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Aberglaube | März 2012

Die sieben glücklichsten Tage meines Lebens
von Nicole Heetzsch

Das Zimmer ist nobel eingerichtet. Bestimmt verdient Dr. Seelenklempner sich an meinen Sitzungen eine goldene Nase. Was die Krankenkasse für eine Stunde wohl springen lässt? Ich hasse ihn. Ihn und seine ruhige Art. Die dämlichen Fragen ... Die Tür geht auf und er tritt ein. Sofort fühle ich mich wieder klein. Ich versuche mich aufrecht hinzusetzen, mich nicht wieder diesem demütigenden Gefühl auszuliefern, aber die schweren eingebildeten Steine hindern mich daran.
Grinsend setzt er sich in seinen Stuhl. Will wohl wieder freundlich sein.
„Schön Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen heute, Beate?“ Er greift zu seinem Klemmbrett und lehnt sich gemütlich zurück. Ich drehe an meinem Ehering, das ist die einzige Bewegung, die ich in seiner Gegenwart ausführen kann.
„Bestens, Herr Nuber. Ich bin glücklich. Das soll ich doch sein, oder?“
„Warum glauben Sie, Sie sollten glücklich sein?“
„Na, ich heiße Beate. So wurde ich getauft. Meine Mutter meinte, wenn sie mich Beate nennt, führe ich ein glückliches Leben.“ Ich probiere meine Lippen zu einem lockeren Lächeln zu formen, doch meine Wagenmuskulatur hält dagegen an. Irgendwann muss er mir doch sagen, dass ich geheilt bin und nicht mehr kommen brauche.
Er notiert wieder etwas. Wie viel hat er schon über mich geschrieben? Meine Akte ist sicher fetter, als das dickste Harry-Potter-Buch.
„Warum meinte Ihre Mutter, der Name könne Sie glücklich machen?“
Hat der Herr nicht studiert? „Weil `beatus‘ Lateinisch ist und ‚glücklich‘ bedeutet?!“
Gelassen setzt er seine Brille ab und schaut mir in die Augen. „Ich habe den Eindruck, dass Ihre Mutter es gut mit Ihnen meinte?“
Mir krampfen sich die Zehen in der Sohle fest. „Ja? Na, wenn ihr Plan aufgegangen wäre, hätte mein Mann kaum unsere Ehe von dieser Therapie hier abhängig gemacht!“
„Sie müssen nicht kommen, Beate.“ Er beugt sich leicht zu mir vor. Er stinkt nach irgendeinem Blumenzeug. „Fühlen Sie sich von Ihren Zwängen befreit? Darum ging es Ihnen doch?“
„Ich habe keine Zwänge und ich bin auch nicht abergläubisch. Es ist die Wahrheit und wird auch so bleiben: Überall sind Zeichen des Pechs und die haften an mir. Da kann mein Name auch nichts dran ändern.“
Er lehnt sich wieder zurück und schreibt. Wahrscheinlich, dass ich bekloppt bin. Der hat einfach keine Ahnung vom wahren Leben.
„Ich würde Sie gerne zu einem Experiment einladen, wenn Sie einverstanden sind.“
Hat der Nerven. Ich versuche zu nicken, mein Hals fühlt sich steif an.
„Kennen Sie den Begriff ‚Selbsterfüllende Prophezeiung‘?“
Mit trockenem Mund bringe ich ein „`Türlich“ zustande.
„Schreiben Sie nach Möglichkeit jeden Tag alles auf, was Ihnen Pech prophezeit. Gestalten Sie es wie eine Art Tagebuch. Vielleicht hilft es Ihnen über die Blockade hinweg und Sie können sich mir gegenüber offener äußern. Zudem achten Sie darauf, ob Sie die Anzeichen, die Sie als ihre nächste Katastrophe werten, nicht vielleicht auch etwas Positives in sich bergen. Manchmal können wir Unangenehmes auch in Angenehmen verwandeln. Wissen Sie, was ich meine?“
Ich zucke mit den Achseln. Was will er jetzt von mir hören? Meint er, ich rede mir mein Leben nur ein?
„Es muss Ihnen nicht gelingen. Sie probieren es aus und wir gehen das dann am 13. April gemeinsam durch. Einverstanden?“
Ich nicke. Was bleibt mir anderes übrig? Uwe droht mir mit Scheidung, wenn ich das nicht durchziehe.


