Bitte lächeln!
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Der Psychopath | April 2012
Die Entscheidung
von Elmar Aweiawa

„... und deshalb, meine Damen und Herren, werden wir eine Sondergratifikation zum Jahresende ausschütten. 750 Euro für jeden.“
Der spontane Applaus der Belegschaft unterbrach Herrn Siegbert Fontaines Rede, und ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte seine Züge. Es war eine dankbare Aufgabe, der Belegschaft zum Jahresende eine freudige Botschaft zu verkünden.

„Verdammt gute Stimmung heute!“, empfing ihn Herr Wurster, der Leiter der Finanzabteilung, und Herr Tiberius, der Leiter der Produktion meinte: “Wie Sie sie immer wieder in der Hand haben, Chef, einfach phänomenal!“
„Kein Problem, man muss nur wissen, wie man sie nehmen muss. Sie sind doch wie kleine Kinder und brauchen die richtige Mischung aus Härte und Nachgiebigkeit. Und mit Speck fängt man Mäuse!“

Die Feier zog sich bis weit nach Mitternacht hin, und als Herr Fontaine nach Hause aufbrach, hatte er bereits einiges getrunken. Er war nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, als er aus dem Taxi stieg und den Schlüssel ins Schloss steckte.

***

Langsam kam Siegbert wieder zu sich. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder was mit ihm geschehen war. Er erinnerte sich an die Weihnachtsfeier in der Firma, seine bewegende Rede … dann kam ein schwarzes Loch.
Seine Glieder waren unendlich schwer, alle Bewegungen irgendwie eingeschränkt. Von der linken Schulter ausgehend strahlten Schmerzen in alle Richtungen. Dann kam ihm plötzlich die Erkenntnis: Fesseln an Händen und Füßen! Sein Kopf dröhnte. Panik stieg auf.

„Bist du wach?“
Eine bekannte Stimme drang an sein Ohr. Etwas gedehnt zwar, wie mit halber Geschwindigkeit abgespielt ... Angestrengt überlegte er, wem sie gehörte. Mit dem zurückkehrenden Bewusstsein kam die Erleuchtung und traf ihn wie ein Hammerschlag in die Magengrube! Mit wilder Wut stemmte er sich gegen die Fesseln.

Fieberhaft überlegte er, was vorgefallen war, wie sie es wagen konnte, ihn hinterrücks zu Boden zu schlagen, als er die Wohnung betreten hatte. Zorn übermannte ihn, und wie ein gereizter Pitbull bäumte er sich auf. Doch an Befreiung war nicht zu denken. Immer tiefer schnitten die Fesseln in sein Fleisch. Je mehr er sich abmühte, desto schlimmer die Schmerzen. Doch sie machten seinen Kopf klar, und es gelang ihm, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren.

„Ich bring dich um! Miststück, verdammtes!“ Seine Stimme überschlug sich.
„Da hast du im Moment schlechte Karten!“ Ihre ruhigen Worte heizten seine Wut weiter an.
„Bind mich los, du blöde Schlampe!“
„Ohne die Fesseln würdest du mir nicht zuhören und ich wäre längst grün und blau geschlagen.“
„Worauf du Gift nehmen kannst, Fotze!“
„Sei still! Denn heute Nacht bist du mir ausgeliefert. Und wie die Geschichte ausgeht, hängt im Wesentlichen von dir ab.“
Es dauerte eine Weile, bis er verstand.
„Du willst mir drohen?“ Seine Stimme triefte vor Hohn. „Ausgerechnet du?! Wenn ich die Fesseln los bin, schlag ich dich windelweich! Da sind die Prügel von gestern ein Dreck dagegen. Ohne mich bist du doch nichts, eine Null. Nicht mal auf den Strich könntest du gehen! “
„Mag sein. Aber eine Null mit einem Messer in der Hand.“ Gisela fuchtelte mit dem Tranchiermesser vor seiner Nase herum. Siegbert fuhr zurück, soweit es ihm die Fesseln erlaubten.

Ihre ungewohnte Entschlossenheit machte ihm Angst, und so änderte er seine Taktik.
„Aber Gisela, was hab ich dir denn getan? Wir gehören zusammen und …“
„Halt’s Maul!“ Gisela wusste offensichtlich genau, was sie tat und was sie wollte. So kannte er sie nicht.
„Aber warum …?“
„Sei still und hör zu.“ Gisela kniete sich vor den am Boden Liegenden und schaute ihm ins Gesicht. Ihr linker Mundwinkel zuckte unkontrollierbar, behinderte sie aber nicht beim Sprechen. „Ich weiß noch nicht, was ich tun soll. Du bist ein charakterloses Schwein, und wie du mich all die Jahre behandelt hast, reserviert dir einen Platz in der Hölle. Doch ich habe es ertragen. Weil du mein Mann bist und Gott den Bund zwischen uns geschlossen hat. Und weil ich mir eingebildet habe, dass du mich auf deine Art dennoch liebst.“
„Das tu ich doch auch, mein Liebling!“ Seine plötzlich unterwürfige Stimme verursachte ihr einen kaum zu beherrschenden Brechreiz.

