen, öffnete sie schnell wieder, als eine fröhliche Stimme sagte:
„Grüß Gott, junge Frau. Schönes Wetter heute, gell?“
„Hallo Herr Mewes, wirklich, ein schöner Tag.“ Der Schornsteinfeger ihres Stadtbezirkes. Noch ein Glücksbringer. Meike grinste und rechnete Positives gegen Negatives auf. Zwei zu eins. Froh gelaunt schlenderte sie in die Firma zurück. Der Nachmittag verging ohne besondere Vorkommnisse. Dr. Müller hielt den Briten einen Vortrag über die hundertjährige Geschichte der Firma. Sie hörten aufmerksam zu. Meike nicht. Und Omi schwieg ausnahmsweise mal.

Am Abend war ein Geschäftsessen im ersten Hotel am Platze angesagt. Drei Herren vom Vorstand, die sieben Engländer, Dr. Müller als Projektleiter und sie, Meike Allershausen als seine Assistentin. Warum Paul Neumann, der Software-Entwickler, auch eingeladen war, konnte sie sich nicht erklären, fand es aber gut. Der sah toll aus und war altersmäßig genau ihre Kragenweite. „Man soll das Eisen schmieden, solange es ...“ „Omi!“

Nach Dienstschluss ging Meike erst zum Friseur, dann in den neuen Dessous-Laden und schließlich noch in die Parfümerie. Anschließend nach Hause, duschen, umziehen, schminken. Die schwarze Katze kam zwischen zwei parkenden Autos hervorgeschossen. Meike hatte keine Chance. Sie konnte ihr nicht ausweichen. Mist, Mist, Mist, fluchte sie unhörbar. Aufgeregt nestelte sie an ihrem Kettenanhänger.

Sie redete sich ein, der Zahnputzbecher sei ihr aus Versehen aus der Hand gerutscht. „Scherben bringen Glück“, erklärte sie ihrem Spiegelbild. „Das war Vorsatz. Das zählt nicht“, grummelte eine Stimme in ihrem Kopf. „Ach, Omi. Das war aus Versehen, das zählt.“ Die Stimme schwieg.

Meike kam pünktlich im Restaurant an. Alle anderen waren noch pünktlicher gewesen. Sie schaute sich um und wurde ganz blass vor Schreck – sie war die Dreizehnte in der Runde! Das darf doch nicht wahr sein! „Zähl noch mal, Kind“, raunte eine Stimme tief in ihrem Inneren. Sie zählte. Genau. Da standen nur zwölf Personen und sie selbst.

Das Essen verlief ohne Probleme. Im Gegenteil. Sie unterhielt sich angeregt mit allen Anwesenden, besonders mit Paul Neumann. „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Die Briten waren charmant, die Stimmung ausgelassen. Es wurde spät. Sehr spät. Zwei Stunden nach Mitternacht löste sich die Runde endlich auf.
„Ich habe versprochen, die Engländer ins Hotel zu fahren, hätte da aber noch etwas mit Ihnen zu besprechen. Darf ich Sie morgen Abend zum Essen einladen?“ Meike strahlte.
„Super, gern. Wo wollen wir hin?“
„Wieder hier her? Ist um acht recht?“
„Okay, morgen um acht.“ Paul Neumann sammelte die Briten ein und Meike rief ein Taxi.
***

Donnerstag. Meike nahm ihren Gleittag. Überstunden abbauen. Sie schlief lange, träumte von einer Fete, bei der Dr. Müller verabschiedet und sie als seine Nachfolgerin benannt wurde. Neben ihr stand ein Mann, der liebevoll seinen Arm um sie gelegt hatte und sie fest an sich drückte. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, wusste aber auch so, wer er war. „Paul“, flüsterte sie leise und die Schmetterlinge, die mit Florian verschwunden waren, kehrten zurück. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, summte Meike vor sich hin. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, hielt Omi dagegen.

Sie war pĂĽnktlich. Paul nicht. Meike bestellte ein Glas Rotwein und hielt sich an der Speisekarte fest. Warum nur hatten sie ihre Handynummern nicht ausgetauscht? Nach einer Stunde ging sie, wĂĽtend, traurig, beschwipst.

