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Der Psychopath | April 2012

Dunkler Prinz
von Susanne Ruitenberg

Sandy nippte an ihrem Mai Tai und sah sich prüfend um. Fad, das Angebot heute. Die meisten, die sich auf der Tanzfläche zu den hämmernden Techno-Rhythmen bogen, schienen schon das Casting für die Zigarette danach abgeschlossen zu haben. Die Wenigen, die sich wie sie solo an einem Glas festhielten, sahen dementsprechend aus. Langweilig. Nerdy. ‚Wo bleibt mein Traumprinz?’, fragte sie sich. Sollte sie einfach so auf die Piste und die Sau rauslassen, in der Hoffnung, dass sie jemand sähe? Oder sich noch einen Drink bestellen?
„Sind Sie auch heute hier? Äh, ich meine, alleine hier? Wollen wir tanzen?“
Sie sah nach rechts und erschrak. Ein dicklicher Typ mit unmöglicher Brille und einer Frisur, die zuletzt in den 70ern modern gewesen war, (und offenbar auch in dem Jahrzehnt zum letzten Mal mit Shampoo in Berührung gekommen) starrte sie mit unverhohlener Gier an. Fehlte nur noch, dass er zu Sabbern anfing.
„Ich bin verabredet“, antwortete sie in dem abweisendsten Ton, den sie im Repertoire hatte und floh ans andere Ende der Theke, wo sie beinahe einen schwarz gekleideten Typ umrannte. „Tschuldigung“, murmelte sie. Puh! Es war zwar schon eine Weile her, dass sie eine interessante Eroberung gemacht hatte, aber SO verzweifelt war sie auch noch nicht, dass sie sich mit unterirdischer Ware abgeben musste.
Hoffentlich dachte der Nerd, dass sie zu dem Dark Stranger gehörte, und stellte ihr nicht nach.
„Darf ich Ihnen zur Feier Ihrer gelungenen Flucht vor dem namenlosen Grauen ein Glas der spritzigsten Weiterentwicklung von Wein anbieten, die Gott und begabte Winzer uns zu kredenzen vermögen?“, fragte auf einmal eine warme Stimme, der man das Augenzwinkern anhörte. Sie sah sich ihr Rempelopfer genauer an und unterdrückte nur mit Mühe ein bewunderndes „Wow“. Schließlich war sie kein Teenie mehr. Vor ihr stand eine Kreuzung aus George Clooney und Johnny Depp mit dem Traumkörper eines professionellen Schwimmers. Ohne eigenes Zutun beeilten sich ihre Mundwinkel, die Ohren zu erreichen und sie befeuchtete sich die Lippen. „Ja, gerne.“
Sie stießen an. „Auf Ihre Rettung. Ich bin übrigens Ruben.“
„Sandy.“ Der Sekt perlte in ihrem Mund. Herrlich. Seine Augen glitzerten im grellbunten Geflacker der Lichtanlage. Die Farbe konnte sie nicht erkennen. Als sie ausgetrunken hatten, zwinkerte er ihr zu und machte eine einladende Kopfbewegung Richtung Tanzfläche.
Während sie sich austobten, beobachtete Sandy ihn verstohlen. Er bewegte sich wie eine Katze. Geschmeidig. Aber nicht angeberisch. Gleichzeitig schien unter seiner dekorativen Oberfläche etwas zu brodeln, eine Kraft ging von ihm aus, kurz musste sie an Wolverine denken, den sie in einsamen Nächten vor dem DVD Player anschmachtete.
Erhitzt landeten sie irgendwann wieder an der Theke. Er bestellte noch zwei Sekt und strich ihr mit den Fingerspitzen eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn. „Du bist wunderschön.“ Offenbar völlig fasziniert, starrte er sie an, ein unergründliches Lächeln auf den Lippen. Trotz der Hitze lief ihr ein Schauer über den Rücken. Hübsch war sie schon öfter genannt worden – aber wunderschön? Sie räusperte sich. „Äh – danke. Was machst du beruflich?“ Bravo, Sandy, dachte sie, eine blödere Frage konnte dir nicht einfallen, wenn du dem absoluten Traumprinzen gegenüberstehst?
„Ich beschäftige mich mit dunklen Mächten, allem Vergänglichen und dem Tod“, sagte er geheimnisvoll.
„Oh?“
„Ich bin Bestatter.“ Prüfend sah er sie an.
Sie beschloss, dem keine Bedeutung beizumessen und zuckte die Achseln. „Das muss auch irgendwer erledigen. Der Tod gehört zum Leben.“
„Schön, dass du das so unkompliziert siehst.“ Er grinste. Das rötlich zuckende Licht verlieh seinem Grinsen beinahe etwas Diabolisches. Er zog ein Päckchen Marlboro aus der Hemdtasche. „Rauchst du?“
„Gelegentlich.“
„Dann erkläre ich das jetzt zu einer guten solchen.“
Sie nickte und schob sich an den tanzenden Leibern vorbei nach draußen.
Er hatte zwei Sektgläser mitgebracht, die er auf einem Stehtisch abstellte, bevor er ihr eine Zigarette gab und anzündete. Sie prosteten sich zu und tranken.
„Hast du einen Freund?“
Die Frage ließ ihr Herz schneller schlagen. Hatte sie Chancen bei ihm, weil er so direkt fragte? Oder suchte er nur ein One-Night-Stand? Egal, rein ins Abenteuer. „Zurzeit nicht.“
„Aber du hattest einen?“
Sie schnippte die Asche auf den Boden. „Ist eine Weile her.“
„Auf zwei einsame Herzen“, sagte er und trank sein Glas in einem Zug aus. Sie tat es ihm nach und ermahnte sich, es langsamer anzugehen. Der Sekt stieg ihr schon zu ... Kopf ... wuschig, die Erde tanzte ... seine warme Hand an ihrem Arm ... sie schloss die Augen.