Samstag, 7.April 2012
Mein Sohn Marc kam heute zu Besuch. Ihm fiel ein, dass er neben dem Studium eine Mutter hat und brachte mir fünfzehn Rosen! Ich hatte direkt eine seiner Freundin gegeben. Ungerade Zahl an Blumen! Ich weiß, dass er mich nicht liebt, aber mir Pech mitzubringen …
Ich habe das gemacht, was der Doktor gesagt hat. Er hat Recht! Es tut gut, dass ich seiner Freundin nun ein bisschen Ãœbel mitgeben konnte. Immerhin hat sie mir meinen Sohn geraubt. Sie setzt ihm Flausen in den Kopf.
Ja, den Moment der Rosenübergabe habe ich genossen.
Nachdem Marc gegangen ist, fiel die Vase um. Es war die schöne Vase meiner Großmutter, das Wertvollste, was ich besaß. Scheiß Blumen … Sie liegen jetzt im Mülleimer. Die Scherben habe ich aufgehoben. Sie bringen mir sicher noch Glück.

Ostersonntag, 8. April 2012
Ich hab eine dicke Beule und Kopfschmerzen! Das Hufeisen im Hauseingang fiel mir auf den Kopf. Ich war kurze Zeit bewusstlos und meine Tochter Vanessa hat mich gefunden. Nachdem sie Uwe in seiner Kneipe erreichte, nahm er sich frei. Was ein Glück! Es mag ja seine Kneipe sein, doch er ist selbst sein bester Kunde. Er kam wieder mit Fahne, war sehr distanziert, brachte mir aber liebevoll die Kühlakkus und passte auf mich auf. Es tat mir gut, mal etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ostermontag, 9. April 2012
Das Salz ist leer!!! Jetzt wird es bald bei uns an Geld mangeln! Das ist mir noch nie passiert! Ich werde hungern müssen. Weit und breit ist kein Laden, der offen ist. Scheiß Feiertag! Erst bekam ich Panik, doch dann fiel mir ein, dass Uwe schon seit längerem meint, ich solle abnehmen. Vielleicht verbringt er dann wieder etwas mehr Zeit mit mir? Er macht derzeit viele Überstunden. Ich vermute, dass er mich nicht sehen will. Genauso wie sein Töchterchen: Vanessa ist auch kaum noch Zuhause, muss angeblich so viel mit ihren Klassenkameraden lernen, dabei sind Schulferien. Ich frage mich, ob ich wirklich Abschaum bin?
Gegen Abend habe ich versucht, Mutter anzurufen. Ich hatte Glück, denn sie ging nicht dran. Ich glaube, ich wollte ein bisschen Zuwendung von ihr. Doch sie hätte mir nur erklärt, was ich alles falsch mache- wie immer.

Dienstag, 10. April 2012
Ich wollte Salz kaufen, aber das Geld ist tatsächlich weg. Ich weiß, ich hatte noch genug im Portemonnaie. Es ist weg. Uwe gibt mir keins. Er meint, ich hätte es auf den Kopf gehauen. Da war aber nur das Hufeisen. Ich habe Hunger und die Vorräte sind aufgebraucht. Ich glaube, ich habe in der letzten Stunde schon ein Kilo abgenommen. Ich bemühe mich es zu genießen, trotzdem geht es mir beschissen.