Freitag. Noch immer schlecht gelaunt, kam Meike ins Büro. Als erstes las sie die E-mails. Dr. Müller bat sie um zehn zu einem Gespräch. Von Paul nichts. Sollte sie ihn anrufen? „Untersteh dich“, begann Omi einen Gedankendialog. „Ist ja schon gut.“

PĂĽnktlich erschien sie in Dr. MĂĽllers Vorzimmer. Ute Bach schaute kaum von ihrem Schreibtisch auf.
„Sie werden erwartet.“ Ihr Chef und Paul Neumann erhoben sich, als Meike eintrat. Na, das war ja eine Überraschung. Sie ignorierte ihren Vorgesetzten und blaffte Paul mit einem ironischem Ton in der Stimme an:
„Danke für den schönen Abend gestern!“
„Wieso gestern? Da musste ich meine Frau vom Flughafen abholen. Wir sind doch erst heute verabredet.“ Indigniert zog Paul die Augenbrauen hoch.
„Ach ja? Am Mittwoch Abend haben Sie gesagt, wir gehen morgen essen. Und? Nach meiner Zeitrechnung ist das Donnerstag.“
„So weit ich mich erinnere, war es zwei Uhr morgens, also Donnerstag früh, als ich Sie für den nächsten Tag einlud. Präzise bleiben, bitte.“ Jetzt lächelte er spöttisch. Meike blieb fast die Luft weg.
„Was ist das denn für eine Korinthenkackerei?“
„Frau Allershausen, ich darf doch bitten! Wie reden Sie denn mit Ihrem zukünftigen Chef?“ Dr. Müller schüttelte missbilligend den Kopf.
„Wie bitte?“
„Ja, deshalb habe ich Sie heute morgen hier her gebeten, um Ihnen das zu sagen.“
„Und deshalb wollte ich Sie auch heute Abend allein und in neutraler Umgebung treffen, um unsere zukünftige Zusammenarbeit bei einem netten Essen zu besprechen.“
Meike wurde erst blass, dann rot und rannte aus dem Zimmer. Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Sie bemerkte, wie Ute Bach zusammenzuckte und ihren Blick an Meike vorbei zur Wand lenkte. Meikes Augen folgten und blieben an dem großen Wandkalender hängen. Freitag der 13. Na klasse. Alles klar.
„Tja, dumm gelaufen“, murmelte die Kollegin und lächelte maliziös. Meike spürte Tränen aufsteigen. Nein, die Genugtuung würde sie der anderen nicht lassen. Wortlos stakste sie zur Ausgangstür. Sie hatte die Klinke schon in der Hand, als Frau Bachs Stimme sie zurück holte.
„Übrigens, hier ist Post für Sie. Mr. Brown, der Delegationsleiter der Briten, hatte Sie gestern sprechen wollen. Da Sie Ihren freien Tag hatten, kam er kurz vor der Abfahrt zum Flughafen vorbei und brachte das für Sie.“ Frau Bach holte einen weißen Umschlag aus dem Schreibtischfach und übergab ihn der Kollegin.
„Danke.“ Weg war sie. Auf dem Korridor riss Meike den Brief auf und las. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung. Sie rannte zurück ins Vorzimmer und bekam gerade noch mit, wie Frau Bach am Telefon sagte: „Ich ruf dich wieder an“, und den Hörer auflegte. Meike konnte sich vorstellen, mit wem sie eben gesprochen hatte. Sie strahlte trotzdem.
„Wissen Sie, was das ist, Frau Bach?“, sprudelte sie los. „Mr. Brown bietet mit einen Job in seiner Firma an. In London, Frau Bach!“
„Wie schön für Sie“, säuselte die Angesprochene.
„Meine Omi würde jetzt sagen: `Wer zuletzt lacht, lacht am besten.` Und sie hat Recht. Und deshalb, Frau Bach, gehe ich jetzt da wieder hinein“, sie zeigte auf die Tür zum Chefzimmer „und beantrage erst mal Urlaub.“


2. Version

Letzte Aktualisierung: 13.03.2012 - 14.07 Uhr
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