Burgturm im Nebel
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"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Rivalität | Mai 2012
Der Fall des Grafen von Auenbach
von Oliver Wöbbeking

Vorrede

Dieser Bericht behandelt die absonderlichen Vorkommnisse, welche sich um den Grafen von Auenbach zugetragen haben. Es sey betont, dass er weder Anspruch auf Vollständigkeit erhebet, noch versuchet er, die dargestellten Ereignisse zu explizieren. Er begehret lediglich, die Geschehnisse, soweit sie dem Verfasser dieser Zeilen zu Gehör gebracht, in Ansehung der Pflichten desselbigen, frei von jeglich Einflussnahme zu beleuchten und für die Nachwelt zu erhalten, in der demütigen und gottgefälligen Hoffnung, dass in naher Zukunft der Fall zu einer umfassenden Aufklärung geführet werden kann. Er stützet sich vornehmlich auf die Aufzeichnungen des Nervenarztes Egidius Neuhman, welcher den Grafen während seines Aufenthaltes im städtischen Tollhaus zu Coelln vom 12. bis 17. April i.J. der Gnaden 1789 betreute, ergänzt durch ausgewählte Zeugenaussagen von unzweifelhaftem Leumunde, soweit diese zur Verfügung standen.

Der Verfasser
Coelln, am 7. Januar i.J. der Gnaden 1792



Das erste Mal, dass der Graf von Auenbach sich jenen absonderlichen Beobachtungen gegenübersah, geschah an dem Tage, als er damit begann, um das Herz der liebreizenden Anna Margaret von Hagen zu werben, welche sich von solch reiner Schönheit zeichnete, dass jeder, der ihrer ansichtig wurde, sofort in ihren Bann geschlagen wurde.
Derart erging es auch dem armen Herrn Grafen, und zu seiner glückseligen Freude zeigte sich Anna Margaret bereit, auf sein Werben einzugehen und ihn zu empfangen, natürlich nicht ohne auf die Anwesenheit ihrer Anstandsdamen zu bestehen, um die Sittlichkeit dieses Treffens vor der Ehre und dem Ansehen ihrer lieben Familie und vor Gott zu gewährleisten.
Während dieses Treffens, welches für beide Beteiligte von angenehmster Art war, geschah es, dass den Grafen für einen Moment das Gefühl überkam, sein eigen Schatten beuge sich über Anna Margaret in begehrlicher Attitüde, ohne dass der Graf sich in entsprechender Weise bewegt hätte.
Doch schrieb er jene absonderliche Beobachtung seinem epikurschen Überschwange zu, in welchem er sich in der Gesellschaft Anna Margarets befand, sowie dem flackernden Kerzenschein und dem lodernden Kaminfeuer, die den Raume in ein wankelmütig Licht tauchten, und beachtete sie nicht weiter. Stattdessen erfreute er sich an dem Ausgange des Abends mit Anna Margaret, da sie ihm zu verstehen gab, dass er sich weiterhin um ihre Gunst bemühen dürfe.