Mittwoch, 11. April 2012
Ich habe heute Morgen, vor Hunger zitternd, vorm Spiegel gestanden. Uwe meinte, ich solle mich nicht so anstellen. Ich hätte mir auch die Eier nehmen können. Doch die Nester sind für die Kinder!
Mir wurde schwarz vor Augen, ich hielt mich fest und riss den Spiegel runter. Sieben Jahre Pech! Und all die Geister, die ihm entfuhren! Ich will gar nicht wissen wie viele es waren. Ich hoffe, Uwe bekommt sie zu spüren! Er hat gelacht, als sei er besessen. Dann meinte er, ich solle mich freuen. So müsse ich wenigstens meine hässliche Visage nicht ertragen. Versuche mich auf diesen positiven Gedanken einzulassen. Ich hasse mich. Ich kann die Scherben heute nicht aufsammeln. In jeder einzelnen starren mich meine kranken Augen an. Erbärmlich.

Donnerstag, 12. April 2012
Vanessa hat bei einer Freundin geschlafen. Sie meinte, ich sei unerträglich. Gestern Abend hab ich herausbekommen, dass sie es war, die das Geld geklaut hat. Für Schuhe! Ich war nicht nett zu ihr.
Als ich die Scherben vom Spiegel heute Morgen beseitigen wollte, stand Uwe hinter mir. Er meinte, ich solle ihn durchlassen, würde ihm mit meinem fetten Arsch den Weg blockieren. Ich habe die Scherben genommen und ihm ins Gesicht geworfen. Ich genoss den Augenblick, als sein Gesicht sich rot färbte. Die aufgerissenen Augen ließen mein Herz vor Begeisterung klopfen. Jetzt weiß ich, wie wahres Glück sich anfühlt.
Er verschwand danach aus der Wohnung. Ich vermisse ihn gar nicht. Die Blutflecke auf dem Teppich hinterlassen wunderbare Spuren. Sie leuchten prächtig. Er hat die Liebe dagelassen.

Glücksfreitag, 13. April 2012
Heute kam Uwe wieder nach Hause und meinte, er würde mich verlassen. Ich korrigierte und erklärte, dass er dies schon vor vielen Jahren getan hat. Dann holte ich die Scherben der Vase aus dem Küchenschrank. Ich wusste, sie bringen mir Gutes! Er wartete geduldig im Wohnzimmer und wollte das „Gespräch“ weiterführen. Als er die großen Splitter sah, wollte er sie mir abnehmen. Sie waren zu scharf. Seine Finger platzen auf. Er brüllte zu laut, ich konnte sein Stimme nicht ertragen. Ich stopfte ihm das Maul. Das Reiben des Porzellans mit seinen Zähnen knirschte beruhigend. Er war nur mit den Worten stark. Doch sein dürrer Körper war schwächer als ich. Danach stach ich mit der größten Scherbe auf ihn ein. Das tat gut. Alle gefühlten Fesseln lösten sich mit jedem Stich. Ich spürte, wie ich immer leichter wurde.

Ich hasse ihn. Das ist mir jetzt bewusst geworden. Mir ist klar, dass ich ihn damit jetzt nicht endgültig los bin. Sein Geist wird mich immer verfolgen.
Ich habe einen Entschluss gefasst: Freitag, der Dreizehnte soll jetzt mein Glückstag werden. Entschuldigen Sie, Herr Seelenklempner, doch jetzt muss ich mein Glück voll auskosten. Ich werde Sie heute nicht, wie eigentlich geplant, besuchen. Das Schicksal hat mir nicht umsonst eine Wohnung im fünfzehnten Stock geschenkt. Ich werde mich gleich leicht wie eine Feder fühlen, davonschweben wie ein Engel. Vielen Dank für die gute Beratung!
Diesen (Ge)Fall(en) schenke ich mir und all meinen Mitmenschen.

V2

Letzte Aktualisierung: 27.03.2012 - 08.52 Uhr
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