Als sie wieder zu sich kam, bemerkte sie als erstes einen schneidenden Schmerz an Handgelenken und Knöcheln, und dass ihr Kopf rauschte. Sie schluckte. Jemand hatte ihren Speichel durch Sand ersetzt. Der Raum, in dem sie sich befand, lag im Halbdunkeln und roch muffig, kellerartig.
„Ruben, sie ist wach“, rief eine Stimme. Ihr Kopf schoss in die Richtung. Der Nerd! Wieso ...?
Ruben trat hinzu und machte eine scheuchende Bewegung. „Geh in dein Zimmer, Gad.“
„Ich will gucken, was du mit ihr machst. Sie ist sicher eine Schlampe. Sonst müsste sie nicht auf dem speziellen Stuhl sitzen.“
„Geh, sage ich“, brüllte Ruben.
„Aber du lässt mich auch mal.“
„Wenn ich mit ihr fertig bin. Und jetzt mach dich fort, oder Mama kommt mit der Wäscheklammer.“
Der Nerd quiekte, hielt die Hände über seine Weichteile und floh schreiend: „Nicht die Klammer, nicht die Klammer.“
Ruben trat dicht an Sandy heran. Er stand einfach nur da und starrte auf sie herunter, sein gut geschnittenes Gesicht zu einer Maske erstarrt, die eisblauen Augen ohne Gefühl.
„Warum hast du mich gefesselt? Was hast du mir eingeflößt?“
Er antwortete nicht.
„Habe ich was Falsches gesagt oder getan? Bitte!“, flehte sie.
Zur Antwort gab er ihr eine Ohrfeige. „Sei still.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie musste einen Würgreiz unterdrücken. War das ein Test?
„Was hast du mit mir vor?“
Er beugte sich zu ihr herab, bis seine Nase fast ihre berührte. „Ich muss dir eine Lektion erteilen. Du hattest einen Freund, ergo bist du keine Jungfrau. Nur, wer unberührt heiratet, ist etwas wert. Armes Ding. Hattest keine Mutter, die dich anständig erzogen hat.“ Er strich ihr über den Kopf. Sie zuckte zurück. Aber er war doch vorhin so nett gewesen! Wie konnte sich jemand so verstellen?
„Bitte lass mich frei, ich sage auch nicht, was du ...“ Blitzschnell legte er seine Hände um ihren Hals und drückte zu. „Bist du still? Ich gebe dir die Chance, dich zu läutern. Ich meine es nur gut mit dir. Du erinnerst mich an unsere Schwester. Sie war nicht rein wie wir. Bei ihr konnte man keine Klammer dranmachen beim Beten. Man hätte sie zunähen sollen, bevor es zu spät war. Sie hat nichts ernst genommen, ist ständig mit anderen Typen rumgehangen. Bis sie den Balg im Bauch hatte und unsere gute Mutter vor Gram heimgeholt wurde. Aber wir haben das repariert, Gad und ich. Mutter wäre so stolz auf uns.“ Er hielt inne und starrte ins Leere. Seine Augen verloren jeglichen Fokus. Sie zerrte an den Fesseln. Das Geräusch holte ihn zurück. Ohne Vorwarnung packte er ihre Brüste und drückte so fest zu, dass ihr die Luft wegblieb. Erst nach einem Moment merkte sie, dass sie sich dabei in die Hose gemacht hatte. Er sah es auch. „Jetzt guck dir das an. Schmutzig. Aber keine Angst. Das werde ich dir austreiben. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du rein wie ein Engel sein.“ Er strich ihr so zärtlich über das Haar wie vorhin an der Theke. Dann wandte er sich ab. „Warte hier, bis ich wiederkomme. Ich habe Vorbereitungen zu treffen.“
Er verließ den Raum.
Die Kellertür wurde zugeschlagen. Ein Schlüssel umgedreht. Mehrere Riegel vorgeschoben. Das Licht ging aus.
„Hilfe“, schrie sie. Und schrie. Und schrie.
Als sie keine Kraft mehr hatte, weinte sie leise vor sich hin.
Geräusche an der Tür. Schlüssel. Riegel. Schwere Schritte.
Er kam zurück.


©Susanne Ruitenberg
Version 2

Letzte Aktualisierung: 26.04.2012 - 23.41 Uhr
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