„Unterbrich mich nicht!“ Ihre Stimme war hart wie Stein. Diesen Befehlston hatte Siegbert noch nie zu hören bekommen.
„Alles habe ich dir verziehen, die Schläge, Demütigungen und Vergewaltigungen. Sogar, dass du meine Mimmi durchs Fenster geworfen hast und ich sie begraben musste.“
„Das war ein Versehen, ich hab zu spät gesehen, dass das Fenster geschlossen war. Ich wollte nicht, dass sie dabei zu Tode kommt.“ Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, suchte er so etwas wie eine Ausrede.
„Zu Tode kommen? Sie ist jämmerlich verblutet, du Sadist! Aber vergiss es, das ist lange her und nicht mehr wichtig.“
„Aber warum hast du mich denn niedergeschlagen und gefesselt, verdammt noch mal? Meine Hände sind schon ganz taub.“
„Fluch nicht! Es steht dir besser an, dich zurückzuhalten. Ich habe gestern etwas entdeckt, das unverzeihlich ist. Und deshalb muss ich eine Entscheidung treffen.“
„Was willst du denn entdeckt haben, verdammte Scheiße!?“
„Ich weiß, dass du dich an Selma herangemacht hast. Ich weiß genau, was du ihr angetan hast.“
„Du spinnst doch! Das ist gequirlte Scheiße, sie ist unsere Tochter!“
„Eben deshalb liegst du hier, und ich überlege, was ich mit dir anfangen soll. Das Maß ist voll! Du musst aus unserem Leben verschwinden, so oder so.“

Die Panik in seinem Gesicht war echt und der Geruch der Angst überlagerte den Alkoholdunst, der eben noch vorherrschend gewesen war.
„Entweder du verlässt dieses Haus noch heute Nacht, ohne Abschied und Wiederkehr, oder …“
„Oder was?“
„Dieses Messer wird dir die Entscheidung abnehmen. Wie auch immer es ausgehen wird, du wirst mich und unsere Tochter nie wieder anrühren.“
„Aber es war doch gar nicht so, wie du es darstellst. Im Gegenteil! Selma war es, die mir Augen gemacht hat. Deine Tochter ist ein kleines Sexmonster, sie hat mich provoziert.“
„Woher hab ich nur gewusst, dass du das sagen wirst?“
„Es ist aber die Wahrheit, verdammt noch mal!“
„Quatsch nicht rum! Du Schwein hast ihr vorgemacht, dass dein Zeug gegen ihre Akne hilft. Wie kann man nur so pervers sein?! Wo du doch genau weißt, wie sehr sie darunter leidet. Gut, dass du nicht in der Nähe warst, als sie es mir erzählt hat, sonst wärst du längst ein toter Mann.“
Giselas Augen ließen ihn erschaudern. Mittlerweile traute er ihr alles zu, ihre Entschlossenheit ließ keinen Zweifel daran. Es war ihm klar, dass er im Moment der Unterlegene war und ihm nichts anderes übrig blieb als nachzugeben. Doch er war sich sicher, seine Stunde würde kommen, oh ja, sie würde kommen!

„Mach dir nur keine falschen Hoffnungen“, las Gisela seine Gedanken. „Wenn ich dich losbinde und du nicht augenblicklich verschwindest, werden die Unterschlagungen, die du seit Jahren begehst, noch am heutigen Tag an die Öffentlichkeit kommen. Ich habe Anweisung gegeben, den Umschlag mit den Beweisen zu öffnen, wenn ich mich bis 10 Uhr früh nicht melde. Und wenn mir in Zukunft etwas widerfahren sollte, wird das denselben Effekt haben. Bete also, dass ich noch lange lebe.“
„Woher ...?“
„Woher ich davon weiß? Ich bin nicht ganz so dumm, wie du denkst. Aber das ist nicht die Frage, die dich jetzt beschäftigen sollte. Gib mir lieber einen guten Grund, dich leben zu lassen. Verdient hast du es nämlich nicht.“

Die folgenden Minuten waren die schrecklichsten und traumatischsten in Herrn Fontaines bisherigem Leben. Die Todesfurcht schnürte ihm die Kehle zu, und Magenkrämpfe verursachten ihm ständigen Brechreiz. So sehr er sich auch bemühte, Gisela davon zu überzeugen, ihn leben zu lassen, ihr Abscheu vor seinem Verbrechen war zu groß. Auch dass er es sich anders überlegte und den Missbrauch der Tochter als sein eigenes Verschulden anerkannte, nützte wenig.

Gisela betrachtete ihren Mann wie ein Insekt, das sie gestochen hatte. Sollte sie es totschlagen oder am Leben lassen? Einen Schutz gegen weitere Stiche hatte sie in der Hand, doch da gab es noch den Aspekt der Schuld und der Gerechtigkeit. Noch gravierender war der Hass, den sie fühlte, seit sie von der unverzeihlichen Sache mit Selma wusste.
Erst als Siegbert davon abließ, seinen Wert und ihre Zuneigung zu ihm ins Feld zu führen, und dazu überging, die Auswirkungen seines gewaltsamen Todes auf Selma zu veranschaulichen, zeigten sich ernsthafte Risse in ihrer Entschlossenheit.

Endlich traf sie eine Entscheidung und nahm das Messer fest in die Hand. Das Zucken in ihrem Mundwinkel war verschwunden.


© by aweiawa, 2012
Version 3

Letzte Aktualisierung: 22.04.2012 - 17.59 Uhr
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