Einige Tage später führten der Graf und Anna Margaret ihr zärtlich Anbändelei fort und trafen sich im Rosengarten des elterlichen Anwesens der jungen Dame. Sie spazierten umher, ergötzten sich am Anblick der mannigfaltigen Blütenpracht, unterhielten sich angelegentlich und erwärmten ihre Herzen nicht nur durch die sanfte Frühlingssonne, sondern auch durch die Anwesenheit des jeweils anderen.
Ermutigt durch einige hintersinnige Andeutungen seitens Anna Margarets, fasste sich der Graf schließlich ein Herz, fiel vor ihr auf die Knie und gestand ihr seine Liebe.
Geschmeichelt von soviel ehrenvoller Zuneigungsbekundungen von unzweifelhaft lauterer Absicht zierte sie sich nicht, sondern gestattete ihm, sein Ansinnen offiziell ihrem werthen Herrn Vater vorzutragen und um ihre Hand anzuhalten.
Entzückt von ihrer Antwort, zeigte sich der Graf zutiefst dankbar für die Ehre, die sie ihm aufs allergnädigste zutheilwerden ließ, und vollführte, wie es sich für derartige Situationen geziemte, einen der Sitte und Anstand entsprechenden Handkuss.
Doch als der Graf sich von ihr löste, gewahrte er seines Schattens dergestalt, dass dieser sich immer noch über Anna Margaret gebeugt zeigte und ihre Hand zu küssen schien, ehe er endlich von ihr abließ, um seinen Platz an des Grafens Seite einzunehmen, so als sey es purer Widerwille gewesen, der ihn verspätet folgen ließ. Demon est deus inversus!
Der Graf schauderte höchlichst mit einem Ausdruck jenes tiefen Entsetzens auf seinem Gesicht, welches nur der Anblick fürchterlichen Schreckens zu erzeugen vermag. Denn diesmal konnte kein flackernder Kerzenschein dafür verantwortlich gemacht werden, kein lodernd Kaminfeuer. Der Himmel war klar und wolkenfrei, und die Sonne stand von Phöbus‘ Rosse gezogen hoch droben voller Anmut und als Beweis der schöpferischen Kraft des göttlichen Herrn.
Natürlich blieb Anna Margaret das befremdliche Verhalten ihres Gastes nicht verborgen. Da aber der eigentliche Grund für sie unsichtbar blieb, bezog sie sein Entsetzen auf ihr gerade erteiltes Einvernehmen auf sein Werben, so dass sie sich zutiefst gekränkt von solch undankbarem Verhalten und nicht frei von Enttäuschung zurückzog und ihn im Rosengarten allein mit sich stehen ließ.
Im Folgenden muss ein zerknirschter Graf zuerst Anna Margaret hinterhergeblickt haben, für einen kurzen Moment von der Überlegung beseelt, ihr seine erschreckliche Beobachtung kund zu thun, und sich dann, als sie ins Hause getreten war, in dem Glauben, nur der Schattenwurf eines über ihn hinweggezogenen Vogels könne für jene Sinnestäuschung verantwortlich seyn, seinem Schatten zugewandt haben, um schließlich mit noch größerem Entsetzen als zuvor zu gewahren, dass dieser sich langsam und mit Verzögerung zu ihm umdrehte und seinerseits ihn, den Grafen, in Augenschein nahm.
Darauf stieß der Graf aus, er solle ihn in Frieden lassen, um dann wie vom Hafer gestochen eiligst seine Kutsche zu besteigen und vom Anwesen zu flüchten, ohne sich von Anna Margaret und ihren Eltern zu verabschieden, wie es die Gepflogenheiten verlangt hätten.
Dieses Verhalten wurde zunächst gönnerhaft und gnädigst einer allgemeinen Überspanntheit des Grafen zugeschrieben, ausgelöst durch die selbstverschuldete Abweisung. Als dieser jedoch auch nach Tagen nicht gesehen ward, ließ eine um sein Wohlergehen besorgte Anna Margaret Diener zu ihm schicken, um sich zu vergewissern, dass er wohl gelitten sey. Diese fanden sehr zu ihrer Verwunderung ein Anwesen vor, das die Fenster sämtlich verdunkelt zeigte, teils mit brokatnen Vorhängen, teils gar mit Brettern vernagelt, welche die Dienerschaft des Grafen gerade dort anbrachten.
Diese waren über das Verhalten ihres Herrn selber aufs Höchste irritiert und thaten kund, der Graf hielte sich im Keller auf und sey seit Tagen nur des Nächtens nach oben gekommen, und selbst dann nur, wenn kein Mond gescheinet habe und der Himmel von dicken Wolken verhangen war.
Als beide Dienerschaften ihren Mut zusammenfassten und nach dem Herrn Grafen sahen, fanden sie ihn im dunkelsten Winkel des Kellers hockend wie ein wildes Tier, und er schrie auf, als sie mit ihren Öllampen auf ihn zukamen.
„Verlöschet sie!“, stieß er mit von Angst und Wahn durchtränkter Stimme aus, und heftige Zuckungen und Windungen durchfuhren seinen Körper, während er versuchte, sich vor der ankommenden Schar hinter einem Weinfasse zu verbergen. Denn das Licht gebiere ihn, rief er immerfort, und nur wenn er ein Schicksal in völliger Dunkelheit wähle, sey sie geschützt, denn er wolle sie besitzen und dulde keinen Nebenbuhler.
Natürlich konnten sich die Dienerschaften keinen Reim auf des Grafens Ausbruch machen, und verschüchtert von solch im Wahnsinn gesprochener Rede ließen sie nach dem Nervendoktor Egidius Neuhman zu Coelln schicken, welcher den Herrn Grafen ohne Umschweife mitnahm und ins Tollhaus steckte, damit dieser sich dort beruhigen möge und durch klüglich angewandte Mittel wieder zu Sinnen käme.
Es zeigte sich jedoch, dass kein einzig dieser Mittelchen anschlug und der Herr Graf stattdessen mehr und mehr dem Wahnsinn anheim fiel. Er weigerte sich ins Licht zu treten, verkroch sich unter seiner Bettstatt und kam nur darunter hervor wenn die Nacht tief und schattenlos war. Dies schien der einzig Moment zu seyn, in der der Herr Graf seine Ängste für eine Weile abzulegen im Stande war.
Zog man ihn bei Tage darunter hervor, so schlug er wild um sich wie eine Katze vor dem Bade, und schrie, sie sey in Gefahr, bis man von ihm abließ und er sich wieder in seine selbstgewählte Höhle unter dem Bette zurückziehen konnte.
Am Morgen des siebenten Tages drang kein einzig Mucks aus des Grafens Zelle, und es dünkte, als hätte dieser seinen krankhaften Wahn durch Gottes Gnaden überstanden, schien nämlich die Sonne derart lieblich durch das Fenster hinein, dass kein Gemüt sie nicht zu erhellen vermochte. Doch als man ihm etwas zur Stärkung bringen wollte, fand man ihn mit durchschnittener Kehle unter dem Bette vor, das Messer noch in der Hand, welches er offenbar zu diesem Zwecke unter seinem Gehrock verborgen hatte.


Aber glaubet nicht, oh, Ihr teuren Leser, dass mit des Grafens Tode die Ereignisse abgeschlossen seyen, und der Verfasser Euch mit der Gewissheit entlassen könne, dass nun alles wieder zu seiner gottgefälligen Ordnung zurückgekehret sey!
Es geschah nämlich auf der Trauerfeier, an der sämtliche Angehörige und Weggefährte des Herrn Grafen theilnahmen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, dass sich, während man den Sarg mit dem Leichnam unter Wehklagen in das Grab hinabließ, ein Schatten über selbigen legte, welcher sich in dämonischer Weise von derselben Silhouette des Verstorbenen zeichnete und sich plötzlich wie von einem kräftig Windstoß getragen auf eine trauernde Anna Margaret niederließ, welche im gleichen Augenblick ohnmächtig niedersank und bis heute nicht wieder erwachte.

Mors est quies viatoris - finis est omnis laboris!

Letzte Aktualisierung: 22.05.2012 - 13.59 Uhr
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