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Der Psychopath | April 2012

... wie ein Kropf
von Helga Rougui

Die Tochter:

Sie sagen, ich sei ein Psychopath.
Was soll das sein?
Wenn schon, dann eine Psychopathin.
Aber die bin ich nicht.
Ich bin Realistin. Nein. Realist.

Es begann vor meiner Zeit.

***

Die Mutter:

Ich war ein niedliches Mädchen mit blonden Locken und honigbraunen Augen. Ich war nicht dumm und sehr verspielt.
Ich war der erklärte Liebling meines Vaters.
Und das wollte ich bleiben, also gab ich ihm in allen Dingen recht und nach.
Ich war glücklich, wenn er mich durch seine Aufmerksamkeit auszeichnete, ich war traurig, wenn ich seinen Unwillen erregt hatte und er mich mit kalten Augen abschätzig musterte.
Ich versuchte alles zu vermeiden, was mich seine Liebe hätte kosten, was seine Beachtung in Verachtung hätte umwandeln können.
Ich ordnete mich unter und tat, was er wollte.
Meine Mutter, die dumme Kuh, hatte schon längst verloren gegen mich.
Sie war der lebende Beweis dafür, daß Frauen nichts taugen, die sich gegen Männer behaupten wollen.
Sie war ein Nichts, den Tadel nicht wert, den sie ihm entrang. Sie widersprach, sie wollte eigene Wege gehen und hätte doch nie an ihn herangereicht. Sie wollte... one love... one heart... let's get together... nein - sie wollte weg von ihm, um sie selbst zu sein... !?... Sie selbst!?
Und was wäre das gewesen? Ein Nichts, ich sagte es schon. Das ist die unschöne Wahrheit.

Mein Vater starb, ich ersetzte ihn durch einen Mann, durch noch einen, durch einen nächsten.
Eines Morgens wachte ich auf, und ich erblickte meine Tochter.
Ich sah sie genauer an, und ich sah mich an.
Der Geist meiner Mutter stand neben mir und lachte. Lachte und lachte.

Sie lachte.
Und ich wußte, worüber sie lachte.

Keiner meiner Männer hatte meinen Ansprüchen genügen können.
Oder besser – ich hatte ihren Forderungen nicht entsprechen können.
Und inzwischen war meine Tochter herangewachsen zu einem Monster, das auf fatale Weise anfing, seiner Großmutter zu gleichen.

Diese Frauen machen alles kaputt. Sie sind zu modern. Sie konzentrieren sich nicht auf das Wesentliche.
Wenn sie auftreten mit ihren Ansprüchen an die Welt und an sich selbst, dann steht die Welt alsbald in Flammen.

***

Der Vater:

Frauen sollten abgeschafft werden, das ist meine Ãœberzeugung.
Sie sind nicht modern.
Sie sind überflüssig, können nicht selbständig denken, lassen sich durch ihre Gefühle verwirren, wollen trotzdem alles selber machen und unabhängig sein, und das Ergebnis ist, daß die Welt in Flammen steht.

Die Frauen sind der Schwachpunkt der Evolution und verachtenswert.
So denke ich, so denken wir Männer, und wir haben recht.

Meine letzte Frau versuchte, mir ganz und gar zu Willen zu sein.
Immerhin führte sie nicht ständig die Parolen Freiheit und Gleichberechtigung im Munde, aber im letzten Grunde war sie nur zu dämlich, um diskret alles für mich aufzugeben und sich ohne Bedingungen aufzuopfern. Zu deutlich war, daß sie Dinge von mir erwartete, Taten und Gefühle, Gegenleistungen, deren Natur ich bis heute nicht verstehe und die mir, obwohl ich sie nicht kenne, völlig unangemessen erscheinen.
Weiberkram halt.
Nicht ernstzunehmen.
Unsere Tochter war eine widerliche, eingebildete Pute, die versuchte, zu beweisen, daß sie auf eigenen Beinen stehen könnte. Ohne Papis Geld. Bedauernswert.

Ich werde diese Geschöpfe der Hölle nie an mich heranlassen.
Ich hoffe, sie werden in ihrer Ohnmacht vergehen wie die verlöschenden Flammen heruntergebrannter Kerzen.

***

Die Tochter:

Nun denn.
Die Vergangenheit ist tot. Sie ist vergangen.
Ich will da nicht nachforschen, wer welche Fehler begangen hat.
Wem ich hätte glauben müssen. Oder besser nicht geglaubt hätte.
So wie meine Großmutter sollte ich nie sein.
So wie meine Mutter wollte ich nie sein.
Und so wie mein Vater würde ich nie sein.
Alle schauten zu ihm auf, in Liebe, in Verehrung, in Verzweiflung.
In tödlicher Angst.
Eigentlich nicht schlecht, all das hervorzurufen.
Vielleicht besser als eine Existenz, die aus purem Nichts besteht.

So sagte ich mir eines Tages in männlich-logischer Konsequenz:
"Ab heute werde ich ein Mann sein."

Ich trieb das Kind ab, das zu bekommen ich mich gerade anschickte.
Zumal da es wieder ein Mädchen geworden wäre.
Ich entfernte die, die sich meine Töchter nannten.
Dann befahl ich mir, monatlich nicht mehr zu bluten.
Weiterhin schickte ich meine Mutter in die Wüste.
Wohlverwahrt bei den Beduinen konnte sie von mir aus versuchen, unter den Deckmäntelchen ihrer Schleier ihr dumpfes Weibsein Tee kochend und Schafe ausweidend in Demut zu führen.

Ich entsagte der weiblichen Kleidung voll und ganz.
Ich hieb mir die rechte Brust ab vom Leibe wie einen schwerfälligen, hinderlichen Schinken, um besser zielen zu können mit Pfeil und Bogen auf alles Weibliche, das sich in meinem vergeltenden Dunstkreis noch wagte zu bewegen.

Ich beseitigte alle weiblichen Fliegen in meiner Wohnung, riß alle weiblichen Pflanzen aus meinem Garten, alle weiblichen Kaninchen und Eichhörnchen ergriffen, wenn sie mich sahen, die Flucht, die ihnen mißlang.
Ich beobachtete die Spielplätze und Schulhöfe, und wenn keiner hinsah, reinigte ich die Sandkästen und Spielflächen in meinem Sinne, um anschließend verborgen in der Menge der Gaffer mich zu weiden am Geschrei und Geweine, wenn die Resultate meines Feldzuges offenkundig wurden.

Nur wenige weibliche Wesen waren übrig, wenn ich vorübergezogen war.
Ncht viele, die am Leben blieben.
Ich sorgte dafür, daß man auch deren weitere Existenz nicht eigentlich mehr Leben nennen konnte.

Später meinte eine weibliche Polizeibeamtin mich über meine Motive befragen zu müssen. Ich gab ihr keine Antwort, sie war nur eine Frau. Ich ignorierte sie, und da hatte sie noch Glück.
Andere hatten dieses Glück nicht gehabt und ruhen jetzt in der kalten Erde meiner unkrautüberwucherten Beete, Opfer wurmzerfressender Zersetzungsprozesse, was genau das Schicksal ist, das sie verdienen.
Ich freue mich an der Vorstellung, daß ihr Blut die Wurzeln der übriggebliebenen Gewächse tränkt.
Sie werden üppige Blüten der Rache treiben, Miasmen werden das Erdreich zersetzen und der Frost wird sich voller Angst vor der Glut ihrer schwärenden Kelche in acht nehmen.

Während der vielfältigen Verhörversuche schwieg ich eisern wie ein Mann. Ich verzog höhnisch meinen Mund, wenn sie versuchten, meinen Panzer zu knacken, diese zögernden Weiblichkeiten, die nicht einmal eine anständige Folter für mich übrig hatten.
Die mich sowieso nicht beeindruckt hätte, nach dem, wie ich mit meiner eigenen Weiblichkeit konkret verfahren war.

Ich verachtete sie alle.
Ich verlangte, in ein echtes Männergefängnis überstellt zu werden, aber sie lachten nur.

Da schnitt ich mir auch die linke Brust ab.
Auch das konnte sie nicht überzeugen.

Noch kann ich meine Arme kaum bewegen, die Schmerzen in meinem Oberkörper sind zu stark.
Aber durch den rotglühenden Schleier der mich entmenscht schüttelnden rasenden Krämpfe nehme ich angeekelt wahr, daß ich von weiblichen Pflegerinnen umgeben bin, und ich weiß nicht, ob das Purpur, das ich hinter meinen geschlossenen Lidern sehe, von meiner Pein oder meiner Empörung herrührt.
Automatisch formen sich meine Hände zu Klauen, die möchten zerreißen und zerstückeln, was mir so überflüssig wie ein Kropf erscheint.
Das ewig Weibliche zieht mich hinab in seinen stinkenden Sumpf, es ist ein verzichtbarer Treppenwitz der Weltgeschichte, es war der erste Schritt zum Untergang der Menschheit und wird sein das Tor zur ewigen Schwärze.

Ich werde trotz aller Hemmnisse meine Mission weiterführen.
Ich werde mich nachher in die Küche begeben und ein angemessenes Werkzeug ergreifen.
Und dann werde ich planvoller vorgehen als bisher.
Weniger impulsiv. Effektiver.
Männlich.

Zuerst werde ich mich um die Nachtschwester kümmern.

Heute, im Morgengrauen, in der Stunde zwischen Todesfurcht und Ewigkeit.

Letzte Aktualisierung: 01.04.2012 - 13.08 Uhr
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